aber ist dann das Böse überhaupt in die Welt gekommen, die doch von eben diesem Gott erschaffen wurde? Theologen, hurra, haben das Schlupfloch entdeckt. Es ist der freie Wille des Menschen, bei dem wir schon wieder gelandet sind. Er ist eben so eine Art Universalschlüssel für alle Problemfälle in Sachen Logik versus Religion. Verständlich, dass der Besitz dieses Schlüssels mit allen Mitteln verteidigt wird. Der Mensch kann sich frei für das Böse entscheiden – und damit ist es in der Welt. So einfach ist das.
Nun gebe ich zu, die Sache mit der Willensfreiheit ist wahrhaft eine sehr komplizierte. Man begegnet klugen Menschen, die darauf bestehen, zu wissen, sich frei entscheiden zu können. Dann jedoch und nur darin sehe ich einen Ausweg muss das Kausalgesetz, nach dem jede Wirkung eine Ursache hat, falsch sein.
Geistig hoch stehende Organismen, mit anderer Gehirnstruktur und auf anderen Planeten, könnten tatsächlich die Dinge und ihre Verhältnisse zueinander aus einer Perspektive sehen, in der so etwas wie Ursache nicht vorkommt. Dafür sicher etwas anderes, das sie zur Bewältigung ihres Daseins voraussetzen müssen und was uns wiederum vollkommen unverständlich erscheinen könnte. Quantenphysiker behaupten übrigens, Ereignisse zu beobachten, die ihre Wirkungen von selbst hervorbringen. Dies soll zum Beispiel beim spontanen Zerfall radioaktiver Atome der Fall sein. Ob da aber, wo wir keine Ursache finden, tatsächlich auch keine ist, wer wollte das ernstlich behaupten?
Der so allgemein verbreitete Glaube an die Willensfreiheit und die strikte Ablehnung des Determinismus trotz der offensichtlichen Determiniertheit aller Dinge, Wesen und Geschehnisse mutet dem Nachdenklichen wunderlich an und legt den Verdacht nahe, die Natur habe hier so etwas wie einen weißen Fleck im Gehirn eingerichtet, ohne den wir den notwendigen Grund all dessen, was ist, auf Anhieb erkennen und darüber irgendwie zu Grunde gehen würden. Oder es ist etwas ähnlich der Gravitation, welches das Zurückverfolgen unserer Motive zu ihrem Ursprung unterbindet, wie sie das Zurückfließen der Bäche, Flüsse und Ströme zu ihren Quellen verhindert. Eine weitere Erklärung könnte auch im Glauben des Menschen an die Erschaffung der Welt liegen. Sie kann ja, konsequent zu Ende gedacht, nur auf Grund einer freien Willensentscheidung erschaffen worden sein.
Ohne menschliche Beteiligung bestraft die Natur übrigens Straftaten nur dann, wenn sie mit Ungeschicklichkeit verbunden sind, der Täter zum Beispiel mit seinem Fluchtauto in den Graben fährt. Gerechtigkeit in unserem Sinne kennt sie gar nicht. So verteilt sie wahllos als ungerecht empfundene Krankheiten, gegen die manch andere Ungerechtigkeiten sich harmlos ausnehmen. Politik, die ja im Grunde nichts anderes ist als eine unaufhörliche Debatte über Gerechtigkeit, beschäftigt sich mit einer Schimäre. Womit ihre beständige Erfolglosigkeit erklärt wäre. Nicht aber ihr hartnäckiges Debattieren.Will man vielleicht wenigstens der Idee der Gerechtigkeit so etwas wie Satisfaktion zukommen lassen?
Wobei nicht auszuschließen ist, den Gerechtigkeitswahn der Menschen einmal so weit gehen zu sehen, dass schöne Gesichter sich nicht mehr auf die Straße trauen dürfen. Auf der man in bestimmten Gegenden schöne Automobile schon nicht mehr stehen sieht. Was die Vermutung nahelegt, Gerechtigkeit sei weniger eine hohe Idee,vielmehr nur das Ergebnis eines bösen Willens und blanken Neides (Jedem das Gleiche!). Zuweilen ist sie noch tiefer angesiedelt, bei der Rache und der Grausamkeit, die sich mit ihr tarnen.
Statt politischer Debatten bitte neue Gesinnungen! Das aber leistet der alte Adam nun einmal nicht. Auch wenn er, wie schon zum Überfluss geschehen, zur Ader gelassen wird. In der Antike und bis ins Hochmittelalter galt als Ziel der Politik – man halte sich fest – die Ermöglichung der Kontemplation: „das Glück des reinen Schauens, dass der Mensch seines wahren Reichtums teilhaftig werden könne“. Da schüttelt das heutige Arbeitstier nur den Kopf.
Dabei, würde die Natur in unserem Sinne von Gerechtigkeit wirklich gerecht walten, ihr Schreihälse, euch würde es dann wahrscheinlich erst so richtig dreckig ergehen ─ aus Gründen eben dieser Gerechtigkeit. Wie so mancher Gefängnisinsasse gerne ein weniger gerechtes Urteil abzusitzen hätte.
Was die Natur unerbittlich ungleich unter die Menschheit verteilt, zum Beispiel Verstand, Gesundheit, Charme, Schönheit, die Fähigkeit, diese Gaben auch genießen zu können, und was – mit Ausnahme des Verstandes, den jeder glaubt, reichhaltig empfangen zu haben – den Gerechtigkeitssinn derer stört, die nicht so reichlich bedacht wurden, entzieht sich unserer Korrektur ─ von Mordorgien, die ab und zu Erleichterung verschaffen, abgesehen. Es wird auch nicht durch die Behauptung, alle Menschen seien gleich, aus der Welt geschafft. Denn wären sie gleich, brauchte der eine den anderen doch gar nicht zu beneiden und sich zurückgesetzt fühlen. Was hat der, was ich nicht habe, wenn wir gleich sind?
Auf diese Frage liegt jetzt so manchem die Antwort auf der Zunge: „Finanzielles Vermögen zum Beispiel!“ Davon war aber soeben gar nicht die Rede, sondern nur von den Vorzügen, welche die Natur unmittelbar verliehen hat. Doch zeigt die Antwort, wo vor allem der Stachel sitzt: auch das Vermögen, Vermögen zu bilden, ist nicht gleich unter den Menschen verteilt. Selbst in diesem ach so wichtigen Punkt sind sie ach so ungleich.
Wo ihre Ungleichheit allerdings am ausgeprägtesten und mit den größten Folgen verbunden ist, im Besitz tiefen Wissens nämlich, verspüren die Benachteiligten nicht den geringsten Schmerz. Die Natur hat das sehr weise eingerichtet. Einen wirklichen und folgenreichen Mangel lässt sie nicht ins Bewusstsein des Betroffenen treten, so wie sie den in dieser Hinsicht Makellosen an seinem Besitz zweifeln lässt. Und so da für einen Ausgleich sorgt, wo sie die ungleiche Verteilung für wesentlich hält. Bei ihr unwesentlich erscheinenden Besitzverhältnissen, zum Beispiel beim Besitz von Geld, unterzieht sie sich dieser Mühe nicht.
Der eine ist von Natur aus Frühaufsteher, der andere aus demselben Grund nicht und quält sich sein Leben lang jeden Morgen aus dem Bett. Morgenstund' hat eben nicht für jeden Gold im Mund, sondern für manchen Blei im Gesäß. Der frühe Vogel aber, so heißt das Sprichwort, fängt den Wurm. Um sehr reich zu werden, genügt es freilich nicht, früh aufzustehen und bis in die Nacht zu arbeiten, sondern man muss, wie Paul Getty anmerkte, auch noch auf eine Ölquelle stoßen. Im Alter werden die Frühaufsteher schließlich zur Plage. Die Diagnose lautet dann: Senile Bettflucht.
Würden alle gleich viel gelten, wäre im übrigen eine allgemeine gegenseitige Gleichgültigkeit die Folge. Keineswegs wäre dann Gleichheit noch ein Ideal, mit Sicherheit aber die Ungleichheit. Gleich sind die Menschen nur in ihrer Ungleichheit, andernfalls auch ein einziges Exemplar ausreichen würde, ja, ausreichen müsste, um die Drängelei auf der einen Stufe zu verhindern. Die Natur hat es aber so eingerichtet, jeden, auch wenn er Gleichheit im Munde führt, das sein zu lassen, was er eigentlich sein möchte – einzigartig ( soweit er sich im hier und jetzt befindet). Was andererseits mit ein Grund dafür sein mag, warum die Verständigung zwischen den Menschen seit jeher so schwierig ist, als ob jeder Mensch ein anderes Land wäre.
Wie verschiedenwertig die Menschen selbst auf offizieller Ebene gesehen werden, ist bei dem regelmäßig stattfindenden Gefangenenaustausch im Nahostkonflikt zu beobachten. Hier wird nicht eins zu eins getauscht. Betrug der Tauschwert von sechs Israelis 1983 noch so viel wie mehr als 4000 Palästinenser, wurden 2011 für einen Israeli bereits 1027 Palästinenser eingetauscht. Beide Seiten finden das angemessen und die übrige Welt ebenfalls.
Nur für den, der nicht genau hinschaut, für den Unaufmerk-samen, gibt es Gleichheit in der Natur. Seine Unaufmerksamkeit entspringt geistiger Schwäche, die Gleichheit mit Ähnlichkeit verwechselt. Es sind gewöhnlich auch die gewöhnlichen Menschen, die auf Gleichheit pochen. Hinzu kommt, dass sie dabei nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen haben.
Wer sehr genau hinschaut, unter Zuhilfenahme eines Mikroskopes beispielsweise, sieht, dass selbst kein Schneeflocken mit dem anderen identisch ist. Und der Aufmerksame, dessen Unterscheidungsvermögen weder verkümmert noch durch Vorurteile getrübt ist, den auch nicht der Neid zernagt, und der dennoch von der Gleichheit der Menschen spricht, ist ein ausgemachter Heuchler, der diejenigen, denen er mit dieser Phrase schmeicheln will, im Grunde verachtet. So wurde auch einmal die Schmeichelei als 'Höflichkeit der Verachtung' definiert.
Ist dem Aufmerksamen ein nobler Charakter eigen, der ihm Phraseologie verbietet, wird er sich und anderen eingestehen, ihm überlegenen Personen schon begegnet zu sein.