Harald Kanthack

EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF


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nun den klügeren weniger Chancen geben. Das alles müsste dann geschehen ohne die Attitüde der moralischen Überlegenheit. Im Grunde taugen wir doch alle nichts und sind doch auf der Welt.

      Aufgeklärten wie aufklärerischen Weltverbesserern, die meinnen, das sogenannte Böse könne man mit geeigneten Maßnahmen – sie kennen die richtigen – aus der Welt schaffen, sei erwidert: darauf können wir nicht warten.

      Gegenwärtig steht dem verurteilten Straftäter, ob er zum ersten oder zum zigsten Mal in eine Zelle einrückt, eine Mannschaft von Betreuern zur Verfügung, die alles dran setzt, ihn zu resozialisieren (was natürlich eine bereits erfolgte Sozialisierung voraussetzt) und, vor allem, ihm eine vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung zu ermöglichen. Denn, so ihre These: „ Wir wollen die Verurteilten durch Sitzen zum Stehen bringen. Liegen wir richtig?“ Die Kerntruppe setzt sich aus Pfarrern, Psychologen, Lehrern, Sozialarbeitern und ehrenamtlichen Mitarbeitern zusammen. Selbstverständlich sind darunter auch weibliche Personen, bei den Ehrenamtlichen sogar auffallend zahlreich. Diese dürfen sich übrigens in Männerknästen tummeln, die männlichen in Frauenknästen nicht. Warum letztere nicht, liegt auf der Hand. Auf ihr liegt aber auch, warum erstere das ebenfalls nicht dürften.

      Diesem Team, das Menschen nach Mustern behandeln will, die sich Ideologen, ihre privaten Nöte ideologisierend, ausgedacht haben, diesen Heilkundigen fühlt sich der Straftäter überlegen. Zum einen, weil er sich für zu klug hält, durch Maloche seinen Lebensunterhalt zu verdienen, zum anderen, weil er seine Therapeuten auf dem falschen Dampfer weiß. Auf dem er natürlich bereitwilligst mitdampft. Ihm ist nämlich, wie jedem anderen auch, der eingesperrt wäre, jedes Mittel recht, um raus zu kommen.

      Was die ihn therapierenden Experten nicht sehen – auch nicht für möglich halten, weil sie in einer anderen Welt leben–, ist seine Konkordanz mit dem Bösen. Sie ist dem Intensivtäter nicht zu nehmen. Er ist bösartig und bleibt es und muss sich in seinen Taten entladen.

      „Wenn wer sich wo als Lump erwiesen, so bringt man in der Regel diesen zum Zweck moralischer Erhebung in eine andere Umgebung. Der Ort ist gut, die Lage neu, der alte Lump ist auch dabei.“ (W.Busch)

      Das vom gleichen Autor stammende Aperçu 'Tugend will ermuntert sein, Bosheit kann man schon allein' setzt etwas voraus, was hier nicht anzutreffen ist: Tugend. Anzutreffen ist eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, die bereits in jungen Jahren beobachtet werden kann und jeder therapeutischen Bekehrung trotzt. Der damit Ausgerüstete fällt durch ein übersteigertes Selbstwertgefühl, durch Wagemut und die Unfähigkeit, sich in die Gefühle anderer Menschen zu versetzen, schon früh auf. Gesellen sich Verstandesschärfe und Charme hinzu, ist er für eine kriminelle Karriere bis zu Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft prädestiniert. Kann er doch die typischen vier Eigenschaften eines Psychopathen sein eigen nennen, als da eben sind: Charme, Intelligenz, Furchtund Skrupellosigkeit.

      Dass die Gelegenheiten, Böses zu tun, hinter Gittern eingeschränkt sind, verwechseln unsere Therapeuten im Einzelfall damit, der Wille, Böses zu tun, sei erfolgreich therapiert worden. Wenn es wenigstens einzurichten wäre, die Wiederholungstäter da wieder einsitzen zu lassen, wo die Therapeuten arbeiten, denen sie das große Theater von Reue und Einsicht vorgespielt haben, wäre schon einiges gewonnen. Das geschieht aber selten, und nur durch Zufall erfährt der Getäuschte vom wiederholten Scheitern seines Probanden.

      Die Betroffenen (auf der einen wie auf der anderen Seite) werden, sofern sie davon Kenntnis erlangen, meinen Ausführungen freilich vehement widersprechen. Die einen, weil sie raus, die anderen, weil sie drin bleiben wollen. Und wenn der Druck der Verhältnisse keine andere Lösung mehr als die hier vorgeschlagene zulässt, wird diese Lösung sich zu den übrigen Trivialitäten unserer Gesellschaft gesellen, ohne überhaupt Aufmerksamkeit zu finden. Mit der Sicherungsverwahrung ist man ja schon auf dem Wege dorthin.

      Zur Abrundung: Es ist noch nicht lange her, da vergewaltigte ein in einer Hamburger Justizvollzugsanstalt einsitzender Sexualstraftäter eine Justizvollzugsangestellte in der Anstaltsbücherei. Dem Anstaltsleiter, einem Psychologen, gelang es, den Vorfall unter der Decke zu halten, fürchtete er doch eine Gefährdung seines therapeutischen Konzepts. Erst als der Täter wegen guter Führung und günstiger Prognose vorzeitig entlassen werden sollte, wendete sich das Opfer an die Öffentlichkeit.

      Ob das abstrakte Böse überhaupt existiert, ist allerdings unwahrscheinlich. Was wir erleben, ist doch nur die konkrete Bosheit des Individuums. Sie wird man wohl aus der relativistischen Perspektive zu betrachten haben und dabei zu dem Ergebnis gelangen, das Böse schlechthin gebe es lediglich als Hirngeburt. Und was als böse angesehen wurde und werde, sei stets dem Wandel unterworfen. Das aktuelle Böse sei das, was unter Strafe stehe. Das aktuelle Gute daher mit Wilhelm Busch so zu definieren wäre:

      „Das Gute, dieser Satz steht fest,

       ist stets das Böse, das man lässt.“

      Wie sonst wäre es auch möglich, in ein und demselben Rechtsstaat für ein und dieselbe Tat, z.B. Spionage, sowohl den Galgen als auch einen Orden verdienen zu können.

      Seit dem zweiten Sündenfall, der Aufklärung, geistert der Einfall durch verwirrte Köpfe, der Mensch sei von Natur aus gut, nur die gesellschaftlichen Verhältnisse machten ihn böse. Der Feldzug gegen Vorurteile stützt sich auf dieses verhängnisvolle Vorurteil. Das größte Vorurteil ist nun einmal, zu glauben, sich aller Vorurteile entledigt zu haben. Doch Rousseaus edler Wilder, der Vater aller neuzeitlichen Revolutionen, war so meinungsbildend wie falsch. Zudem war er, wie sein Erfinder auch und die Mehrzahl der Menschen nicht, Einzelgänger. Von Natur ist der Mensch, wie alle anderen Lebewesen, weder gut noch böse. Sie kann mit diesen abstrakten Kategorien nichts anfangen. Hätte Jean-Jacques, der in seiner Geburt seinen ersten Unglücksfall sah, seine eigenen Kinder erziehen müssen,wäre ihm das vielleicht nicht unentdeckt geblieben. Wahrscheinlich ahnte er es aber, brachte er seine eigenen fünf Kinder doch rechtzeitig in ein Findelhaus. Andernfalls er vielleicht ein Erkenntnisverwandter von W.Busch geworden wäre:

      „Es saust der Stock, es schwirrt die Rute,

       du darfst nicht zeigen, was du bist.

       Wie schad', o Mensch, dass dir das Gute

       im Grunde so zuwider ist.“

      Die vermeintlich einfachste Antwort auf die Frage nach dem Bösen ist die, böse sei, was Gott verboten habe. Folgen wir dieser Definition, ergeben sich jedoch neue Probleme aus der weiteren Frage, ob Gott das Böse verboten habe, weil es böse sei, oder ob es böse sei, weil er es verboten habe. Auf den ersten Blick mag diese Frage spitzfindig erscheinen, ist es aber ganz und gar nicht. Denn zu welcher Antwort man auch neigen mag, die Konsequenzen sind beachtlich.

      Antworte ich, weil Gott es verboten hat, ist etwas böse, so ist das Böse unabhängig von seinem Verbot gar nicht vorhanden. Es ist von Gott in die Welt gesetzt worden. Er hat es gewissermaßen erst erschaffen. Das folgt zwingend aus der Annahme, böse sei etwas, nur weil Gott es verboten habe. Alle Argumente, die diese unsinnig erscheinende Sichtweise widerlegen sollen, setzen, ohne dass sich der Argumentierende dessen bewusst ist, das Böse als autonome Größe voraus, die auf eigenen Füßen steht.

      Entgegne ich, weil es böse ist, hat Gott das Böse verboten, setze ich neben Gott etwas Eigenständiges, das irgendwie der Macht Gottes, die doch eine Allmacht sein soll, dennoch nicht unterworfen zu sein scheint.Das Idealziel eines Verbotes ist im wesentlichen doch, das Verbotene aus der Welt zu schaffen. Das Verbot des Drogenhandels zum Beispiel hätte sein Idealziel erreicht, wenn alle Drogen aus der Welt verschwunden wären. Ein weltlicher Herrscher, der dazu die Macht hätte, würde doch absurd handeln, Drogenhandel zu verbieten, wenn er gleichzeitig in der Lage wäre, die Droge selbst ihrer Existenz zu berauben. Das eigenständige Böse wäre dementsprechend neben dem freien Willen des Menschen eine weitere Gott nicht unterworfene Größe. Dem Menschen hat er den freien Willen geschenkt und sich damit auf eigenen Entschluss hin entmachtet – gegenüber einem Lebewesen und einem seiner Geschöpfe. Unvorstellbar, er habe ebenso gehandelt gegenüber einem Begriff, einem Prinzip, einem Abstraktum. Das er zwar ebenfalls selbst geschaffen hat – sonst