Harald Kanthack

EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF


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ein politisches Schlagwort. Barmherzig klang menschlicher. Barmherzigkeit kann aber nicht verordnet werden. Weshalb unsere Gesellschaft eine Solidargemeinschaft sein will, aber nicht ist. Eine Neidgesellschaft ist sie, will es aber nicht sein. „Das echteste Zeichen, mit großen Eigenschaften geboren zu sein, ist, ohne Neid geboren zu sein.“(La Rochefoucauld) Und wer wird schon mit großen Eigenschaften geboren? Daher wohl die mächtigste Genossenschaft die Neidgenossenschaft ist.

      "Je nachdem wie stark das Kamel ist, so schwer ist seine Last“, lautet ein jüdisches Sprichwort. Es wird wohl nie zu ermitteln sein, wie viel Leistung einem Steuer eintreibenden Staat von jenen vorenthalten wird, die keine Kamele sind, aber barmherzige Spender sein könnten.

      Als einziges Mittel, die so vielen als ungerecht erscheinende Geldverteilung erträglicher zu gestalten, scheint das Lotteriespiel zu bleiben. Und wahrhaftig, bei jeder Auslosung gibt es einige Glückliche, die sich von nun an zwar weiterhin über ungerechtfertigten Reichtum beklagen könnten, denn mit welchem Recht ist das Los gerade auf sie gefallen, die das aber jetzt vollkommen in Ordnung finden. Ein Fall, in dem ein Lottokönig bei seiner alten Ansicht geblieben wäre und die ohne Mühe gewonnene Summe gerecht zu verteilen versucht hätte, ist mir nicht bekannt.

      Dennoch sei einmal folgende Szene vorgestellt: Nachdem ein Glückspilz den Jackpot geknackt hat, trifft er vor dem Supermarkt einen ziemlich abgebrannten Bekannten, der Wind von dem 10 Millionen-Gewinn bekommen hat. Jener schiebt gerade seinen in den Kofferraum geleerten Einkaufswagen zum Depot zurück, dieser, das Notdürftigste unter dem Arm ( Tageszeitung mit einem die halbe Titelseite deckenden Foto einer Person, die jeder kennt; eine Literflasche Cola, eine Packung Salzstangen und eine Stange Zigaretten), will wissen, ob die soziale Ader, die bisher so wortreich den Gewinner durchflossen habe, nunmehr abgebunden sei. Andernfalls könne er doch endlich seinen bisherigen Worten Taten folgen lassen und die Gewinnsumme gerecht verteilen, an das untere Achtel der Bevölkerung etwa, an die wirtschaftlich Not leidenden zehn Millionen.

      „Einverstanden!“ erwidert der Angesprochene, „hier hast du meinen Einkaufswagen. Bring ihn zurück, dein Anteil springt dir dann entgegen!“ Das Angebot empfindet der Bittsteller aber geradezu als unverschämt. In Zukunft wird er den Hochnäsigen mit Missachtung strafen, der sich ja von ihm, wie inzwischen die meisten Reichen von den Armen, lediglich durch eine Menge Geldes unterscheidet. Der wollte aber nichts anderes, als sein Vermögen gerecht verteilen –wenigstens ansatzweise in diesem Augenblick. Sein Vermögen von zehn Millionen, an zehn Millionen verteilt, beschert jedem einzelnen eben nur einen Euro.

      Nun schwant es ihm, um was es hier geht. Jeder will das ganze Vermögen des Reichen, zumindest einen beträchtlichen Teil davon. Keineswegs nimmt jemand fürlieb mit einem Anteil, der alle anderen auch berücksichtigt. Gerechtigkeit bedeutet für den einzelnen, wenn er Recht bekommt in seinen Forderungen. Und der andere hat nur Recht, insoweit er diesen Forderungen nachkommt.

      Wie enttäuschend, nicht wahr? Eine gleichmäßige Verteilung der Güter führt eben nur zu einer gleich mäßigen Verteilung. Wer Gleichheit fordert, will aber gleich dem sein, dem es besser geht als ihm. Nach oben soll eine Angleichung erfolgen. Eine zu seinesgleichen wäre ja auch überflüssig und eine nach unten absolute Ungerechtigkeit. Obwohl gerade letztere den Oberen abverlangt wird. Diese sollen ihr Niveau absenken, damit die darunter auf dem für sie dann immer noch höheren Niveau landen können. Was sie nach oben für gerecht halten, halten sie aber nach unten für ungerecht. Das Maulen soll sich doch lohnen. So werden ja auch Frauenquoten nicht für den Bereich Kanalreinigung verlangt, sondern für den der Chefetagen.

      Da Reichtum für alle nun einmal unmöglich ist – es fehlte ja dann die Armut, gegenüber der sich Reichtum erst konstituiert – , soll der Reichtum abgeschafft werden. Galt Armut einst als Schande, sind wir mittlerweile so weit, Reichtum als Schande anzusehen. Eine logische Entwicklung, seit triefender Neid das Sagen hat. Dessen Träger, wäre er endlich Millionär, bald die Milliardäre beneiden würde. Und wäre er Milliardär, den Milliardär, der in seiner eleganten Kleidung auch elegant wirkt. Weil der das kann, was er nicht schafft: eine elegante Haltung einnehmen. Die Strafe für den Neid ist, ihren Wirt unaufhaltsam aufzufressen. Die Flamme verzehrt die Kerze, der Neid den Menschen. Und das je schneller, je mehr Anrechte er auf das Beneidete erfindet.

      Wie wäre es mit Abschaffung der Habsucht, statt deren Objekt beseitigen zu wollen? Wäre eine guter Vorschlag, müsste man damit nicht gleichzeitig den Menschen verschwinden lassen. Der übrigens niemals klagt, was mangels Geld an Gutem zu tun er verhindert ist. Seine Klage richtet sich darauf, was er sich an Annehmlichkeiten nicht leisten kann. Und da ihm die Frage nicht in den Sinn kommt, wieso denn die Welt verpflichtet sei, seine Wünsche zu erfüllen, kann sich die Erkenntnis nicht einstellen, eine solche Verpflichtung liege keinesfalls vor.

      Dem Einwand, die Gewinnwahrscheinlichkeit im Lotteriespiel sei doch so gering, dass man besser seinen Einsatz spare und wenigstens diesen bei jeder Ziehung gewinne, ist folgendes entgegenzuhalten: dein Leben verdankst du einer Lotterie mit einer weit geringeren Trefferwahrscheinlichkeit. Bei einer Ejakulation streben ca. 250 Millionen Spermien einen Gewinn an, nämlich die Vereinigung mit der Eizelle und damit das Leben zu erreichen. Selten, ganz selten gewinnt ein Spermium. Und aus Millionen Gewinnern, nebenbei bemerkt, entsteht genau so selten ein Prachtexemplar. Dagegen liegt im Lotto 6 aus 49 beispielsweise die Chance für sechs Richtige bei eins zu 15 Millionen.

      Was viel unwahrscheinlicher zu gewinnen war, hast du schon gewonnen. Es ist, als ob mit einem Schuss aus einer Schrotflinte 250 Mio. mikroskopisch kleine Schrotkugeln abgeschossen werden, von denen aber nur eine einen Luftballon treffen kann. Und selbst die eine verlässt oft das Rohr, ohne zu treffen. Ähnlich wird es sich wohl beim täglichen Erguss von Wörtern verhalten. Selten befruchtet einmal ein Wort ein Gehirn.

      Nun endlich zurück zum Thema Gott und Reflexion. Man wird wohl annehmen dürfen, nicht nur das Dasein und Sosein der Menschen, sondern auch seine eigene Existenz und Beschaffenheit lieferte dem lieben Gott gelegentlich ebenfalls Stoff zur Reflexion. Und da die Heilige Schrift bereitwillig und häufig Gott sprechen lässt, seine Sprechweise uns mithin vertraut ist, könnte er sich durchaus, als er sich als Seienden vorfand, in etwa folgendes gefragt haben, aber nicht mehr fragen, denn es liegt doch schon eine Ewigkeit an Gelegenheiten dazu hinter ihm: „ Ich, der ich unerschaffen seit Ewigkeit und in Ewigkeit da bin, der ich allwissend (wenn ich auch einige Taten habe bereuen müssen), allmächtig (wenn ich auch Geschehenes nicht ungeschehen machen kann) und allgütig bin (wenn ich auch zeitlich begrenzte Sünden mit zeitlich unbegrenzter Strafe vergelte), ich, der ich ewig bin, hätte ich auch nicht sein können und damit auch das Weltall nicht, das ich geschaffen habe?“

      Gott konnte diese (hypothetische) Frage nur an sich selbst richten. Neben ihm soll es bekanntlich keine anderen Götter geben, weswegen man, nebenbei bemerkt, ihn sich auch niemals lachend vorstellen kann; lachen hätte er nur unter seinesgleichen können. Aber allein in sich hinein lachen, wäre irgendwie sardonisch, wenn nicht gar teuflisch.Kommt das Wort 'lachen' in der Bibel überhaupt vor?

      Oder lacht Gott doch gelegentlich in Gesellschaft – mit dem Teufel? Die beiden kennen sich doch lange genug. Wäre dieses Schauspiel zu übertreffen? Und überhaupt, haben sie sich unter Umständen nicht schon längst verständigt, der Herrscher des Lichtes und der der Finsternis, einen Burgfrieden geschlossen, von dem wir noch gar nichts mitbekommen haben? Eine immerwährende Feindschaft, gepflegt von dem, der die Liebe und Güte in einer Person ist, der ausdrücklich durch den Mund seines Sohnes uns das Gebot verkündet hat, seine Feinde zu lieben und denen wohl zu tun, die uns hassen (Mt 5,44), eine solche ewige Zwietracht zwischen Gott und Teufel ist wahrscheinlich nicht mehr als nur eine menschliche Kopfgeburt. Und wenn man will, kann man die Verständigung der beiden hören, und zwar in der Musik, die ja sowohl göttlich als auch teuflisch sein kann.

      Was alles außer Gott existiert, ist von ihm hervorgebracht worden, gewissermaßen aus ihm geflossen. Es gibt eben keine Instanz über ihm, die ihm Auskunft hätte geben, auch keinen Zustand vor ihm, aus dem er hätte Schlüsse ziehen können. Er existiert ja seit Ewigkeit. Aus all dem drängt sich der Verdacht auf, ob Gott auch hätte nicht da sein können, sei schlechthin unwissbar auch für Gott.

      Und da Gott allwissend ist, weiß er