Arnulf Meyer-Piening

Doppel-Infarkt


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er recht, dann rollen Köpfe in der Regierung. Aber die brauchen sich ja keine Sorgen zu machen, sie behalten ihre fetten Pensionen, und in jedem Fall muss der Steuerzahler die Kosten tragen.

       Nur mit Mühe konnte sich Beyer auf das übrige Tagesgeschäft konzentrieren. Er blätterte die bisher noch ungelesene Eingangspost durch, Projektabrechnungen und Firmenberichte, Anfragen für Vorträge in Management- und Fortbildungsseminaren. Und natürlich Berge von Werbung.

       „Reine Zeit- und Geldverschwendung“, grantelte er zur eigenen Ablenkung. „Ob die wohl wissen, an wen sie das Werbematerial schicken? Wahrscheinlich hat irgendeine Marketing Gesellschaft uns in ihrer Adressendatei gespeichert, und einer schreibt von dem anderen ab. Was da für ein Geld verschleudert wird, völlig sinnlos.“

       Das wichtigste Schriftstück war eine Anfrage von Siemens in Erlangen. Sie wollten ein Gemeinkosten-Senkungsprogramm in einem ausgewählten Werk durchführen und baten um eine Präsentation. „Offenbar eine Standard-Anfrage an alle namhaften Berater“, dachte Beyer und machte sich eine entsprechende Notiz. Wir haben ja gerade ein gutes Team verfügbar, das kann diese Woche schon mal recherchieren. „Heinz soll das in die Hand nehmen“, beschloss er und reichte die Notiz an seine Sekretärin. Sie würde dafür sorgen, dass nichts unerledigt blieb und verlorenging.

       „Da ist ein Anruf für Sie“, unterbrach Frau Schmidt seine Gedanken. „Ein Dr. Pauli oder so ähnlich, ich habe den Namen nicht richtig verstanden. Er schwäbelte so“, fügte sie entschuldigend hinzu. Als Rheinländerin konnte sie sich nur schwer an den schwäbischen Dialekt gewöhnen.

       Beyer ließ sich mit Pauli verbinden und sie vereinbarten einen Termin für den nächsten Tag.

       „Was der wohl will?“ Beyer lehnte sich nachdenklich in seinem Sessel zurück und blickte aus dem Fenster in die belebte Einkaufsstraße. „In seiner Firma scheint es zu brennen.“

       „Vor dem ersten Gespräch muss ich so viel wie möglich über die Firma Pauli wissen: Bitte besorgen Sie aus unserem Archiv alles was Sie an wichtigen Unterlagen über die Firma Pauli finden können: Bilanzen, Zeitungsauschnitte“, beauftragte er seine Sekretärin.

       Frau Schmidt machte sich Notizen: „Es ist 16 Uhr, soll ich sie jetzt mit Mr. Stones verbinden?“

       Kurz darauf hatte er Jack Stones in der Leitung. „Euer Team hat den ‘Great Client Award‘ gewonnen. Kannst Du morgen nach Chicago kommen“, fiel dieser nach kurzer Begrüßung gleich mit der Tür ins Haus, „wir wollen mit dir die Einzelheiten der Preisübergabe besprechen.“

       „Können wir das nicht telefonisch machen, ich stehe im Moment ziemlich unter Druck. Walter Stein, einer von unseren wichtigen Klienten, steckt mit seinem Unternehmen in der Klemme. Da läuft eine unangenehme Sache“, entgegnete Beyer.

       „The client comes first, I know, trotzdem wäre es gut, wenn du schon morgen kommen könntest, denn wir wollen außerdem mit dir die Fortsetzung der Studie über die Strategische Bedeutung der Informations- und Kommunikations-Technologien besprechen. Wir haben nämlich gerade alle wichtigen Spezialisten hier versammelt. Wir wollen die Untersuchung auf Japan ausdehnen, und du müsstest das übernehmen. denn du hast sie für Europa gemacht und kennst dich in den Details aus.“

       Der ‘Great Client Award‘ war eine Auszeichnung der Firma für ganz besonders hervorragende Beratungsleistungen. Sie diente gleichzeitig als Ansporn für alle Berater, die Leistungen zu steigern und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen. Um in die Auswahlliste zu kommen, musste ein Umsatz von mindestens 500.000 US Dollar mit dem Klienten erreicht worden sein und eine interne Qualitätsbewertung durch eine unabhängige Kommission musste nach genau festgelegten Kriterien einen Wert von mindestens neun von zehn Punkten erbracht haben. Anschließend wurde die Arbeit der Kandidaten genauer unter die Lupe genommen: Haben die Empfehlungen dem Klienten tatsächlich den versprochenen Nutzen gebracht? Hat das Projekt zu Folgeaufträgen geführt? Wurden die Kundenanforderungen in vollem Umfang berücksichtigt? Hat der Klient die Arbeiten des Teams unterstützt? Wie war die interne Kommunikation zwischen Berater und Klienten?

       In diesem Fall wurden die Erwartungen des Klienten in vollem Umfang erfüllt: Es handelte sich um einen weltweit operierenden Anbieter von Telefondienstleistungen, die im Auftrag ihrer Kunden Anrufe entgegennahmen, Wünsche und Bestellungen weiterleiteten und Fragen beantworteten. Bereits zwei Monate nach Abschluss des Projektes waren die Empfehlungen zu 85% in die Tat umgesetzt worden. Die Call Center Response Rate des Klienten erhöhte sich von 30 auf 95%, die Call Center Success Rate verbesserte sich von 30 auf 80%. Auch die Leistungen im Direktverkauf konnten erheblich gesteigert werden.

       Es war gut, dass diese Auszeichnung im Wesentlichen den Beratern des Stuttgarter Büros zuteilgeworden war, es stützte die internationale Reputation des Büros, und man konnte sie auch für die gezielte Kundenwerbung nutzen. Aber in erster Linie galten sie der Motivation der Berater durch Anerkennung durch das Board. Hervorragende Leistungen waren immer willkommen. Nicht alle Projekte verliefen erfolgreich, es gab auch echte Flops, bei denen der Klient fast überhaupt keine der Vorschläge in die Tat umsetzte. Manchmal lag es daran, dass die eingesetzten Berater zu jung und unerfahren waren, manchmal wurde das tatsächliche Problem nicht richtig verstanden, gelegentlich arbeitete der Klient nicht richtig mit, weil das Projekt nur von der Geschäftsführung, nicht aber von den nachgeordneten Führungskräften und Mitarbeitern getragen wurde. Dies war vor allem bei Kostensenkungsprojekten der Fall, bei denen die Geschäftsführung die Erträge steigern und die Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze erhalten wollten. Einige Projekte waren auch reine Alibi-Projekte, bei denen der Vorstand nur beweisen musste, dass er etwas tat, aber niemand war wirklich an den Ergebnissen interessiert. So waren die Beratungsleistungen von vielen Faktoren abhängig, die nicht immer vom Berater zu beeinflussen waren.

       Neben den klassischen Beratungsprojekten wurde auch eine Anzahl von Studien durchgeführt, die eher wissenschaftlichem Erkenntnisdrang zuzurechnen waren. Sie dienten auch der Selbstdarstellung des Hauses im Bereich der Universitäten, deren besonders qualifizierte Absolventen man dringend brauchte. Beyer hatte zur diesem Zweck in Europa und in den USA eine Marktanalyse über die strategische Bedeutung der Informations- und Kommunikations-Technologien gemacht. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass die erfolgreichen Unternehmen die Informations- und Kommunikations-Technologien weit intensiver nutzten als die weniger erfolgreichen. Der Zusammenhang war eindeutig und in dieser Klarheit so nicht erwartet worden und sorgte auch intern für eine erhebliche Aufmerksamkeit. Das Board hatte offensichtlich beschlossen, die Studie international auszuweiten. Wegen der herausragenden Bedeutung der Japaner auf diesem Sektor, wollte man die IT-Studie dort fortsetzen. Außerdem erhoffte man sich durch die Veröffentlichung der Ergebnisse in Japan einen positiven Marketing-Effekt. Sicher würde man mit einer Anzahl von Firmen in Kontakt kommen, zu denen bisher noch keine Verbindung hergestellt worden war. Voraussetzung war allerdings, dass die Ergebnisse in etwa auf der Linie wie in Europa lagen oder bei Abweichungen eine plausible Erklärung boten. Die Aufgabe reizte Beyer, und er würde sie gerne übernehmen. Dazu müssten aber die von ihm in Deutschland vereinbarten Klienten Termine verschoben oder auf andere Partner verteilt werden.

       Die Weitergabe von Klienten an andere Partner war immer ein Problem. Jahr für Jahr wurde von allen Partnern gemeinsam beschlossen, dass nur die jeweils für eine bestimmte Problemstellung geeignetsten Berater, Prinzipals und Partner eingesetzt werden sollten. ‘The client comes first‘ lautete der gängige Slogan.

       Die Realität sah aber anders aus. In Wirklichkeit bestand die Partnerschaft aus einer Art Franchise-Unternehmen unter gemeinsamen Dach und unter gemeinsamer Nutzung der Service-Funktionen. Darüber hinaus war sich jeder selbst der nächste und wachte sorgsam über seine Klienten und das sich daraus ergebende Geschäftsvolumen. Davon hing am Jahresende bei der Beurteilung der sogenannten „Year-end-performance“ der Bonus ab, und das machte im günstigen Fall zwischen 20 und 30% des Jahresgehalts aus. Auch die Anzahl der Firmenanteile, die man erwerben durfte, hing