Arnulf Meyer-Piening

Doppel-Infarkt


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gehst mir langsam auf die Nerven. Wenn ihr im letzten Jahr einen größeren Gewinn gemacht hättet, dann wäre der Verkauf des Verwaltungsgebäudes jetzt gar nicht nötig!“

       Dr. Pauli hatte seinen Bruder schnell wieder in die Reihe gebracht.

       Dr. Schubert saß bereits an dem reservierten Tisch am Fenster und studierte die Speisenkarte als Dr. Pauli und Dr. Kramer eintrafen.

       „Der Koch empfiehlt ‘Coq au vin‘ mit einer Burgunder Sauce. Oder wenn Sie lieber Fisch essen wollen, dann schlägt er einen Baby Steinbutt vor. Sonst müssen Sie in die Speisekarte schauen, Sie werden sicher etwas finden. Man isst hier ausgezeichnet.“

       Schubert war Stammgast in dem Nobel Restaurant. Das sah man ihm durchaus an, sein gutmütiges Gesicht ruhte auf einem fülligen Körper. Aber er kleidete sich vorteilhaft, so dass er eine gepflegte Erscheinung abgab. Er war mit Dr. Pauli freundschaftlich verbunden und gehörte dem Beirat der Firma seit Jahren an.

       Die Bestellung wurde aufgegeben und man nahm einen Aperitif.

       „Ich habe eben von der Wehrtechnik die letzte Ausgangsrechnung und die entsprechenden Buchungen mitgebracht. Es ist der Umsatz noch um rund 15 Mio. gestiegen. Die Buchhaltung hatte vergessen, die Rechnungen rechtzeitig rauszuschicken, aber Sie können sie noch in die Bilanz nehmen“, eröffnete Pauli das Gespräch, „wir sind sehr froh, denn nun können wir den Gewinn in Höhe von ca. 7 Mio. ausweisen. Das dürfte ausreichend sein um unsere Banken und Anteilseigner zufriedenzustellen.“

       „Das sollte ausreichend sein“, bestätigte auch Dr. Schubert zufrieden. „Ich hoffe nur, dass Ihnen der Umsatz nicht im nächsten Jahr fehlt.“

       „Wird er nicht! Wir hatten heute Morgen ein ausführliches Gespräch mit unseren Geschäftsführern der operativen Gesellschaften. Die sind alle mit dem derzeitigen Geschäftsverlauf sehr zufrieden. Wir werden, wenn alles gut geht, das Planziel für das nächste Jahr von 8 Millionen Mark Ergebnis sicher erreichen, wahrscheinlich weit übertreffen.“

       „Hört sich gut an.“

       „Außerdem wollen wir noch in diesem Jahr an die Börse. Wir hatten darüber neulich ausführlich gesprochen. Deshalb brauchen wir ganz schnell die von Ihnen testierte Bilanz, können Sie sie bis Anfang der kommenden Woche testieren?“

       „Das müsste gehen, wir sind ja praktisch fertig. Wenn Sie mir gleich eine Kopie der Rechnung mitgeben, machen wir die letzten Buchungen noch bis morgen. Dann haben Sie die Bilanz am Montag.“ Dann fragte er vorsichtig: „Wenn Ihre Firma in diesem Jahr in eine börsennotierte Aktiengesellschaft umgewandelt wird, bleiben wir dann Ihr Wirtschaftsprüfer?“

       „Davon dürfen Sie mit Sicherheit ausgehen, wir werden unsere alten Freunde doch nicht aufgeben. Sie haben uns die letzten zehn Jahre begleitet und das soll auch so bleiben.“

       „Zwölf Jahre“, korrigierte Schubert.

       „Wie die Zeit vergeht! Es waren nicht immer leichte Jahre, aber wir haben es immer geschafft. Jetzt mit der Aussicht auf ein vergrößertes Kapital können wir ganz anders arbeiten. Wir haben große Projekte ‘in der Pipeline‘ und gerade vor wenigen Tagen ‚wurde uns die Firma ‘Möbius Bauelemente GmbH‘ zum Kauf angeboten. Die Firma ist von Grund auf solide und passt hervorragend zu uns.“

       „Das hört sich alles gut an“, nickte Schubert schon ziemlich ermüdet von dem schweren Essen.

       Im Büro wartete die Sekretärin, Frau Feiner, bereits ungeduldig auf Dr. Pauli. Herr Hilbert von der German Bank hat noch mal angerufen und bittet um einen Rückruf. Ich verbinde Sie gleich.“

       Herr Hilbert gab Dr. Pauli namens des Vorstands der German Bank grünes Licht für den Börsengang, falls die Bilanz in Ordnung sei.

       Die Bilanz war bezüglich des ausgewiesenen Ergebnisses tatsächlich gut, zeigte aber eine zu geringe Eigenkapitalquote. Die wesentlichen Schwachstellen waren die hohen Warenbestände, sie machten fast 60% des Umsatzes aus. Pauli war von den Banken und auch von Herrn Schubert immer wieder auf die zu hohen Bestände aufmerksam gemacht worden, aber es gelang offenbar nicht, sie zu senken. Dazu wurde von den Geschäftsführern erklärt, die Warenbestände seien in dieser Höhe unbedingt notwendig, um die gute Lieferbereitschaft zu erhalten. Die Kunden forderten schnelle Lieferung, vor allem bei der Ersatzteilversorgung. Aber man arbeite daran und werde weiter versuchen, die Bestände abzubauen.

       Außerdem bereiteten die hohen Außenstände erhebliche Sorgen, insbesondere die Forderungen an die konzerneigenen Tochtergesellschaften im Ausland. Als Erklärung gaben die Verantwortlichen an, es handele sich um die Finanzierung langfristiger Projektgeschäfte mit staatlichen Stellen, die für ihre langsame Zahlungsweise bekannt seien. Aber die Zahlungen wären in jedem Fall gesichert. Die German Bank machte, neben anderen Banken, gute Geschäfte mit Pauli, und da die Ergebnisse seit Jahren gleichbleibend positiv waren, gab es auch keinen Grund zur Beunruhigung. Man befand sich in gutem Einvernehmen mit der Firmenleitung.

       Die Geschäftsführung genoss hohes Ansehen nicht nur bei den Banken, auch im Unternehmerverband sprach man nur mit Hochachtung von Dr. Pauli. Man hatte ihm unlängst eine herausragende Stellung in diesem für die Wirtschaft des Landes so wichtigem Verband angeboten. Da er auch zur Landesregierung, speziell zum Ministerpräsidenten, eine sehr gute Beziehung hatte, sprach alles für ihn. Pauli hatte aber stets unter Hinweis auf seine hohe Arbeitsbelastung mit Dank abgewinkt. Es hätte ihn durchaus gereizt, schmeichelte auch seinem ‘Ego‘, aber er sah keine Möglichkeit, die notwendige Zeit aufzubringen. Jeder hatte dafür Verständnis, bedauerte aber doch die Absage. Man hätte sich mal wieder einen richtigen Mittelständler in hoher Funktion gewünscht, nicht immer einen Vertreter der Großindustrie, der die Sorgen und Nöte des Mittelstandes doch nicht verstehen könnte.

       Die folgenden Verhandlungen mit den Banken über den Börsengang zogen sich über Monate hin, verliefen aber insgesamt positiv. Pauli strebte eine breite Streuung des Aktienbesitzes an. Er wollte keinesfalls einen Großaktionär, der möglicherweise später einmal durch gezielte Zukäufe von Aktien einen beherrschenden Einfluss auf seine Firma gewinnen könnte. Aus diesem Grund wurde das Kapital in namenrechtslose Vorzugsaktien und in stimmberechtigte Stammaktien geteilt. Dr. Pauli wollte unbedingt den beherrschenden Einfluss behalten, brauchte aber dringend neues Kapital.

       „Ein breiter Streubesitz ist für uns das Beste, was uns passieren kann“, sagte er immer wieder zu seinem Kollegen und seinen Geschäftsführern, „wir erschließen uns den Zugang zum Kapitalmarkt und behalten unsere Selbständigkeit.“

       In diesem Sinne verhandelte er auch mit den Banken, insbesondere mit Herrn Hilbert, und man verständigte sich dementsprechend mündlich in einem Gentlemans Agreement. Größere Aktienpakete sollten nur von Kapitalanlegern erworben und gehalten werden, die keine eigenständigen industriellen Interessen verfolgten. Versicherungsgesellschaften waren willkommen ebenso wie Banken und auch Versorgungsunternehmen, keinesfalls aber Maschinenbauer, Elektronikfirmen und Hersteller von militärischen Gütern. Dabei wurde die Sicherung des Know-hows offiziell immer besonders betont, für den Vorstand ging es aber um die Wahrung der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit. Außerdem wollte man keinen tieferen Einblick in das interne Geschäftsgebaren gewähren.

      7.

      Schwatzhafter Vogel

      Ich hatte noch eine geraume Weile so dagesessen ohne dass sich irgendetwas von Bedeutung getan hätte. Ich starrte in die Gegend, die Kellnerin ging ihrer gewohnten Arbeit nach. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ein Spatz setzte sich auf meinen Tisch und pickte die Krümel, die mein Vorgänger hinterlassen hatte. Er hatte keine Angst vor mir, hätte aber auch die Freiheit davonzufliegen, wenn ich ihm zu nahegekommen