Ramona Nagiller

Ausgesetzt


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Die Beiden hatten inzwischen vier Kinder.

      Tante Inga ging in der Schule putzen. Onkel Heinz arbeitete bei einer Krankenkasse, später bei den Amerikanern.

      Oma versorgte den Haushalt und die Kinder, wenn meine Tante arbeitete.

      Der älteste Sohn Georg war ein Jahr jünger als ich und die nächsten waren alle noch im Kleinkindalter.

      Ich betreute die Kinder mit, nach meiner Schule, mit mehr oder weniger Spaß, da man in meinem Alter den Kinderwagen und Kleinkinder doch auch als Belastung ansah.

      Oma verbrachte viel Zeit bei Tante Inga und ihrer Familie, ich war mit dabei.

      Am Heiligen Abend feierten wir zusammen das Fest.

      Oma hat mir „Anita“ eine Puppe geschenkt, ich liebte sie sehr. Abends gingen wir nach Hause.

      Der Alltag war da, voller grauer Tage, und grauer Träume.

      Daumen lutschen.

      Kapitel 12

       Die Pubertät fängt an.

      Mit meiner Oma verstand ich mich gut.

      Allerdings hatte sie bestimmt manchmal unter meinen pubertären Ausbrüchen zu leiden.

      Ich nahm eine gewisse Beschützerrolle für Sie ein, da sie sich meiner Meinung nach zuviel für die Probleme ihrer Töchter einsetzte. Ständig wurde sie gebraucht, für Arbeiten, Babysitter und auch finanziell.

      Für Oma und mich blieb fast nichts übrig. Für uns beide war sie ständig am Sparen, und das ärgerte mich.

      Sie war auch fast fanatisch religiös, ging dreimal die Woche in die Kirche, ich war meistens mit dabei. Ich empfand das für mich irgendwie zu viel. Wenn ein Volksfest stattfand in unserem Städtchen, konnte ich ihr keinen größeren Gefallen tun als mir einen Besuch nicht zu wünschen.

      „Kind, das ist Teufelswerk", erklärte sie mir, „wenn du diesen Sachen entsagst, kommst du in den Himmel, dort wird es dir gefallen, es wird dir gutgehen“ Sie umarmte mich dabei, küsste mich, ich gab nach, verzichtete (innerlich komplett frustriert).

      Meine Schulkameraden besuchten das Fest mit ihren Eltern, waren begeistert, überhaupt konnte ich mit ihnen nicht mithalten, ich trug immer noch die getragenen unmodischen Sachen von der Kirche oder der Caritas. Bei Aktionen in der Schule konnte ich nicht mitmachen oder gar mitfahren, weil kein Geld dafür zur Verfügung stand.

      Ich war, glaube ich, gut erzogen, machte artig einen Knicks, der in meiner Zeit üblich war, sprach nicht dazwischen, wenn andere Leute sich unterhielten. Natürlich war auch gerade Sitzen am Esstisch gefragt, und Aufstehen, bevor die anderen Familienmitglieder mit der Mahlzeit fertig waren, ging schon gar nicht.

      Kapitel 13

       Erneuter Kontakt mit meiner Mutter.

      Anne, meine Mutter, die die ganzen Jahre nichts von sich hören ließ, nahm wieder Kontakt auf, mit ihrer Familie, mit Oma, mit mir.

      Sie war ja inzwischen von meinem leiblichen Vater Conny längst geschieden.

      Inzwischen hat sie Charlie, den Artisten geheiratet.

      Unglaublich, Anne und Charlie hatten auch schon vier eigene Kinder, Bärbelchen kannte ich bereits.

      Als ich meine Mutter Anne sah, trug sie einen Pelzmantel, tolle Schuhe, ein wunderschönes Kostüm und viel goldenen Schmuck.

      Sie war wunderschön, hatte die schwarzen Haare zu einer Hochfrisur hochgesteckt. Ihre großen braunen Augen waren mit Kajalstift und Wimperntusche betont, ihre Nase war schön geformt, nicht so dick, der Mund auch schön geschwungen mit dezentem Lippenstift geschminkt.

      Die Ohren waren mit auffälligen Ohrringen geschmückt, sie war schlank, nicht zu groß.

      Sie war für mich so eine schöne Mutter.

      Irgendwie wollte ich auch so schön sein, wie sie.

      Charlie, ihr neuer Mann, den ich auch schon kannte, sah ebenfalls sehr gut aus. Er hatte eine schlanke muskulöse Figur, rotblonde Haare und stahlblaue Augen, seine Nase war sehr schmal, er hatte einen schmalen energischen Mund.

      Alles war so aufregend.

      Plötzlich wieder: So eine schöne Mutter.

      Ein neuer Vater?

      Dann die hübschen neuen Kinder, ja Geschwister, die ich nie hatte. Ich betrachtete die Kinder, Bärbelchen strahlte mich an.

      Wie die Orgelpfeifen standen sie aufgereiht und betrachteten mich, ein kleiner Junge war auch dabei.

      „Das ist Fernando", sagte meine Mutter Anne „hier ist Katarina, das ist Judith“, sie zeigte auf das Kleinkind, das Charlie auf dem Arm trug, „und Bärbel kennst Du ja."

      Ich nickte.

      Ich starrte die Kinder an, war ziemlich platt.

      Ich verglich.

      Hier meine Oma, die meine „Mama“ ist.

      Hier alles so geplant, normal, Alltag, Armut?

      Dort eine junge schöne Familie, die so freundlich zu mir ist?

      Ich war so durcheinander, alles ging drunter und drüber in meinem Kopf.

      Wir setzten uns alle an den großen Esstisch in der Küche.

      „Isabella, wie geht es in der Schule?“ fragte meine Mutter.

      „So la la“, murmelte ich. (Ich überlegte heimlich: Ich war eine Träumerin mit unteren Durchschnittsnoten.)

      Nur in Deutsch, Vorträge halten, Geschichten schreiben, vorlesen, da war ich gut, hatte gute Noten.

      Selbst im Sport war ich immer die Allerletzte, Schwimmen hab ich auch nie gelernt, weil ich im Wasser panische Angst bekam.

      „Isabella, was willst Du mal lernen arbeiten?“ hakte meine Mutter Anne unerbittlich nach.

      Ich zuckte mit den Schultern, wirklich, es fiel mir aber auch gar nichts ein, was ich mal gerne arbeiten wollte. (Ich wusste, mein Verhalten war wirklich dumm, innerlich war ich verzweifelt.) Ich konnte keine Antwort geben.

      Als die neue Familie wieder wegfuhr und ich mit Oma wieder allein war, war ich völlig verwirrt. Meine Welt, in der ich lebte, kam mir plötzlich so klein und armselig vor. Wenn man da die Gespräche anhörte, wie meine Mutter Anne so herumkam, mit Wohnwagen, Tieren, die Auftritte, dem Publikum.

      Ich betrachtete das rote Kleid, das mir meine Mutter mitgebracht hatte. Ich zog es an, erkannte mich darin kaum wieder. Als ich dann noch die alten Schuhe dazu anzog, die ich hatte, spürte ich ganz deutlich, dass da etwas nicht passte!

      Kapitel 14

       Chaos in meinem Kopf.

      Die nächste Zeit war Chaos in meinem Kopf.

      Ich wusste nicht mehr, wer ich war, wo ich hingehörte.

      Bereut habe ich im Rückblick, dass ich meiner Oma Kummer bereitete, indem ich sie mit Fragen bombardierte und mich manchmal sehr undankbar ihr gegenüber verhielt.

      Noch heute sehe ich sie vor mir, von Gestalt klein und zierlich. Sie hatte trotz Ihrer fast 70 Jahre kaum Falten im Gesicht. Ihre Augen waren braun, warm und gütig. Ihre Gesichtszüge mit der zierlichen Nase waren fast ebenmäßig. Das lange weiße dichte Haar hatte sie meist geflochten und in einer großen Schneckenform am Hinterkopf festgesteckt, manchmal durch ein Haarnetz gebändigt. Ihre Hände waren klein und zart, doch von Arthrose an den Fingern gezeichnet. Sie kleidete sich schlicht, trug oft eine Schürze, die sie beim Essen auszog. In ihrem Kleiderschrank habe ich einmal zwei wunderschöne Pelzmäntel mit passenden Pelzhüten und einem Pelzmuff zum Wärmen der Hände entdeckt. Doch diese Sachen hat sie nie getragen.

      Auf meine Frage hin, warum sie das nicht anzieht, antwortete sie:„Ich fühle