Harald Kanthack

EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF


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liegt eine Konstellation vor, welche extreme Leistungen im Guten wie im Bösen hervorbringt. Haben wir es doch dann mit einem potenzierten Willen zu tun.

      Überdies, könnten die Menschen wirklich frei entscheiden, was sie tun wollen und was nicht, würden die meisten auf Grund ihrer ausgeprägten Feigheit sich gar nicht trauen, eine eigene Entscheidung zu fällen. Sie wären in dem bequemen Zustand, in dem sie jetzt schon sind: fremdbestimmt. Marionetten allemal und im Grunde wiederum ohne (lästige) Verantwortlichkeit. Ein Zustand, in dem dennoch Heroismus anzutreffen ist, aber nur dann, wenn der Mut für alternative Verhaltensweisen fehlt.

      Der Willensfreiheit zufolge wäre zudem die gesamte Geschichte der Menschheit ein Knäuel unzusammenhängender Ereignisse, geboren aus freien Entscheidungen, die auf keine Ursache zurückzuführen wären. Denn könnte jeder undeterminiert nach freien Stücken sein Handeln einrichten, wäre wohl das Chaos perfekt. Woraus sich allein schon das ganze Dilemma dieser Sichtweise ergibt.

      Die Frage sei hier einmal gestellt, ob es so etwas wie Freiheit überhaupt gibt, überhaupt geben kann. Eine Antwort sei auch gleich angeboten: Freiheit, selbst Gedankenfreiheit (Gedanken kommen nämlich, wann sie wollen, nicht, wann wir wollen), ist unmöglich.Wie der Begriff lieber Gott gehört der Begriff Freiheit zu den folgenreichen Leerformeln der Menschheit, die sich auf etwas beziehen, was nicht da ist. Über Nichtvorhandenes kann man fortdauernd schwadronieren, aus Nichtvorhandenem die tollsten Folgerungen ziehen. Sachliche Kritik ist nicht möglich, da keine Sache vorliegt.

      Gelangt der Begriff auch noch zu sakramentaler Weihe, wie es bei Freiheit der Fall ist, liegt ein Schlagwort mit gewaltiger Durchschlagskraft vor. Die dadurch noch gesteigert wird, Freiheit als Ziel (gar der ganzen Geschichte) auszugeben. Wo sie doch nur ein Mittel sein kein, um dies oder jenes zu erreichen. Daher allein mit der (vermeintlich) erlangten Freiheit so viele nichts weiter anzufangen wissen.

      In der Regel geht es jedoch nur um zukünftige Freiheit, niemals um gegenwärtige. Menschen leben eben vorwiegend in der Zukunft, und wie leicht und ungefährlich ist es doch, diese ihnen ohne wenn und aber zu überlassen. Angler träumen von solch einem erfolgreichen und billigen Phantomköder. „Der Knecht singt gern ein Freiheitslied des Abends in der Schenke.“(H.Heine)

      Hört man genauer hin, ist in den Diskussionen über Freiheit gar nicht von ihr, nur von ihrem Missbrauch die Rede, über den man Freiheit zu definieren versucht. Wo die Freiheit missbraucht wird, kann keine Freiheit sein. Das ist klar. Aber was ist Freiheit? Es liegt demnach der begründete Verdacht vor, der hehre Begriff Freiheit füge sich sehr wohl in die Wunschlandschaft des Menschen ein, nicht aber in die Realität dieser Welt. Freiheit wird überaus geliebt. Dass mit Liebe eine partielle Blindheit einhergeht, ist aber eine elementare Erkenntnis all derer, deren Liebe endete. In dem Moment, als der Zauber gebrochen war.

      Der Begriff Freiheit ist fern einer Realität, die ja schon relativ genug ist, weil sie sich nur darauf bezieht, wie die Dinge sich uns darstellen. Wie wir sie wahrnehmen, so nehmen wir sie halt für wahr. Nun aber gar noch die Frage nach der Realität nichtdinglicher, abstrakter Angelegenheiten richtig beantworten zu wollen, dürfte wohl vermessen, auch unnötig sein. Denn worauf es hinsichtlich der Freiheit ankommt, ist, der Menge den Glauben zu lassen, frei zu sein. Ob sie es ist, interessiert sie dann gar nicht. Es reicht ihr vollends, den unüberbietbaren Wert der Freiheit in politischen Reden stets berücksichtigt zu finden. Auch wenn die nach der Freiheit ausgeworfenen Angelschnüre schließlich der Erdroßlung dienen sollten. Wenn zu verbieten gänzlich verboten sein wird. Denn das Wichtigste an der ganzen Freiheit ist, sie mit immer ausgeklügelteren Gesetzen zu schützen. Bis endlich eine allumfassende Knechtschaft im Dienste der Freiheit erreicht ist, in der jeder einzelne sich so frei fühlt wie in der Wüste.

      Eure Gegner, ihr Freiheitskämpfer, sind so unfrei wie ihr selbst, und eure Jagd gilt nur einer Fata Morgana.

      „Sie streiten sich, so heißt's, um Freiheitsrechte:

       Genau besehn, sind's Knechte gegen Knechte.“ (Goethe)

      Das begriffen, ginge es freilich kaum friedlicher auf der Erde zu. Denn wenn alles durch das Weltall jagt, kann es kein Ende der Jagd geben, lediglich einen Richtungswechsel.

      Unfrei in Hoden und Sack eingezwängt, wird das Spermium durch einen äußeren Reiz gezwungen, explosionsartig sich in die Ferne zu begeben, um dort in ein Ei gesperrt zu werden oder zugrunde zu gehen. Im Mutterleib gefangen, wächst die Kombinatiion naturgesetzmäßig heran, um dann in die Zwänge der Familie und der staatlichen Gemeinschaft (Schulpflicht nach sechs Jahren) herausgewürgt zu werden. Wo sie noch nicht einmal den Zeitpunkt des Endes ihrer Nachtruhe bestimmen darf. Die Gravitation lässt sie an der Erdrinde kleben, und ihre Abhängigkeit von Sonnenlicht, Sauerstoff und Nahrungsmitteln hätte niemals den Glauben an Freiheit aufkommen lassen, wären diese Zwänge nicht die selbstverständlichste Erfahrung von Geburt an gewesen. Warum wir als Neugeborene erst einmal zu schreien beginnen, haben wir vergessen.

      Es muss jetzt geatmet, Nahrung aufgenommen, Abfall ausgeschieden, geschlafen, gearbeitet, gelebt und gestorben werden. Allein, wenn ich etwas aufschiebe, begebe ich mich in die Unfreiheit. Die von Anfang bis Ende unseres Leben so total ist, dass, so ist zu vermuten, allein aus ihrer Totalität die Illusion einer potentiellen Freiheit gewachsen ist. Einer Illusion, die als notwendiges Sedativ dienen mag.

      Vor der einzigen Alternative, nämlich der, sich durch eigene Gewalt das Leben zu nehmen, steht oft nur die Furcht vor dem Tod als einziges Hindernis.Dennoch liegt darin die einzige wirkliche Spur von dem, was annähernd Freiheit genannt werden könnte (sterben, bevor man stirbt), daher man in früheren Zeiten auch von Freitod sprach. Den Zeitpunkt des Aufbruchs selbst zu bestimmen, bevor der Gastgeber unmissverständlich dazu auffordert, gehört das nicht auch zur Würde des Menschen? Die durch Krankheit und die Schmach des Alters erniedrigt wird. Hingegen wir durch rechtzeitiges Abtreten uns erheben. Hatten wir schon keinen Einfluss auf unsere Zeugung, unser Antritt also vollkommen fremdbestimmt war, so können wir wenigstens den Austritt bestimmen – und sterben wie die wenigsten. Wann hätte man je über einen Selbstmörder gesagt „Welch ein Dummkopf“? Wir können uns vom jetzigen Leben verabschieden, wann wir wollen – wenn wir wollen. Und was ist die Zahl derer, die sich vor dem Tode fürchten, gegenüber der unermesslichen Zahl derer, die ihren Tod, ohne größeres Problem, schon hinter sich haben?

      Da unser Wille aber nicht frei ist, blitzt im Suizid nur etwas kurz auf, was den Anschein von Freiheit aufweist. Wäre es echte Freiheit, könnten wir uns freier dünken als der liebe Gott – und unser Leben erschöpfte sich im Taumeln. Gott kann bekanntlich seine Existenz nicht beenden, da deren Ewigkeit ja untrennbar mit seinem Wesen verbunden ist. Nicht nur in dieser Hinsicht ist er unfrei, sondern auch in Hinsicht auf das Vertrauen, das die Gläubigen ihm entgegenbringen, auf die Erwartungen, die er geweckt, und auf die Versprechungen, die er geleistet hat. Mit all dem hat er sich, falls er vorher frei war, freiwillig in die Unfreiheit begeben. Macht er sich davon wieder frei, indem er seine Versprechen nicht hält, ist er kein Gott (jedenfalls nicht der, an den Christen glauben).

      Es sei ferner auf die grandiose Hybris hingewiesen, die der 'Entdeckung' der Willensfreiheit zugrunde liegt. Während alles in der Welt, von dem Lauf der Himmelskörper bis zu dem der Ameise, ohne Ausnahme strikt dem Kausalgesetz unterworfen ist (folglich der als Beispiel erwähnte Zufallsgenerator natürlich auch nicht frei den Zufall hervorbringen kann), erlaubt sich der Mensch zu glauben, er allein sei da eine Ausnahme. Seine Handlungen hätten ihre Ursache in der Entscheidung seines Willens und diese Entscheidung sei frei, da durch nichts konditioniert. Das in der Natur ohne Ausnahme zu beobachtende Kausalgesetz – jede Wirkung hat eine Ursache und ist selbst wieder Ursache für eine weitere Wirkung –, dieses allgemein gültige Naturgesetz soll im Menschenkopf (ein Stück Natur) nicht gültig sein. Im Menschen, so glaubt ein Fatzke, stoße die Natur an ihre Grenzen.

      Am Rande seien hier die Erkenntnisse der Hirnforschung erwähnt, nach denen Handlungsentscheidungen im Gehirn schon abgeschlossen sein können, bevor sie überhaupt ins Bewusstsein treten. Was, ohne großen Forschungsaufwand, jeder gute Fechter, Tischtennisspieler, Handund Fußballtorwart und artverwandte Sportler bestätigen kann. Ja, jeder, der etwas versehentlich umstößt und nach