nickt bekennend und fährt fort.
»Ja, das ist er. Aber wir nennen ihn Halbtagshund.«
Das Sonnentrichterorakel schielt verstohlen zu J.J., die mit weit geöffneten Augen auf der Schaukel sitzt und nachdenkt. Immer wieder blitzen neue Erinnerungen in ihr auf. Sie steht auf und geht zu Florence.
»Ich bin froh, dass ich hier bin. Ich verstehe zwar nicht, warum ich gerade jetzt wieder nach Hause darf. Aber im Moment ist mir das egal. Ich weiß nur nicht, wie ich das meiner Freundin erklären soll. Meinst du, ich sollte ihr sagen, was ich herausgefunden habe?«
Florence sieht J.J. fragend an und beginnt zu grinsen.
»Natürlich solltest du ihr das sagen. Sie wird dir jedoch nicht glauben! Es gibt so viele von deiner Art, die in der realen Welt leben, die es nicht einmal vertuschen, weil die Menschen ihnen sowieso nicht glauben. So ist das in der realen Welt. Seit Anbeginn der Zeit suchen die Menschen nach Wundern und Zauberwesen. Sobald sie jedoch vor ihnen stehen, zweifeln sie deren Wahrhaftigkeit an! Also, geh zurück in dein Internat und erzähle deiner Freundin, dass deine Großmutter eine böse Hexe ist. Sag ihr, dass du auch eine bist! Aber lass mich bitte wissen, wie sie reagiert hat.«
Florence verfällt in leises Gelächter. J.J. versteht, was das Sonnentrichterorakel ihr sagen will, und winkt ab. Sie geht zur Marmorsäule, um ihren Gedankenstein zu holen.
»Aber irgendetwas muss ich ihr doch erzählen. Sie hat gesehen, dass ich mich mit dem Stein drehe. Sie ist meine beste Freundin. Sie wird mir glauben!«
Bevor sie den Stein herunternimmt, dreht sie sich noch einmal zu Florence.
»Sehen wir uns nur hier im Hort?«
Das Sonnentrichterorakel zieht verdutzt die Augen zusammen und schnalzt mit der Zunge.
»Ich bin im Moment nur der geistige Vermittler. Nachdem du dich an deinem sechsten Geburtstag entgegen der Anweisung deiner Großmutter direkt in eine Erinnerung geschleust hast, hat sie entschieden, dass ich dir erst ein paar Dinge erkläre. Ich bin nur in diesem Moment hier. Wenn du ihn das nächste Mal nutzt, bist du allein. Du findest mich in Havelock, wie gewohnt im Garten hinterm Haus. Dort haben wir früher sehr gern über deine Märchenbücher geredet. Aber es wird Zeit! Geh jetzt zurück und lerne deine Großmutter kennen. Wir sehen uns bald wieder, meine Liebe!«
Florence lächelt J.J. zu und verbeugt sich tief.
Sie wartet, bis die trichterförmigen Blüten sein Gesicht wieder verdecken, und nimmt den Stein von der Säule. Sie geht noch ein Stück durch den Garten, bevor sie den Stein behutsam vor ihren Füßen abstellt und sich in ihrem Zimmer wiederfindet.
Im Raum ist es stockduster. Vorsichtig tastet sie sich zu ihrem Schreibtisch und knipst das Licht an.
»Zoé, bist du noch da?«, ruft sie leise, bekommt jedoch keine Antwort. Sie legt den Stein in die Kiste und verschließt sie sorgfältig, bevor sie zum Bett ihrer Freundin schleicht. Erstaunt bemerkt sie, dass Zoé tief und fest schläft, was sie merkwürdig findet.
Nachdenklich legt sie sich auf ihr Bett und starrt auf ihren Wecker. Als sie sieht, wie spät es ist, ist sie mehr als erstaunt.
»23:04 Uhr? Komisch, ich dachte, dass ich mindestens zwei Stunden weg gewesen wäre! Zoé ist trotzdem schon eingeschlafen. Dann erzähle ich es ihr eben morgen früh.«
J.J. löscht das Licht und denkt noch eine Weile über ihr Gespräch mit Florence nach. Sie fühlt sich wohler und nicht mehr so durcheinander wie in den letzten Wochen.
»Ist das abgefahren! Ich bin eine Hexe oder zumindest habe ich wohl das Zeug dazu! Positiv: Das erklärt die komischen Dinge, die mir passiert sind. Negativ: warum ausgerechnet eine dunkle und böse Hexe? Neutral: Es weiß niemand etwas davon.«
Kapitel 4
Das Wiedersehen
Endlich ist es so weit!
Der letzte Tag vor den langen Sommerferien ist angebrochen. Im Wohngebäude herrscht schon seit den frühen Morgenstunden ein fröhliches Durcheinander. Koffer, Taschen und Rucksäcke stehen in den Gängen, Müllsäcke und ausrangierte Möbel türmen sich vor dem Eingang, während sich die Bewohner ausgiebigen Verabschiedungszeremonien widmen.
Als J.J. ihrer Freundin heute Morgen erzählen wollte, was sie in ihrem Hort erfahren hat, kam Zoé ihr singend aus dem Bad entgegen und konnte sich anscheinend an nichts mehr erinnern. Sie hat nur überschwänglich gelächelt und nebenbei gefragt, ob J.J. wüsste, wann sie eingeschlafen seien. Den Stein oder J.J.s ungewöhnliche Reisen hat sie mit keinem Wort erwähnt. Also hat J.J. beschlossen, Zoé alles erst nach der Abschlussrede zu erzählen.
Die beiden Mädchen sind auf den Weg in den Park, wo in diesem Jahr die Abschlussfeierlichkeiten stattfinden. Unzählige Stühle stehen in akkuraten Reihen vor der großen Freilichtbühne, von denen der Großteil schon belegt ist. Die Mädchen setzen sich in die hinterste Reihe und verfolgen aufmerksam die Dankesreden und Verabschiedungen der Abgänger. Als der letzte Schüler sein Zeugnis überreicht bekommen hat, stürzen sie sich schnell auf das riesige Büfett, dem eigentlichen Grund, warum sie sich ganz hinten hingesetzt haben. So sind sie die Ersten, die Pippas Köstlichkeiten genießen können. Anschließend suchen sie im Park all ihre Freunde auf, um sich von ihnen zu verabschieden.
Der Moment des Abschieds ist gekommen. Zoés Eltern inspizieren ausgiebig das Zimmer der Mädchen und statten Pippa einen Besuch ab. Nach einer tränenreichen Verabschiedung steigt Zoé in die schwarze Limousine und fährt auf und davon, ohne dass J.J. ihr auch nur ein Wort darüber erzählen konnte, was sie herausgefunden hat!
J.J. steht am Tor und winkt ihrer Freundin traurig hinterher. Dann trottet sie zu William und Felder, deren Familien schon ungeduldig vor ihren Autos warten. Als die beiden den Campus ebenfalls verlassen haben, steht J.J. in der Einfahrt und fühlt sich total verlassen. Alle Schüler sind fort. Nur noch zwei Wagen stehen auf dem Schulgelände, in denen gerade die letzten Koffer verstaut werden.
Britany Hoilding war die Erste, die vom Hof gefahren ist. Während der Abschlussfeier hat sie zwar mehrmals zornig auf J.J. gezeigt, was ein paar sehr missbilligende Blicke ihrer Eltern nach sich zog, aber dabei sollte es auch bleiben.
Zum ersten Mal wird J.J. bewusst, wie einsam sie in den letzten Jahren war.
»Ich musste immer hierbleiben, wenn die anderen nach Hause gefahren sind. Dieses Mal soll das also anders sein.«
Sie rennt ins Wohngebäude und setzt sich nervös aufs Bett.
»Nun, Großmutter. Ich wäre dann so weit«, stammelt sie nervös in den verlassenen Raum.
Ungeduldig geht sie zum Fenster und bekommt plötzlich Zweifel.
»Vielleicht war es doch nur ein übler Scherz und ich warte morgen noch. Vielleicht habe ich das ja nur geträumt. Immerhin hat Zoé auch nichts mehr dazu gesagt.«
Das Klopfen an der Tür reißt sie aus ihren dunklen Gedanken. Sie stockt einen Moment und geht langsam zur Tür. Sie zählt leise bis zehn und drückt die Klinke ganz schnell herunter. Pippa sieht sie traurig an und hält ihr ein großes Päckchen entgegen.
»Ich wollte mich noch von dir verabschieden. Ich habe ein paar von deinen Lieblingskeksen gebacken. In diesen Brief habe ich deiner Großmutter aufgeschrieben, was du magst und ganz wichtig, was du überhaupt nicht leiden kannst! Da steht auch meine Rufnummer, die übrigens Tag und Nacht funktioniert! Ach ja, und eine Regenjacke, da ich gehört habe, dass es auf der Südinsel sehr oft regnen soll!«
J.J. legt die Sachen auf ihre gepackten Koffer und nimmt Pippa fest in den Arm. Beide lassen ihrer Wehmut freien Lauf und weinen. Ihrer ungewöhnlich starken emotionalen Verbundenheit kann auch die Neuigkeit über J.J.s Familie nichts anhaben.
»Pass gut auf dich auf, kleine Jezabel! Auch wenn du den Namen nicht magst, ich finde, dass er gut zu dir passt! So, jetzt musst du aber los! Mrs. Rogan hat eben bei mir angerufen und Bescheid gegeben, dass deine Großmutter bereits in ihrem Büro wartet.