Arnulf Meyer-Piening

Doppel-Infarkt


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       Jack lachte: „Du kennst meine ‘Billing-Rate‘, schreibe vorsichtshalber mal einen Tag auf dein Stein Projekt.“

       Tatsächlich fand Beyer eine Woche später einen Arbeitstag von Jack auf seiner internen Projektabrechnung: 8.500 Mark zuzüglich den Kosten für das Abendessen und reichlich bemessenem Trinkgeld. Jack brauchte eben auch seine ‘Auslastung‘, auch er musste sein Geld ‘am Markt‘ verdienen.

       Am nächsten Tag ging Beyer zu Fuß ins Büro in der North Wacker Drive. Es war ein schöner Herbsttag, noch etwas kühl und windig, aber er genoss es, das geschäftige Treiben auf den Straßen zu beobachten. Chicago war in den letzten Jahren sehr viel schöner geworden, eine Reihe attraktive Hochhäuser war entstanden, die Straßen waren wesentlich sauberer geworden.

       Das Kanders Büro lag in den Stockwerken 11 und 12 des großen Bürogebäudes. Im hinteren Teil der riesigen, mit Marmor getäfelten Eingangshalle befanden sich acht Fahrstühle, je vier auf einer Seite. Der Empfang befand sich in der 11 Etage. Der Empfangsbereich war mit edlen Hölzern gestaltet.

       Mary begrüßte Beyer mit ihrem charmanten Lächeln. „Hallo Armin, „nice to see you again. Jack is waiting for you in the meeting room.“

       Die Bürotüren aller Partner und Prinzipale standen generell offen, jeder konnte sehen und hören, was der andere tat und sprach, man hatte ungehinderten Zutritt. Zwischen den Führungsebenen gab es kaum sichtbare Schranken, die Kommunikation war offen und ungezwungen, dennoch hütete sich jeder, ohne dringende Notwendigkeit, das Büro eines Vorgesetzten zu betreten und ihn anzusprechen. Das informelle ‘Du‘ in Verbindung mit dem Vornamen in der Anrede konnte nicht über die tatsächlich vorhandenen Schranken in der Hierarchie hinwegtäuschen. Dies galt insbesondere im Verhältnis zwischen den Beratern und dem ‘Staff‘, den Damen und Herren im Schreibbüro und im Ressource-Center. Hier wurden Statistiken gesammelt, erstellt und ausgewertet. Kein Berater kam ohne die Hilfsfunktionen aus, insbesondere dann nicht, wenn es um die Erstellung von Proposal oder Abschlussberichten ging. Dann waren sie die wichtigsten Mitarbeiter, sonst aber waren diejenigen, die das Geld mit der Klienten-Arbeit vor Ort verdienten, eindeutig die angeseheneren, hatte aber auch ein viel größeres berufliches Risiko. Wenn mit dem Auftrag etwas schieflief, dann wurden die jungen Berater sehr schnell gefeuert. Das war der Preis für das höhere Einkommen. Sicherheit gab es nicht.

       Jack Stones machte Arnim mit dem jungen Japaner, Mr. Morito Haziki, bekannt. Der freundliche, jungenhaft wirkende Mann Ende zwanzig, hatte an der Universität von Tokio studiert und anschließend in Princeton seinen ‚Master of Business Administration‘ gemacht. Er hatte ein offenes Wesen, Beyer fasste spontan Zutrauen zu ihm, man würde sicher gut zusammenarbeiten.

       Beyer stellte mit ein paar Fragen schnell fest, dass Morito die Studie nicht nur gelesen, sondern die Problematik auch verstanden hatte. Eine der Schwachstellen der Studie war, dass die Fragebogen an das Top Management geschickt worden waren, die Antworten aber häufig von dem EDV-Leiter gegeben worden waren.

       Morito fragte deshalb vorsichtig: „Hat man nicht versucht, die Unterschiede in der Beurteilung der einzelnen Führungsebenen der Funktionsbereiche zu ergründen? Es könnte doch immerhin sein, dass ein Abteilungsleiter der dritten Ebene die Sache ganz anders beurteilt als ein Top Manager. Auch wäre es möglich, dass beispielsweise die IT-Bedeutung im Finanzwesen ganz anders beurteilt wird als in der Entwicklung.“

       Beyer nickte zustimmend. „Man sollte in dieser Richtung noch weitere Verfeinerungen der Analyse anstreben. Ich denke, dass wir dies bei der geplanten Studie in Japan wenigstens Ansatzweise versuchen sollten.“

       Die folgenden beiden Tage arbeitete Arnim mit Morito intensiv zusammen und ging mit einem fertigen Projektplan zu Stones. Jack bat noch zwei andere Partner dazu und sie diskutierten die geplante Vorgehensweise im Detail. Es wurde eine Anzahl von Änderungen vorgeschlagen und in den revidierten Projektplan eingearbeitet. Der Plan wurde vom Board mit dem notwendigen Budgetrahmen genehmigt. Das Board bestand aus fünf Senior Partnern, die im Zwei-Jahresrhythmus von den Partnern in diese Position gewählt wurden. Die Board-Meetings fanden regelmäßig jedes Vierteljahr in Chicago statt. Außerhalb der regulären Meetings wurden wichtige Entscheidungen telefonisch abgestimmt, so auch diese. Da Arnim zwischenzeitlich mit seiner Frau telefoniert hatte und Elinor ihr Einverständnis zu der Reise nach Japan gegeben hatte, konnte der Projektbeginn schon für Anfang November des Jahres festgesetzt werden. Jack telefonierte mit Fukuzawa, dem Leiter des Tokioter Büros, um das Projekt mit ihm abzustimmen. Er veranlasste, dass die notwendigen Vorbereitungen für die Projektarbeiten getroffen wurden.

       Beyer flog zum Wochenende nach Stuttgart zurück. Er versuchte im Flugzeug zu schlafen, was ihm aber lange Zeit nicht gelang, denn er war zu sehr mit seinen Gedanken beschäftigt. Vor allem bewegte ihn die Frage, welchen Eindruck dies für ihn so geheimnisvolle Land, über das er so viel gelesen und gehört hatte, auf ihn machen würde. Kurz vor der Landung war er doch noch eingeschlafen. Er hatte einen Angsttraum: Er befand sich in einem großen Raum, fast wie ein Theater und sollte vom Podium aus vor einem großen Publikum eine Rede halten. Aber man hatte ihm nicht gesagt, über welches Thema. Er versuchte, von den Menschen hinter der Bühne das Thema zu erfahren, aber man sagte es ihm nicht. Er war überzeugt, dass er eine gute Rede halten könnte, aber es gelang ihm nicht, das Thema zu erfahren. Dann begann er über die Bemühungen von General Motors zu sprechen, ihren Konzern zu modernisieren. Da stand ein ihm unbekannter Zuhörer auf, ein großer, kräftiger Mann mit dunklen nach hinten gekämmten Haaren und rief: Er hat mich verraten! Und viele andere riefen: Er hat ihn verraten! Der Mann zog eine Pistole, zielte auf ihn und schoss. Es gab einen Knall, der ganze Raum erbebte.

       Das Flugzeug setzte mit hartem Ruck auf der Landebahn auf und Arnim erwachte mit starkem Herzklopfen und schweißgebadet aus seinem Angsttraum.

       Elinor holte ihn am Flughafen ab. Sie beschlossen, in den Schwarzwald zu fahren und eine Wanderung zu machen. Auf diese Weise konnte Arnim den Zeitunterschied von sieben Stunden am besten verarbeiten. Der Flug nach Westen war das geringere Problem, man ging einfach sehr spät ins Bett, aber nach Osten war es weit schwieriger, denn dann fehlte die Nacht. An der frischen Luft überwand er die Müdigkeit am besten und konnte sich dann abends zur gewohnten Zeit schlafen legen.

       Arnim berichtete während des Spaziergangs von den Ereignissen in Chicago und der geplanten Studie und seine Frau hörte geduldig zu. Nicht, dass es sie nicht interessiert hätte, aber alle Details waren wohl auch nicht immer so wichtig. Jedenfalls sprachen sie ausführlich von der bevorstehenden Reise nach Japan, und Elinor streute gelegentlich eigene Erfahrungen aus ihrer Japanreise ein, die sie vor Jahren mit ihren Eltern auf einer Geschäftsreise gemacht hatte. Sie erzählte von ausgiebigen Abendessen mit viel rohem Fisch, Geisha-Bedienung und mühsamer Kommunikation. Sie waren immer froh gewesen, wenn sie endlich wieder allein im Hotel waren uns sehnten sich nach Schwarzbrot mit Leberwurst.

       Arnim sprach von den zu erwartenden neuen Eindrücken und Erfahrungen und den wirtschaftlichen Erfolgen dieses bemerkenswerten Volkes, welches sich jahrhundertelang von westlichen Einflüssen abgeschottet hatte.

       „Ich bin mal gespannt, wie Japan auf mich wirken wird.“

       „Nun, du gehst ja mit einer ziemlich positiven Einstellung dorthin. Dann wird das Land auch positiv auf dich zukommen. Aber pass auf“, meinte Elinor, „es ist vielleicht nicht immer alles so wie du es dir vorstellst, oder wie du es gerne sehen möchtest.“

       „Mag sein, du bist den Japanern viel kritischer eingestellt als ich“, gab ihr Arnim recht.

       „Möglich, ich kann es nicht ausschließen, aber ich denke, du siehst Japan zu einseitig. Dich blenden die wirtschaftlichen Erfolge, aber du siehst nicht die Probleme, die dieses Land hat und die auf dies Land noch zukommen werden“, gab seine Frau zu bedenken.