über den Besuch seines Partner-Kollegen, denn es bedeutete für das damals noch relativ kleine Büro eine sichtbare Aufwertung, verbunden mit der Aussicht auf eine wesentliche Verbesserung der Geschäftsentwicklung. Fukuzawa fuhr mit seinem Lexus direkt zum Hotel ‘The Century Hyatt Tokyo‘ in der Nähe von der Shinjuku Eisenbahnstation. Er schlug ein gemeinsames Abendessen mit dem gesamten Tokioter Team vor, damit man sich gegenseitig kennenlernen und dabei auch das geplante Vorhaben besprechen könne. Fukuzawa hatte den in Chicago erarbeiteten Projektvorschlag sorgfältig gelesen, wollte aber, dass Beyer es selbst seinen Mitarbeitern erläuterte.
Als Beyer vom Taxi nach kurzer Fahrt vor dem Restaurant in dem Vergnügungsviertel in Shinjuku eintraf, warteten Fukuzawa und alle fünf Berater des Büros vor dem Lokal. Die Begrüßung war noch höflicher als am Flughafen, kaum einer der Berater hatte zuvor einen Partner aus einem anderen Büro kennengelernt, weder aus den USA noch aus Europa. Insofern war eine große Neugier und Scheu zu spüren. Mit vielen Verbeugungen betrat man den Raum, in dem viele niedrige Tische standen. Die meisten Tische waren besetzt, ein großer Tisch am Fenster war für die Kanders- Leute reserviert. Fukuzawa und seine Gäste wurden von einer jungen Japanerin in einem wunderschönen, farbenprächtigen traditionellen Kimono begrüßt und zu dem freien Tisch geleitet. Vor Betreten der Tami-Matten zogen die Herren die Schuhe aus und hockten sich auf den Boden, für Beyer eine vollkommen ungewohnte Stellung. Sicher würden seine Beine schnell einschlafen und er würde nicht stillsitzen können. Aber er beharrte darauf, nicht an einen der wenigen hohen Tische mit normalen Stühlen zu wechseln. Schließlich wollte er ein wenig an der japanischen Esskultur teilhaben.
Die Auswahl des Menüs wurde für Beyer insofern erleichtert, als die angebotenen Speisen in einer Glasvitrine neben dem Eingang zum Restaurant in kunstvoller Darstellung ausgestellt und sämtlich aus Plastik naturgetreu abgebildet waren. Man konnte sie optisch kaum von den später servierten Gerichten unterscheiden. Da Beyer gern Fisch aß und auch vor rohem Fisch nicht zurückschreckte, war das Auswahlproblem schnell gelöst. Einige der Herren entschieden sich für Sushi, andere für Sashimi. Man begann mit einer Hühner-Bouillon und trank dazu gewärmten Reiswein. Die kleinen Fischgerichte wurden auf einem bunten Holzbrett serviert, kunstvoll mit rohen Gemüsestreifen verziert. Dazu Schalen mit Soja Sauce und Ingwer. Es war eine Wohltat für Auge und Gaumen. Immer neue Varianten von frischem Fisch wurden serviert: Ein Gericht schmackhafter als das andere, jeder Teller ein kleines Kunstwerk, fast zu schade, es anzurühren. Beyer genoss das Mahl zur Freude seiner japanischen Kollegen sichtlich.
Das Gespräch gestaltete sich etwas mühsam, da die englischen Sprachkenntnisse der Japaner nicht besonders gut waren und auch die ausgeprägte Höflichkeit erlaubte keinen ungehinderten Dialog. Das änderte sich erst mit zunehmenden Alkoholgenuss. Der Reiswein entfaltete seine entspannende Wirkung, englische und japanische Worte, später auch ganze Sätze wechselten miteinander ab, aber man fühlte sich wohl und der Sinn der jungen Männer stand ohnedies nicht mehr nach Fachgesprächen. Fukuzawa schlug vor, nach dem Essen noch einen Bummel durch das Vergnügungsviertel von Shinjuku zu machen. Beyer stimmte begeistert zu, denn trotz des langen Tages fühlte er sich nicht müde. Viele Menschen schoben sich durch die engen Straßen, grelle Werbeleuchten machte auf die Attraktionen aufmerksam, viele ‘Damen‘ boten ihre Dienste an oder suchten Begleitung. Kreischenden Lärm machten die Patschinko-Spielläden, in denen man an Automaten ganze Kästen voll von Stahlkugeln gewinnen konnte, die später an den Kassen in irgendwelche Dinge von belanglosem Wert umgetauscht wurden.
Beyer hatte wenig Lust, eines dieser Etablissements zu betreten und verabschiedete sich unter Hinweis auf die anstrengenden Tage, die ihm bevorstanden. Die restlichen Gruppenmitglieder hielten ihn nicht auf, denn nun konnten sie sich wesentlich freier benehmen.
Am nächsten Morgen waren alle Mitarbeiter des Kanders Büros vollzählig im Besprechungszimmer anwesend, aber es machte keiner einen besonders übernächtigten Eindruck, obwohl es – wie Fukuzawa später berichtete – noch sehr ausgelassen geendet hatte. Beyer erläuterte anhand von Overhead-Folien den in Chicago ausgearbeiteten Projektplan. Die Einzelheiten wurden diskutiert und Fragen beantwortet. Haziki, der Mann, der neben Fukuzawa zum seinem Begrüßungskomitee gezählt hatte, übernahm die Übersetzung des Fragebogens. Zwei weitere Berater stellten die Namens- und Adressenliste für die schriftlich oder mündlich zu interviewenden Firmen und deren Repräsentanten zusammen. Fukuzawa schlug vor, dass sich alle Berater die Interviews teilen sollten. Er selbst behielt sich die großen Unternehmen vor und diejenigen Firmen, zu denen er persönliche Kontakte hielt. Ausgewählte Firmen mit engen Verbindungen zu europäischen Firmen sollten gemeinsam mit Beyer befragt werden. Dazu musste ein direktes Entree zu geeigneten Gesprächspartnern gefunden werden. Nach reichlicher Überlegung stieß Fukuzawa auf seinen Freund Teramoto. Eine für Beyer folgenreiche Entwicklung begann ihren Verlauf zu nehmen.
11.
Im Unfall-Krankenhaus
Als ich aus meiner Ohnmacht erwachte, lag ich in einem Krankenzimmer. Der Notarzt, den ich von der Fahrt in dem Krankenwagen wiedererkannte, war bei mir.
„Wo bin ich hier?“ fragte ich ihn.
„Sie sind im Unfallkrankenhaus in Essen. Wie fühlen Sie sich?“
„Schlecht“, sagte ich ganz einfach, „was ist passiert?“
„Sie hatten im Notarztwagen einen zweiten Herzinfarkt, den ersten hatten Sie wahrscheinlich bereits im Lokal. Wir mussten Sie reanimieren.“
„Als Sie sagten, dass Sie wieder ohnmächtig werden würden, waren Sie dann auch gleich weg. Wir haben Sie sofort in den Operationssaal gebracht. Das dauerte nur drei Minuten. Dort konnten wir Sie dann richtig behandeln, was im Wagen zwar auch möglich gewesen wäre, aber im OP war es einfacher.“
„Ich habe gespürt, dass etwas Schweres auf meiner Brust lag, es war aber ein angenehmes Gefühl.“
„Das ist merkwürdig“, sagte der Arzt, „dass Sie das gespürt haben. Wir haben Sie mit Elektroschocks behandelt, denn Ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen.“
„War ich denn wirklich tot?“
„Nein, nicht richtig, aber ihr Herz stand kurzzeitig still. Wenn wir Sie nicht sofort behandelt hätten, dann wären Sie tatsächlich gestorben, jedenfalls wären schwere Gehirnschäden zurückgeblieben, aber so werden Sie es schaffen. Sie müssen jetzt ganz ruhig liegen bleiben. Sollen wir Ihre Frau benachrichtigen?“
„Ja bitte, tun Sie das, ich gebe Ihnen unsere Telefonnummer.“
Ich konnte mich gut an die Nummer erinnern, das war ein gutes Zeichen, mein Gedächtnis funktionierte also noch.
An meinen beiden Handgelenken waren Infusionen angelegt. Um den rechten Oberarm war eine Manschette befestigt, die sich von Zeit zu Zeit aufpumpte. An der Wand über mir befand sich ein Monitor, auf dem meine Herzfrequenzen angezeigt wurden. Wenn ich den Kopf etwas nach rückwärts beugte, konnte ich eine Kurve über den Bildschirm flimmern sehen. Merkwürdig, ich konnte etwas sehen, was sich sonst im Verborgenen meines Körpers abspielt. Die Ausschläge waren sehr unregelmäßig, aber sie waren da. ‚So lange die da sind‘, dachte ich, ‚lebst du noch. Am besten, du siehst nicht hin, das beunruhigt dich nur, murmelte ich halblaut.‘
„Wollten Sie etwas sagen?“ fragte der Arzt?
„Nein, ich wollte nichts sagen, jedenfalls nicht hier. Früher habe ich viele Vorträge gehalten, jetzt habe ich nichts mehr zu sagen.“
„Es wird schon wieder werden!“ und er nickte mir freundlich zu, bevor er den Raum verließ. Dann war ich wieder allein. Es war mir sogar recht. Ich wollte mit niemandem sprechen, und auch hören wollte ich nichts.
Mikiko
Es gelang Fukuzawa bei seinen Freund Yoshihiro Teramoto, Leiter der Japanisch-Deutschen Gesellschaft, bereits für einen der nächsten Tage einen Vortragstermin für Beyer zu vereinbaren. Er sollte über das Thema ‚Strategien in der Rezession – Maßnahmen zur