Alexander Nadler

Handover


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zu vergessen der Drogenhandel, in dem die drei gleichfalls kräftig mitzumischen scheinen, auch wenn die engagierte Journalistin dafür keine eindeutigen Beweise finden konnte.

      Doch selbst nach zweimaliger gründlicher Lektüre kristallisiert sich aus der Fülle der zusammengetragenen Informationen und den daraus gefolgerten Schlüssen und Vermutungen für Claude kein konkreter Anhaltspunkt heraus, der ihn im Falle seines Bruders weiterbringen könnte. Dass die genannten Herren, und all die Mit-Aufgeführten vermutlich ebenfalls, keine Unschuldslämmer sind, wusste er schon vorher, nur in welchem Umfang sie im Clinch mit der Legalität liegen, dies ist im neu, wobei vor allem die zahlreichen Querverbindungen auffallen, die - trotz des Kleinkrieges innerhalb des Milieus - vermuten lassen, dass sich letztendlich nur wenige, drei, maximal vier Organisationen das Revier teilen, die bei der Absteckung der Territorien notfalls nicht gerade zimperlich umgehen, weder untereinander, geschweige denn gegenüber Außenstehenden, falls diese ins Schussfeld geraten.

      Wie ein Peitschenhieb schneidet das schrille Schellen des Telefons durch Claudes Gedanken. Wie von einer Feder hochkatapultiert springt er zum Schreibtisch, um sich des Hörers zu bemächtigen. „Ja, Claude Duchamp“, meldet er sich.

      „Schönen guten Morgen, Herr Duchamp“, tönt es ihm durch die Leitung entgegen, „hier Krüger. Schön dass ich Sie erreiche. Ich möchte Sie bitten aufs Kommissariat zu kommen, sobald Sie Zeit haben.“

      „Gibt es etwas Neues?“ Claude spürt, wie die wenigen vom Hauptkommissar ausgesprochenen Worte seine Sinne erwartungsvoll anspannen.

      „Darüber möchte ich nicht am Telefon mit Ihnen sprechen. Ich möchte Ihnen etwas zeigen.“

      Claudes geweckte Neugier treibt ihm den Puls hoch, lässt ihn mit gepresster Stimme in die Sprechmuschel hauchen: „In Ordnung, ich komme so schnell wie möglich. Sagen wir in zwanzig Minuten.“

      „Gut, ich warte auf Sie. Bis gleich also“, beendet der Kriminalbeamte das Gespräch, das in Claude Hoffnung und Furcht zugleich hervorgerufen hat, Hoffnung dahingehend, nun endlich dem Rätsel um Philipps Tod ein Stückchen näherzukommen, Furcht deswegen, weil damit möglicherweise der Mord an seinem Bruder sich als noch sinnloser herausstellen könnte als er ihm ohnehin schon erscheint.

      Ein Taxi bestellen, sich umziehen und die Schuhe anziehen, alles eine Sache von wenigen Minuten, die gedanklich gefüllt sind mit Grübeleien darüber, was ihn denn erwarte. Und als wüssten unsichtbare Mächte um seine Nervenanspannung, die jede Zeitverzögerung nur unwillig mit Gereiztheit quittieren würde, fährt das herbeigerufene Taxi just in dem Moment vor, als er aus der Hotellobby ins Freie tritt, erlaubt der erstaunlich spärlich dahinfließende Verkehr zügiges Vorankommen, scheinen alle Ampeln extra für ihn auf Grün geschaltet zu sein, so dass er sogar früher als versprochen bei Krügers Wirkungsstätte anlangt.

      Mittlerweile bestens mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut, durcheilt er im Laufschritt die Flure und reißt, ohne eine Antwort auf sein Klopfen abzuwarten, fast ein wenig unwirsch die Tür zum Zimmer des Hauptkommissars auf, den er, den Telefonhörer in der Hand, an seinem Schreibtisch sitzend vorfindet. Dieser scheint, vertieft in sein Gespräch, das nicht ganz gebührliche Verhalten Claudes gar nicht registriert zu haben, winkt diesen mit seiner Rechten herein, ihn mit dieser wortlos auch zum Platz-Nehmen auffordernd.

      „Entschuldigen Sie bitte“, wendet sich ihm Krüger, den Hörer schließlich auflegend und auf ihn zutretend, keine dreißig Sekunden später zu, „dass ich Sie hierher gebeten habe, doch scheint es mir wichtig zu sein.“

      „Keine Ursache, Herr Kommissar, wenn Sie nur vorankommen ... und ich Ihnen möglicherweise dabei helfen kann.“

      Krüger ist an seinen Tisch zurückgetreten, greift nach der auf dem Stapel zuoberst liegenden Akte am linken Ende der Platte und öffnet ihren Deckel. „Haben Sie heute schon Zeitung gelesen?“, erkundigt er sich gleichzeitig mit prüfendem Blick bei Claude. „Nein, ich hatte noch keine Zeit dazu. Warum?“

      „Samstagnacht gab es auf der Autobahn von Darmstadt nach Frankfurt einen schweren Verkehrsunfall, bei dem ein Mann ums Leben kam“, reagiert der Kriminalbeamte auf die Verneinung, Claude dabei einen Zeitungsausschnitt vorlegend, den er der Aktenmappe entnommen hat. „Hier, sehen Sie, über den Unfall wird in der heutigen Ausgabe groß berichtet.“

      ‚Mit 180 in den Tod’, springt Claude die in übergroßen, fetten Lettern auf dem Papier prangende Überschrift in die Augen, unter der ein Foto die aufgrund der starken Deformationen kaum noch als solche zu erkennenden Umrisse eines Autos zeigt, umstanden von einigen Personen, unter denen unter anderem Sanitäter und Feuerwehrleute zu erkennen sind. Noch ehe er sich jedoch dem Begleittext selbst zuwenden kann, fordert der Kommissar wieder seine Aufmerksamkeit.

      „Sparen Sie sich das Durchlesen“, beginnt dieser seine Ausführungen, „was da drinnen steht, ist nicht alles, was Sie wissen sollten.“ Claude ist ganz Ohr. „Zunächst einmal zu den Fakten. Wie schon gesagt, der Unfall ereignete sich in der Nacht von Samstag auf Sonntag, so gegen 22.40 Uhr. Unfallzeugen haben meinem Kollegen, der den Fall zunächst bearbeitete, berichtet, dass der Fahrer des Wagens, ein Porsche 911, möglicherweise bei einem Wettrennen mit einem anderen Auto wegen zu hoher Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug verloren habe. Zumindest wollen sie ein zweites Fahrzeug mit gleich hoher Geschwindigkeit in unmittelbarer Nähe des Porsches gesehen haben. Solche nächtlichen Wettrennen sind bedauerlicherweise keine Seltenheit, besonders am Wochenende. Oft sind dann noch Alkohol oder Drogen im Spiel. Ein Spiel, das leider immer wieder tödlich endet. Wie die Zeugen meinem Kollegen berichteten, soll der Porsche, der auf der rechten Spur fuhr, plötzlich ins Schleudern geraten und von der Fahrbahn abgekommen sein, woraufhin er sich anschließend mehrfach überschlagen hat und schließlich gegen einen Baum geprallt und völlig ausgebrannt ist. Was übrig geblieben ist, sehen Sie auf dem Foto. Das wäre in Kurzversion das, was die Augenzeugen meinem Kollegen berichteten und was Sie in der Zeitung lesen könnten.“ Krüger legt eine kleine Pause ein, so als wolle er Claude Zeit zum Verarbeiten und die Gelegenheit zum Einhaken geben, was dieser aber nicht tut, weswegen jener seinen Gesprächsfaden wieder aufgreift: „Vielleicht fragen Sie sich, warum ich mich, das heißt die Mordkommission, nun mit der Angelegenheit beschäftige. Diesbezüglich müssen Sie wissen, was die Untersuchungen bezüglich der Unfallursache bislang ergeben haben … und eben dies steht nicht in dem Zeitungsartikel, kann es auch nicht. Also, wie die Untersuchung des Wracks ergeben hat, dürfte nicht überhöhte Geschwindigkeit die Ursache des Unfalls gewesen sein, sondern höchstwahrscheinlich die Tatsache, dass auf das Fahrzeug geschossen worden ist, und zwar mehrfach, wie Einschüsse im Bereich des Tanks und des hinteren linken Kotflügels eindeutig beweisen. Zudem haben wir noch drei der Projektile in den entsprechenden Wrackteilen gefunden. Schrammspuren auf der linken hinteren Radnabe sprechen dafür, dass auch auf den hinteren Reifen geschossen wurde, doch lässt sich dies aufgrund des Brandes nicht mehr eindeutig beweisen. Und was passiert, wenn bei 180 Stundenkilometern ein Reifen platzt, können Sie sich, glaube ich, gut selber ausmalen. Und dass es sich dabei um keine alten Einschüsse handeln dürfte, sondern diese wirklich erst kurz vor dem tragischen Unfall auf den Porsche abgefeuert wurden, davon hat mich, eben als Sie hereinkamen, mein Kollege unterrichtet, der heute Morgen mit einigen Beamten unweit der Unfallstelle einige Patronenhülsen gefunden hat. Zwar sind noch keine ballistischen Untersuchungen durchgeführt worden, da derartige Dinge normalerweise aber nicht auf und entlang bundesdeutschen Autobahnen herumliegen, dürfte schon davon auszugehen sein, dass es sich bei dem Ereignis Samstagnacht nicht um einen Unfall, sondern um einen Anschlag, einen Mord gehandelt hat.“

      Krüger unterbricht seine Darlegungen, lässt dem ihm Gegenübersitzenden Zeit, diese zu verdauen, zu verarbeiten, um zu sehen, welche Wirkung, Reaktion sie bei jenem auslösen. Und wie von ihm erwartet, stellt Claude die entscheidende Frage: „Schön und gut, aber was hat das mit mir, oder besser gesagt, mit Philipp zu tun?“

      „Richtig! Das werde ich Ihnen gleich sagen, doch zunächst noch ein paar Fakten. Sie haben ja das Foto gesehen. Wer in dem Wagen saß, hatte kein Chance. Zum Glück, zumindest für uns, ist der Fahrer jedoch zumindest nicht verbrannt, sondern wurde, während sich das Fahrzeug überschlug, aus diesem herausgeschleudert.