Persönlichkeit. ‚Man müsste vorsichtig sein‘, dachte er, ‚man wird ihm nicht in jedem Fall und unbedingt trauen können.‘
Der Hausherr tischte den Wein in schlanken Karaffen auf. Sie probierten den Weißen und den Rosé und jeder entschied sich dann individuell entweder für den einen oder für den anderen. Nach ein paar Gläsern war der Abend von fröhlicher Heiterkeit geprägt.
„Sollten wir nicht lieber etwas Essen gehen?“ meinte Frau Beyer, „ich merke den Wein schon jetzt.“
„Ich glaube, wenn wir so weiter trinken, ist auch morgen nicht an einen Rückflug zu denken, sagte Pauli, ihr Jungen, ihr bleibt aber bei Wasser, verstanden? ihr müsst uns morgen heil nach Stuttgart fliegen!
„Versteht sich von selbst“, sagte Andreas etwas vorwurfsvoll. Dabei blickte er gleichgültig aus dem Fenster.
„Darf ich mal mit meiner Frau telefonieren? erkundigte sich Pauli.
„Ja, sicher, bedienen Sie sich“, sagte Beyer und wies mit der Hand zur Anrichte.
„Hier auch Pauli“, hörte man ihn sagen, „wir kommen heute nicht zurück, die Maschine steht noch in Fréjus. Wir sind jetzt in Port Grimaud bei einer Familie Beyer, die wir auf dem Flugplatz kennengelernt haben. Stammt aus Stuttgart … Wir konnten nicht starten wegen des starken Mistrals … Ja, mit der Maschine ist alles ok, sie ist fest am Boden verankert … Nein, es kann nichts passieren … Wir bleiben über Nacht … Sehen uns morgen, sage bitte morgen Frau Feiner in der Firma Bescheid. Nein, sie ist jetzt nicht mehr dort. Wer hat angerufen? … Oderbruch? … Sage ihm, wir fliegen morgen früh los und werden gegen 10 Uhr in der Firma sein … Schönen Abend noch … Adele, gute Nacht.“
Die sechs gingen in das nahe gelegene Restaurant ‘Oasis‘. Die Inhaberin, Madame Berliet, begrüßte die Gäste.
Man wählte den Tisch am Fenster mit Blick auf die Marina gleich neben der Bootswerft. Es lagen noch viele Boote aufgebockt auf Land. Zu dieser frühen Jahreszeit wurden die Yachten in der Werft überholt und auf die Segelsaison vorbereitet.
„Was für eine Verschwendung, jeder will seine eigene Yacht und nutzt sie dann durchschnittlich nur fünfzehn Tage im Jahr“, bemerkte Beyer etwas wehmütig.
„Nutzen Sie ihre Yacht häufiger als das?“
„Ich fürchte nein, aber ich will auch nicht auf meine eigene Yacht verzichten, es ist doch etwas anderes als eine Charter-Yacht.“
„Da haben Sie recht, auch ich schlafe nicht gern in fremden Betten.“
„Man kann es nicht immer vermeiden, wenn man so viel auf Reisen ist wie ich, aber hier in Frankreich sind wir zu Hause, an Land und auf dem Schiff! „
Die Chefin des Hauses war eine typische Südfranzösin, untersetzt, etwas korpulent, nicht gerade schön, aber doch irgendwie attraktiv und von gewinnender Freundlichkeit. Man fühlte sich in ihrem Lokal immer gut aufgehoben. Der Reihe nach wurde bestellt, Pauli wählte Gigot, Johannes Dorade, Herr und Frau Beyer Loup de Mèr, Michael und Andreas wählten ‘Steak au poivre‘.
„Dazu unser Rosé de la Maison?“, erkundigte sich die Wirtin.
„Der ist hier gut trinkbar“, sagte Beyer.
„Ja, und dazu eine Flasche Wasser“, entschied Pauli.
Das Essen war ausgezeichnet, und die sechs, so flüchtig sie sich auch kannten, verstanden sich ausgezeichnet. Man scherzte wie unter alten Freunden. Sogar Pläne für den kommenden Sommer erwogen und eine gemeinsame Segeltour nach Sardinien mit Zwischenstation in Korsika wurden geschmiedet.
„Wir müssen mal sehen, wie wir mit der neuen Yacht zurechtkommen, da kann ein erfahrener Skipper sehr hilfreich sein.“
Pauli war voll überschäumender Begeisterung.
„Wie der wohl als Vorgesetzter ist? ging es Beyer durch den Kopf. Er fand Pauli sympathisch, offen, aber in einigen Punkten merkwürdig unbesonnen und naiv. Während der kurzen Gesprächsphasen, die sich auf die aktuelle politische Lage bezogen, war eine extreme konservative Grundeinstellung zu erkennen. Besondere Kritik konzentrierte er auf den Arbeitsminister und insbesondere auf die Gewerkschaften, die seiner Meinung nach für die kritische Arbeitslage in Deutschland allein und ausschließlich die Verantwortung trügen. Die gelegentlichen Einwände seiner Söhne wurden mit unerwarteter Schroffheit zurückgewiesen, so dass sich diese im weiteren Gesprächsverlauf kaum noch zu einer eigenständigen Meinungsäußerung bewegen ließen. Allenfalls zustimmendes Nicken oder leichtes Neigen des Kopfes signalisierten ihre aufmerksame Gesprächsteilnahme. Besonders polemische und radikale Äußerungen ihres Vaters wurden wortlos mit einem kaum merklichen Blickwechsel zwischen den beiden begleitet.
Frau Beyer hatte die beiden jungen Männer seit längerer Zeit aufmerksam gemustert. Der ältere mochte so um die zweiundzwanzig Jahre alt sein, der jüngere wohl um die zwei Jahre weniger. Beide sahen gut aus, sportlich und liebenswürdig. Der ältere könnte was für unsere Tochter Sara sein, dachte sie insgeheim. Merkwürdig allerdings die Unsicherheit, wahrscheinlich aber nur in Gegenwart des Vaters.
„Und was machen Sie, meine Herren?“ fragte Frau Beyer in einer Gesprächspause.
„Wir studieren in Karlsruhe auf der Technischen Hochschule.“
„Beide die gleiche Studienrichtung?“
„Nein, ich studiere Maschinenbau und Michael studiert Elektrotechnik“
„Dann werden Sie bestimmt eines Tages die Firma Ihres Vaters übernehmen.“
„Ja, vielleicht, wenn wir gut sind. Jedenfalls möchte es Vater gerne.“
„Und Sie?“
„Ich wohl auch, aber ich hätte mir auch ein Medizinstudium vorstellen können“, meinte Andreas. „Mein Bruder Michael wollte eigentlich Soziologie studieren, aber Vater hielt das für brotlose Kunst.“
„Ja, ja, die Väter, die haben immer ihre eigenen Pläne mit ihren Söhnen, nicht wahr mein Schatz?“ Frau Beyer warf einen vielsagenden Blick auf ihren Mann.
„Man muss sie leiten und beraten, sie wissen oft noch gar nicht was sie wollen.“
„Ich bin ganz Iihrer Meinung, Herr Beyer“, und Pauli nickte dabei zustimmend.
„Man muss sie leiten. Nach dem Examen sollen sie in einer meiner Tochtergesellschaften, vielleicht in den USA oder England ihre ersten beruflichen Erfahrungen sammeln, anschließend kommen sie zu mir in die Zentrale, damit sie lernen, wie man ein Unternehmen erfolgreich führt“, sagte er in bestimmten Ton, der keinen Widerspruch duldete.
Bei diesen letzten Worten war eine gespannte Atmosphäre eingetreten. Die Söhne erwiderten nichts und die anderen hielten sich aus Höflichkeit mit ihrer Meinung zurück.
Dr. Johannes überbrückte die Stille und erzählte eine weitere Serie von Witzen, wobei die Christuswitze auf ein geteiltes Echo stießen. Etwas unvermittelt wandte er sich an Beyer.
„Wie ich höre sind Sie Unternehmensberater, bei welcher Firma, wenn ich fragen darf“, fragte er mit leicht ironischem Unterton.
„Ich bin Partner bei Kanders Management Consultants mit Sitz in Chicago.“