Arnulf Meyer-Piening

Doppel-Infarkt


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dann das Flugzeug und die Yacht, Wohnungen in Florida und auf Sylt.

       Dennoch hatte Beyer ein Gefühl, als ob nicht alles so war, wie es schien. Man würde sehen – oder auch nicht. Vielleicht war er zu kompromisslos und direkt gewesen? War der Preis zu hoch angesetzt gewesen? Ein neuer Auftrag konnte gerade jetzt nichts schaden, wo der Stein-Auftrag so abrupt zu Ende gegangen war. Das Team musste beschäftigt werden. Die Auslastung des Büros war ein wichtiger Erfolgsfaktor in der Jahresbewertung für den Bonus und das Gehalt im kommenden Jahr. In jedem Fall würde er sich nach seiner Rückkehr aus Chicago wieder bei Pauli melden. Im Übrigen, die Frau Pauli ist eine ganz bezaubernde Frau, charmant und warmherzig. Sie war wohl die einzige in der Familie, die ihrem Mann widersprach, die Söhne taten es sicher nicht – oder jedenfalls nicht in Gegenwart von Dritten.

      6.

      Ein Glas Wasser

      „Möchten Sie noch etwas trinken oder etwas essen?“ fragte die Kellnerin.

      „Ach, bitte bringen Sie mir ein Glas Wasser“, sagte ich leise.

      „Ist Ihnen nicht gut? reagierte sie erschrocken. „Sie sehen blass aus!“

      „Ich bin nur ziemlich müde“, wehrte ich ab. „Ich weiß auch nicht recht, was mit mir los ist. Mir ist etwas schwindelig.“

      „Wenn ich Ihnen ein Aspirin bringen soll, sagen Sie es.“

      „Ja, danke, das wäre vielleicht ganz gut.“

      Sie brachte eine Tablette mit einem Glas Wasser und ich hoffte auf Besserung.

      „Möchten Sie sich vielleicht etwas hinlegen, wir haben drinnen im Nebenraum eine Couch“, meinte sie besorgt.

      „Nein, vielen Dank, Sie sind sehr nett zu mir, aber ich werde mich gleich wieder besser fühlen. Es ist sehr schön hier“, sagte ich zur Ablenkung, obwohl ich es in diesem Augenblick wirklich nicht so schön fand. Im Gegenteil, die Terrasse hätte dringend mal einer Renovierung bedurft. Aber ich wollte freundlich sein, schließlich konnte sie ja nichts dafür, dass es mir nicht gut ging.

      „Sie sind nicht aus dieser Gegend?“ fragte sie. Es war eigentlich eine sinnlose Frage, denn es war nur zu deutlich zu sehen, dass ich nicht von hier war, außerdem hatte ich nie zuvor das Lokal betreten. Was auch immer sie zu der Frage bewegt haben mochte, es war mir egal.

      Ich schüttelte vorsichtig meinen Kopf. „Nein, ich wohne hier erst seit knapp zwei Jahren. Eigentlich wohne ich in Berlin, aber ich arbeite hier in der Nähe und habe meine Wohnung dort drüben. Die benutze ich nur drei Tage in der Woche, dann fliege ich wieder nach Hause.“

      Sie entschuldigte sich, um andere Gäste zu bedienen. Sie tat es mit professioneller Hingabe und offensichtlicher Freude an ihrer Arbeit in der angenehmen Umgebung.

      Ich fühlte mich elend und hilflos und war froh, als sie wieder zurückkam und sich an meinen Tisch setzte. Das war eigentlich eher ungewöhnlich, im Allgemeinen setzte sich eine Kellnerin nicht an den Tisch eines Gastes, die sie kaum kannte. Aber sie tat es, aus welchem Grund auch immer.

      „Ist Ihre Frau jetzt in Berlin? Es wäre besser, wenn sie kommen würde. Ich glaube, Sie brauchen Hilfe.“

      „Ja, sie sorgt dort für unser Haus.“

      „Es wäre besser, wenn sie jetzt hier bei Ihnen wäre, ich glaube, Sie brauchen Hilfe“ wiederholte sie. Offenbar war es ihr wichtig.

      „Ja, das wäre sicherlich gut“, sagte ich mit schwacher Stimme. „Wenn sie hier wäre, aber das ist jetzt nicht möglich, natürlich wäre das viel besser.“

      „Ist es nicht sehr anstrengend, so jede Woche hin und her zu fliegen? Ich glaube, ich könnte das nicht“, schwatzte die Kellnerin drauflos. Wahrscheinlich tat sie das immer, wenn ein neuer Gast das Lokal betrat.

      „Mir macht das Fliegen nichts aus, ich bin früher selber geflogen mit einer kleinen Maschine. Ich fliege gern.“ Ich weiß nicht, warum ich das sagte, aber vielleicht wollte ich ein neutrales Thema finden.

      „Trotzdem, ich finde es anstrengend, so oft in einem anderen Ort zu sein.“

      „Nein, es macht mir nichts aus“, wiederholte ich ohne Überzeugung.

      „Haben Sie hier sonst niemanden, der sich um Sie kümmert?“ wollte sie wissen.

      Ich schüttelte den Kopf. Mir schien die Frage ziemlich direkt und auch irgendwie indiskret zu sein.

      „Haben Sie keine Kinder?“

      „Drei, aber sie sind über ganz Deutschland verstreut. Mein ältester Sohn lebt in Kevelaer, der zweite im Elsass und meine Tochter in München.“

      Mit dieser Information konnte sie nichts anfangen, aber jedenfalls lenkte sie von diesem Ort ab.

      „So weit weg? Ja, dann können sie sich wirklich nicht um Sie kümmern“, sagte sie mitleidsvoll, „entschuldigen Sie, aber ich muss weiterarbeiten.“

      Sie stand auf, ging und ließ mich mit meinen trüben Gedanken allein. Irgendwie beneidete ich sie um ihren Job, denn sie wusste jeden Tag genau, was sie zu tun hatte, und außerdem war die Gegend schön, und sie war jeden Tag zu Hause. Vielleicht hatte sie einen Freund oder einen Mann, was auch immer. Jedenfalls braucht jeder Mensch einen Partner. Bei den Tieren ist es auch so.

      Schleppender Geschäftsgang

       In der folgenden Woche hatte Dr. Pauli die sogenannte ´Dienstagsbesprechung` bereits auf acht Uhr angesetzt, kam selbst jedoch erst gegen neun, gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Kramer. Er hatte mit ihm im ‘Goldenen Engel‘, einem gemütlichen Café ganz in der Nähe des Büros, gefrühstückt und dabei die gemeinsame Linie für die geplanten Auftragsverhandlungen mit Kanders abgestimmt, das heißt, Pauli hatte sie festgelegt und Kramer hatte zugestimmt. Die Geschäftsführer Fritz Pauli, Oderbruch, Winter, Suter und Ceponek Fritz Pauli warteten wie gewöhnlich geduldig.

       Dr. Pauli eröffnete des Gespräch: „Ich habe vor ein paar Tagen mit einem Dr. Beyer, einem Partner von Kanders Management Consultants, einer großen internationalen Unternehmensberatungsgesellschaft, gesprochen. Wir“, und dabei machte er eine Handbewegung zu seinem Kollegen, „beabsichtigen eine `strategische Ressourcen-Analyse` durchführen zu lassen, um die Rentabilität unseres Unternehmens wesentlich zu verbessern. Es kann nicht angehen, dass wir von der Holding ständig die Verluste der operativen Gesellschaften ausgleichen müssen. Wir haben in den letzten Jahren zu wenig Geld verdient. Das von mir eingesetzte Kapital wird nicht ausreichend verzinst, jedenfalls könnte ich an der Börse mein Geld besser anlegen.“ Er blickte in die die Runde. Sein Bruder Fritz blickte mürrisch auf den Tisch vor sich, obwohl es dort gar nichts zu sehen gab. Die anderen Herren hörten aufmerksam zu.

       „Wenn ich nach dem Börsengang meine Aktien verkaufe und das Geld auf die Bank bringe, erhalte ich ein Mehrfaches an Kapitalverzinsung und das ohne jedes Risiko! Dann können Sie sich alle einen neuen Job besorgen“, fuhr Dr. Pauli barsch fort, seine Stimme wurde immer lauter und er gestikulierte mit steigender Heftigkeit. Das war eine deutliche Drohung und wurde von allen auch so verstanden. Und er fuhr fort: „Wir haben für den geringen Umsatz viel zu viele Leute an Bord. Zweihunderttausend Mark Umsatz pro Kopf ist viel zu wenig, sagte auch Herr Beyer, es müssten mindestens 250 oder 300 tausend sein. Sie können selber rechnen, das sind insgesamt 150 oder 200 Mitarbeiter zu viel. Sie betreiben Ihre Geschäfte nicht effizient. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Leute richtig arbeiten und nicht ständig krankfeiern oder sonst etwas machen, was uns nur Kosten verursacht und kein Geld in die Kasse bringt.“

       Betretenes Schweigen in der Runde. Schließlich ergriff Fritz Pauli das Wort: „Du weißt, dass die Geschäfte zurzeit nicht so gut laufen wie früher. Wenn wir erst die neue Produktpalette stehen haben, können wir auch wieder aggressiver am Markt auftreten und die Fertigungskosten senken. Außerdem steht der Dollar schlecht, das allein kostet uns rund 2 Millionen