Arnulf Meyer-Piening

Doppel-Infarkt


Скачать книгу

machen, was er wollte.

       Fritz Pauli war das ganze Gegenteil von Oderbruch. Er sprach hastig und mit aggressiven Unterton. In Gegenwart von Oderbruch konnte er sogar ironisch und verletzend werden, wobei er die direkte Anrede mied. Jedenfalls gab es eine ausgeprägte Rivalität zwischen den beiden.

       Oderbruch wurde von Dr. Pauli oft vorgezogen und nur selten offen und vor allem nicht in Gegenwart anderer Geschäftsführer kritisiert. Fritz empfand dies als persönliche Herabsetzung durch seinen Bruder. Er hätte sich dagegen gewehrt, wenn er eine andere berufliche Perspektive gehabt hätte. Auch er war nur durch seinen Bruder in diese Führungsposition gelangt. Man erzählte sich sogar, hinter vorgehaltener Hand, dass er als Marketingleiter eines größeren Unternehmens früher einmal Schiffbruch erlitten habe. Andererseits hatte er vor Jahren durch seinen tatkräftigen Einsatz die Firma vor einer Schieflage bewahrt. So hatte sich eine gegenseitige Abhängigkeit ergeben. Der große Bruder befahl und der kleine Bruder folgte, wenn auch zunehmend verdrossen.

       Oderbruch war fast von Anfang an mit dabei gewesen und hatte die kleine Firma mit aufgebaut. Er war damals Doktorand, als Pauli Assistent am Institut für Schwingungstechnik bei Professor Karlstadt an der TH Karlsruhe war. Oderbruch leitete seit vielen Jahren die Gesellschaft für Micro-Technik, eine 100%ige Tochtergesellschaft der Pauli Holding. Er war seit dieser Zeit mit Pauli befreundet, deshalb duzten sie sich.

       Es gab übrigens auch eine Begebenheit, die mindestens 25 Jahre zurücklag, und das etwas delikate Verhältnis zwischen den beiden begründete, aber nie zur Sprache gekommen war: Die damalige Freundin von Oderbruch wandte sich Dr. Pauli zu, der sie kurze Zeit darauf heiratete.

       Oderbruch war nie drüber hinweggekommen. Er heiratete wenig später seine Fran Hanna, eine engagierte Frauenrechtlerin, die versuchte in einer linken Partei Karriere zu machen. Diese Ehe wurde oft durch unterschiedliche politische Ansichten belastet, so dass der Dialog auf das Notwendigste beschränkt wurde. Man sprach schon offen von Trennung oder sogar von Scheidung. Beide hatten jeweils wechselnde Beziehungen zu anderen, was immer häufiger zu gegenseitigen Vorwürfen führte. Oderbruch machte dafür insgeheim seinen `Freund` Pauli verantwortlich, sprach dies aber niemals offen aus.

       „Also“, setzte Oderbruch die begonnene Antwort fort, „in der Tat könnten wir mehr Geld für dringend erforderliche Investitionen gebrauchen. Unsere Bearbeitungszentren sind nun zehn Jahre alt und bringen nicht mehr die geforderte Qualität. Wir können die von unseren Auftraggebern geforderten engen Toleranzen nicht mehr einhalten, und der Ausschuss steigt. Das kostet uns viel Geld ruiniert unsere Reputation.

       Auch Winter war ähnlicher Meinung: „Wir haben in den letzten Jahren kaum noch Ersatzinvestitionen getätigt, von Neuanschaffungen hochwertiger Maschinen ganz zu schweigen. Irgendwann brauchen wir neue Messmaschinen, auch brauchen wir dringend Geld für Neuentwicklungen. Mit der vorhandenen Produktlinie können wir nicht mehr lange existieren und unsere Expansionspläne erfüllen.“

       Schließlich ergriff auch Fritz Pauli das Wort: „Wenn du mit deiner Firma wirklich an die Börse gehen willst, dann müsste eine Neuverteilung der Verantwortlichkeiten stattfinden. Die operativen Gesellschaften müssten selbständig werden und ergebnisorientiert handeln können. Und der Vorstand der AG müsste sich auf die Koordination der Firmen und die Vertretung nach außen beschränken.“

       Fritz Pauli hatte damit einen wichtigen Punkt angesprochen, der immer wieder zu Missstimmung zwischen den Brüdern führte, nämlich der direkte Eingriff von Dr. Pauli und seinem Kollegen in das Tagesgeschäft. Dr. Pauli reagierte nicht auf diese Bemerkung, die ja für ihn nicht neu war, und murmelte nur beiläufig: „Natürlich wird eine neue Aufgabenverteilung zwischen dem Vorstand und den Gesellschaften stattfinden. Aber ich wollte jetzt nur Ihre grundsätzliche Meinung zum Börsengang hören. Ich kann also davon ausgehen, dass Sie alle das Vorhaben mit ganzer Kraft unterstützen werden.“

       Dass er Ceponek gar nicht zu dem Thema gehört hatte, verwunderte niemanden, obwohl es gerade das Finanz- und Rechnungswesen in besonderem Ausmaß berührte.

      4.

      Am Scheideweg

      Die leicht hügelige Landschaft lockte zum Verweilen, zum Schauen und Entspannen. Schritt für Schritt war ich den asphaltierten Weg in Richtung See hinuntergegangen, hatte oft angehalten, die Blumen am Wegesrand betrachtet und nach Luft gerungen. Eigentlich war es nicht mehr so warm, die Sonne stand jetzt schon ganz tief im Westen knapp über den Bäumen und würde bald untergehen. Aber ich schwitzte wieder an Stirn, Händen und Füßen. Es war ein unangenehmer kalter Angstschweiß. Angst, wovor denn eigentlich? Ich kannte eigentlich keine Angst. Angst hat man nur vor einer unbekannten Gefahr, ich kannte nur Herausforderungen, die es zu bewältigen gab. Man musste nur stark genug sein.

      An einer Biegung gabelte sich der Weg, links ging es ziemlich eben an Feldern vorbei, von wo aus ich einen freien Blick auf die überdimensionierte Villa Hügel hatte. Die Villa Hügel, dachte ich, war Ausdruck einer Zeit des ungehemmten industriellen Aufschwungs, wie wir es uns heute kaum noch vorstellen können. Dort hatte Alfred Krupp seine opulenten Empfänge gegeben, alle Größen der Wirtschaft und der Politik gaben sich bei dem bedeutenden Waffenhersteller die Türklinke in die Hand, sogar der Kaiser war zur Hochzeit seiner Tochter erschienen. ‚Ja, dachte ich, das war ein stahlharter Mann gewesen, aber welchen Preis hat er schließlich dafür zahlen müssen! Die Firma Krupp verdankte vor dem ‘Ersten Weltkrieg‘ ihren phänomenalen Aufstieg insbesondere durch seine Waffenproduktion, unter anderen gefördert durch den Deutschen Kaiser Wilhelm II. Aber auch ausländische Potentaten bedienten sich gerne seiner Waffentechnik. Die Qualität seiner Produkte – und insbesondere sein Stahl – waren erste Klasse. Dann kam der Zusammenbruch mit Demontage und Besetzungen, Reparationszahlungen und Enteignungen. Der wirtschaftliche Abstieg der Firma war dramatisch.

      Danach begann mit dem ‘Dritten Reich‘ und der Wiederbewaffnung Deutschlands der Aufstieg. Erneut wurden Waffen produziert. Überall wurden Werke möglichst gegen feindliche Bomberangriffe gesichert, errichtet. Und nach dem ‘Zweiten Weltkrieg‘ lagen die Werke in Schutt und Asche. Ein desaströses Auf und Ab. Mitarbeiter wurden eingestellt und entlassen. Schlimme Schicksale waren die Folge. Schon allein dieser Gedanke belastete mich stark.

      Ich setzte mich erschöpft an den Wegesrand auf einen Stein und die Bilder der Vergangenheit reihten sich wie in einem Film aneinander.

      So ähnlich war es auch meiner Familie gegangen, wenn auch nicht in den gleichen Dimensionen. Doch auch sie hatte zwei Weltkriege und deren Folgen überstanden, hatte immer wieder von Neuem angefangen, wenn wieder alles zerstört gewesen war. Beide Elternteile hatten sich als stark erwiesen, hatten sich tapfer durchs Leben gekämpft und dabei ihren Frohsinn bewahrt, wenn es ihnen auch nicht immer leichtgefallen war. So würde ich es auch versuchen. Und ich würde es schaffen! Weil ich es wollte.

      Kanders Management-Consultants

       Frau Schmidt, Beyers langjährige Sekretärin strahlte ihren Chef an. Sie kannte ihn schon aus der Zeit, als er noch Berater in Düsseldorf war. Sie hatte seine erfolgreiche Karriere in allen Phasen miterlebt, freute sich mit ihm, als er zunächst zum Manager, dann zum Prinzipal ernannt wurde und letztlich zum Partner gewählt worden war. Sie war ihm vom Rhein an den Neckar gefolgt, weil sie die Zusammenarbeit mit ihm schätzte, ohne Anhang war und auch sonst wohl keinen großen Bekanntenkreis besaß. Für sie war die Firma ihr zentraler Lebensinhalt.

       Der Empfangsbereich im Stuttgarter Büro in der Königstrasse war wie fast alle Büros von Kanders einheitlich mit sorgfältig ausgesuchten Möbeln aus Chrom und grauen und schwarzen Hölzern geschmackvoll gestaltet. Von einem Mittelgang zweigten die Räume der Berater ab. Die Türen standen im Allgemeinen immer offen, um die interne Kommunikation zu fördern. An diesem Tag waren nur drei Berater, ein Manager und ein Prinzipal im Büro. Der Rest der Berater arbeitete für Klienten irgendwo in der westlichen Welt. Beyer begrüßte kurz seinen Kollegen, Heinz Müller und ging