wo ein Wille, keine Freiheit sein kann. Weswegen die Verfechter der Willensfreiheit einen Gegenbegriff erst gar nicht aufkommen ließen: Willenszwang. Hier wäre die Tautologie aufgefallen und dadurch die Widersprüchlichkeit des ersten Begriffs.
Freiheit ist nur da, wo nicht getrieben wird. Indes, wie gelangt ein mit angeblicher Willensfreiheit ausgerüsteter Mensch zu einer Entscheidung? Er wägt das Für und Wider ab, das aus ihm unbekannter Quelle aufsteigt und sich auf Umstände bezieht, die oftmals ohne ihn zustande gekommen sind, oft aber auch von ihm, seinem Charakter gemäß, den er sich nicht gegeben hat, provoziert werden. Um schließlich das zu tun, was ihm günstiger erscheint und zu dieser Entscheidung treibt. Die Erkenntnis, was ihm günstiger erscheint, hängt aber von seinem Willen ab, nicht hängt der Wille von seiner Erkenntnis ab. Der Wille geht der Erkenntnis voraus. Das Argument, das seinem Willen am weitesten entgegen kommt, erscheint dann als das bessere und übt eine zwingende Wirkung aus. Entscheidet er spontan, geht ein plötzlicher Anreiz voraus, der längeres Überlegen verhindert und ihn zu dieser Entscheidung treibt. Getrieben wird er allemal.
Dabei hat er nicht eine Waage vor sich, in die er die verschiedenen Argumente legt, sondern er selbst ist die Waage, die entscheidet, welche der beiden belasteten Waagschalen sich tiefer senkt. Und wie die mechanische Waage gehorcht auch die lebendige Waage den Kausalgesetzen, nach denen jede Wirkung eine Ursache und jede Ursache wieder eine vorausgehende Wirkung aufweist. Unmöglich ist eine Waage, die ihre Reaktion aus dem Nichts rekrutiert.
Was ich will oder was ich nicht will, das entscheide nicht ich, sondern mein Wille. Der ist aber jederzeit zuerst da. Ich bin nicht Herr meines Willens, sein Sklave bin ich. Nicht ich habe einen Willen, der Wille hat mich. „ Die Menschen wollen nicht, wie sie denken, sondern sie denken, wie sie wollen“, sagt Matthias Claudius. Ja, ich kann, wenn die Umstände günstig sind, tun, was ich will. Dem liegt aber keine freie Entscheidung zu Grunde, sondern die treibende Kraft des Willens. Sind die Umstände nicht günstig, kann ich nicht tun, was ich will. Dem liegt ebensowenig meine freie Entscheidung zu Grunde, sondern der Zwang der Umstände, der die Umsetzung meines Willens verhindert – ohne ihn zu besiegen. Sagt einer „Was hätte ich nicht alles tun können, wenn ich nur gewollt hätte!“ oder unter anderen Umständen „ Ich wollte schon, aber ich konnte nicht!“ gibt er eigentlich den wahren Sachverhalt zu, nämlich den der gänzlichen Unfreiheit in seinen Entscheidungen.
Ohne seinen Einfluss auf Wille und Umstände wird in ihm entschieden, so dass man es gar nicht seine Entscheidung nennen kann. Seinem Wirken geht Bewirktes voraus, das durch Zwang entstand und wieder zwingt. Er kann sich zwar einbilden, die Umsetzung des Beschlossenen bedürfe noch der Ratifizierung durch irgendeine Instanz in seinem Gehirn oder Herzen, diese ist jedoch, wenn überhaupt vorhanden, vom Willen bestochen. Und der wiederum ist nun eben eine so ursprüngliche wie mächtige Kraft, dass er seinerseits jedem Bestechungsversuch trotzt. Und tut einer etwas freiwillig, heißt das nichts anderes, als dass er keinem anderen Zwang als dem seines Willens unterworfen ist.
Keineswegs aber kann ich wollen, was ich will, würde auch nur zu einem endlosen Regress führen. Denn dieses Wollen müsste dann ja wieder durch ein vorhergehendes Wollen generiert werden und so fort. Auch kann ich nicht etwas wollen, von dem ich nichts weiß. Insofern allein schon meine Freiheit in der Entscheidung eingeschränkt ist. Das Bestimmte, mir aber gänzlich Unbekannte, könnte ich unter Umständen gewollt und mich dafür entschieden haben. Diese Entscheidung ist mir aber von vornherein durch meine Unkenntnis verwehrt. Der Vorwurf, bei letzterem Argument handele es sich bereits um Sophismus, ist freilich nicht ganz von der Hand zu weisen.
Jede Entscheidung hat eine Ursache. Das künstliche Konstrukt Willensfreiheit kann daran nichts ändern. Im Grunde behauptet es, die Grundlage menschlicher Entscheidungen sei ein Nichts. „Nein, nein“, so der Einwurf, „sie ist in vielen Fällen die Bösartigkeit des Entscheidenden“. Ja, und die treibt ihn dann, und die hat er sich nicht selbst zugelegt. Wie wäre, Willensfreiheit vorausgesetzt, die Haltung eines Menschen zu begreifen, den man von seinen Fehlern überzeugt und dennoch nicht bekehrt hat?
Man könnte auch sagen, mein Wille ist mein Schicksal. Woran sich die Frage anknüpfen ließe, wer oder was beeinflusst mein Schicksal und damit auch meinen Willen? Anders ausgedrückt: Was ich will, will das irgendeine Macht? Und hätten wir eine wollende Ursache für unser Wollen gefunden, wäre die gleiche Frage wieder zu stellen, nämlich von wem oder was diese wollende Ursache gewollt wird. Und wir wären auf dem (richtigen) Weg in die Unendlichkeit. Unbescheiden wäre es, anzunehmen, mein Wille sei die erste Ursache für irgendein Geschehen. Fraglos wird er gespeist aus einer Quelle. Die aber ist uns verborgen. Und wäre sie uns bekannt, stünden wir nur,wie bei jeder Quelle, vor der weiteren Frage, wer oder was diese Quelle beliefert.
Womit auch das Argument zugunsten der Willensfreiheit, wie in einer Welt, deren Materielles Gegenstand exakter Forschung ist, menschliche Entscheidungen Ursachen für materielle Wirkungen sein können, nicht weiter ernst zu nehmen ist. Auch nur deswegen hier Erwähnung findet, weil es in der zeitgenössischen Philosophie eine Rolle spielt. Die Fokussierung der Forschung auf die materielle Welt kann nicht dafür herhalten, das, was wir auf diesem Weg nicht erforscht haben – in diesem Fall das Zustandekommen menschlicher Überlegungen und ihre Wirkungen auf die Materie –, mit Willensfreiheit zu erklären.
Sie als Selbstbestimmung zu definieren, bei der autonom und ohne inneren und äußeren Zwang gehandelt werde, hilft auch nicht weiter, solange nicht geklärt ist, wie denn eine autonome Entscheidung zustande kommen soll. Einen umstrittenen Begriff durch einen ebenfalls umstrittenen zu ersetzen, ist bloße Augenwischerei.
Wie aber, wenn der Wille gar nicht die Ursache unserer Handlungen und Taten ist? Wenn es die in uns drängende und treibende Lebenskraft ist, die einfach nur ausströmen und sich auslassen will? So, wie das Herz ganz natürlich nur schlagen will.
Dem Willen würde dann nur die Aufgabe zufallen, geeignete Kanäle für das Ausströmende zu finden. Dabei natürlich nicht frei in der Entscheidung, sondern von diesem oder jenem Motiv gezwungen. Klingt plausibel, oder? Stünde da oben nicht, die Lebenskraft will sich auslassen, das Herz will schlagen, wäre es das auch. Aber so haben wir den Willen wieder an die erste Stelle gesetzt, folglich keine neue Sichtweise gewonnen.
Ein grundloses Wollen also als letzter Grund? Wofür man auch den Ausdruck spontane Dynamik wählen könnte. Derzufolge eine blinde Energieentladung im Menschen erfolgt, welcher selbst nur Katalysator ist. „Nie und nimmer!“ ruft er entrüstet und dreht seine Gehirnschale noch etwas weiter aus dem Kragen. Ist das nun ein Glanzstück oder eine Unzulänglichkeit der Natur, den Menschen trotz aller Determiniertheit überzeugt sein zu lassen, er agiere frei aus sich heraus?
Könnte er das wirklich, stünde ihm eine Kraft zur (freien) Verfügung, die, genau besehen, doch mehr zu leisten verspräche, als nur das Handeln des damit Ausgerüsteten zu bestimmen. Diese Kraft müsste auch außerhalb ihres Trägers ohne dessen Handlungen direkt und ohne Umweg wirken können. Ein sehr spekulativer Gedanke, wie ich unumwunden zugebe.
Dass die Welt nichts anderes sei als Wille (und Vorstellung) ist eine These, die noch nicht widerlegt werden konnte (was selbstredend nichts über ihren Wahrheitsgehalt aussagt). Sie wurde von Arthur Schopenhauer vorgestellt, der als Griesgram in Frankfurt am Main verstarb. Er war der Ansicht, dem Leben, worin er nur „ eine unnützerweise störende Episode in der seligen Ruhe des Nichts“ sah, sei das Nicht-Leben vorzuziehen. Am besten sei man tot. Ob er je die Vögel hat singen hören — und zwar in Dur, nicht in Moll?
Ein Beispiel dafür, wie Optimismus und Pessimismus ihre Wurzeln im Inneren des Menschen haben und von äußeren Dingen ziemlich unabhängig sind. Denn dem Knurrhahn ging es zeitlebens gut; er war finanziell durch eine Erbschaft abgesichert, konnte sich früh, ohne einem Broterwerb nachgehen zu müssen, seiner Lieblingsbeschäftigung widmen, der Philosophie eben.
Dem Willen, der in ihm wirkte und ihn trieb, war er nicht hold. Er wollte ihn einfach los sein.Sein Vater endete durch Suizid; der Sohn sah darin keine Lösung, nur eine Bestätigung des Willens zum Leben, der nicht durch Selbsttötung verlösche, sondern dadurch nur zu neuem Leben angeregt werde. Arthur war ein Rührlöffel, kein Schöpflöffel.
Was aber,wenn jemand den