Harald Kanthack

EHER LERCHENJUBEL ALS UNKENRUF


Скачать книгу

Leiden an der Niedertracht der Menschengesellschaft.

      Wer hingegen von der Doktrin besessen ist, er sei allen gleich, und es wird ein Verzicht von ihm gefordert oder er trifft auf einen Überlegenen – mag der sich dafür auch, wie mittlerweile angesagt, entschuldigen – , was steht dem zur Bewältigung dieser alltäglichen und ihn demütigenden Situation zur Verfügung? Genau genommen nichts, was helfen könnte. Neid hilft so wenig wie Entrüstung, der Schrei nach Gerechtigkeit auch nicht. Helfen könnte nur die Einsicht, Ungleichheit sei die Norm und sein Zustand, nicht aber sein Befinden, demnach ganz normal.

      “Glück ist die Bescheidenheit, mit der der Wurm nicht weiter strebt zu kriechen, als seine Kraft ihn trägt.“(C.D. Grabbe) Glaubt er an die Berechtigung, zum Gipfel streben zu dürfen, weil alle gleich seien, kann ihm das bei ausreichender Kraft gelingen. Reicht sie dazu nicht aus, landet er im Heer der frustrierten Würmer. Wo der Neid ihn einmal in eine solch tiefe und daher heilsame Verzweiflung stürzen könnte, sich berechtigt zu fühlen, eine Neuformulierung aller politischen Programme unter Beachtung der Natur des Menschen und unter Missachtung seiner egalitären Einbildungen zu fordern. Darin dann der Rang anzuerkennen wäre, den die Natur jedem einzelnen zuweist, statt ihm etwas in Aussicht zu stellen, das unerreichbar, aber als Köder sehr wirksam ist. Wie beim Windhundrennen die Windspiele erfolglos hinter einer Hasenattrappe her hetzen, um anderen einen Gewinn einzuspielen.

      Doch seine Forderung, da unorthodox, hätte keine Chance, berücksichtigt zu werden, würde gar als Blasphemie empfunden werden. Denn die herrschende Meinung hat ein rein aus sich bestehendes und in sich ruhendes Sein. Sie ist absolut und kann nicht beseitigt werden. Sie macht einer neuen nur Platz, indem sie allmählich versandet. Wie ein Hafen, den spätere Generationen fernab der Küste und des modernen Geschehens im Binnenland vorfinden. Die einst so brennend erscheinenden Probleme sind dann nicht gelöst, sie sind einfach abhanden gekommen, mit dem Sand der Zeit verschüttet worden (flankiert durch Neuemissionen der MVO).

       „Selbst die fünf Finger sind nicht gleich an einer Hand; verschieden ist ihr Dienst, ihr Aussehen, Größ' und Stand.“ ( Rückert )

      Allein, wie individuell ist die sprachliche Ausdrucksweise der einzelnen Menschen, nicht nur der Völker. In seiner Sprechweise offenbart jeder einzelne seine Individualität, wenn er seine Lautgebung andererseits auch dazu zu benutzen sucht, sein Wesen im Verborgenen zu halten. Schafften wir allein diese Eigenheit ab und jeder so sprechen würde wie jeder andere, wären wir im Reich der Zombis angelangt. Und komme mir keiner, um die Angleichung sprachlicher Ausdrucksweisen ginge es doch gar nicht. Denn was der noch nicht erlebt hat, ist der Geifer des Neides, den der eine sabbert, während dem Mund eines anderen wohl geformte Worte und Sätze entquellen. Die Zeit, in der wir uns nur noch vermittels unzusammenhängender Wörter verständigen werden – durch kurzes Bellen oder Grunzen gar – mag nicht mehr fern sein. Zur Zeit wirbt die Bundeswehr mit: “Wir. Dienen. Deutschland”. Stammeldeutsch unter staatlichem Segen. Vielleicht nähern wir uns der Epoche der Erbtreitigkeiten, in der ein Testament eindeutig zu formulieren keiner mehr in der Lage sein wird.

      Die Realität der Ungleichheit in der Natur, die hierarchisch geordnet und von der die Menschheit ein Teil ist, bedeutet eine ausschließende Wahrheit. Die Lehre von der Gleichheit aller Menschen ist eine einschmeichelnde Unwahrheit. Sie fällt überall auf fruchtbaren Boden, wo die Denkweise niedrig ist. Wo aus einem Ressentiment heraus die Vielgestaltigkeit und Vielfarbigkeit der Natur geleugnet wird. Demzufolge sich niemand über die Folgen der egalitären Doktrin zu wundern braucht. Ihre Verfechter wollen nicht sehen, was vor Augen liegt. Und weil sie es nicht verdienen, sehen sie es auch nicht. Ihre Rangposition wird jedoch – auch davon können sie sich keine Vorstellung machen – unerbittlich von anderen erkannt. Und weil sie alles von der Natur begehren, können sie keine Dankbarkeit entwickeln für das, was sie ihnen tatsächlich geschenkt hat.

      Doch selbst von Menschen, die in der Natur die Vielfalt der Gaben, die Schattierungen der Farben, die Verschiedenheit der Gestaltungen dankend zur Kenntnis nehmen, wird dieses bunte Schauspiel abgelehnt, sobald es das Naturprodukt Mensch betrifft. Jetzt ist Ungleichheit ein Ärgernis. Wohlgemerkt aber nur dann, wenn man übertroffen wird. Und was steckt dahinter? Ein kriechendes, widerwärtiges Laster – der Neid. Anlaß und Motor der meisten Revolutionen.

      Fühlt sich ein Gleichheitsapostel durch Argumente wie die hier vorgetragenen in die Enge getrieben, pflegt er in die Ausrede zu flüchten, es sei ja nur von Gleichheit vor dem Gesetz und vor Gott die Rede. Wenn dem so wäre, warum dann die Aufregung dort, wo weder ein Richter noch ein Gott im Spiel ist?

      Nun ist der Irrglaube weit verbreitet, der Mensch könne, was die Natur nicht kann, nämlich wenigstens das Geld gleich verteilen. Wobei der Irrgläubige ausblendet, selbst ein Teil dieser Natur zu sein. Darum ihm, dem es hier um soziale Gerechtigkeit geht, also darum, jeden an fremdem Eigentum teilhaben zu lassen, bis heute das Unterfangen auch nicht glücken konnte. Versuchte er es mit Gewalt, vornehmlich durch Revolution, war das Ergebnis regelmäßig keine ‚gerechte‘ Vermögensverteilung. Es wechselten nur die Personen, die reich waren. Auf Kosten derer, die alles verloren hatten, wozu oft genug auch ihr Leben zählte. Zugrunde liegt die merkwürdige und unausrottbare Eigenart des Menschen, Eigentum erwerben, vermehren, behalten und vererben zu wollen.

      Würde er ohne Gewalt versuchen, das Geld gleich zu verteilen, und — was auszuschließen ist— gelänge ihm das, wäre nach spätestens einem Jahr das Geld schon wieder vollkommen ungleich verteilt. Es sei denn, man schränkte zusätzlich die freie Verfügung über das zugeteilte Geld ein. Es könnte nicht vererbt, verschenkt, verliehen, vertauscht, verdient, geraubt, gestohlen, veruntreut, unterschlagen und durch Betrug erworben werden. Wäre demnach gar kein Geld mehr, die Regelung auch gar nicht durchzusetzen. Ein Teil der genannten Bereicherungsmöglichkeiten steht ja – ziemlich erfolglos – schon unter Strafandrohung.

      Zudem könnte es bei gleicher Geldverteilung noch 'ungerechter‘ zugehen, weil ein dummer, kranker, hässlicher, dafür aber zuweilen finanziell reicher Mensch das Geld nicht mehr hätte, mit dem er seine Nachteile bislang einigermaßen zu kompensieren wusste. Und vor allem, ihr Möchtegern-Umverteiler: die Natur hat die Fähigkeit zur Freude so ungleich verteilt, hat sie mehr vom Gemüt als von äußeren Dingen abhängig gemacht, lässt sie aus einer inneren Quelle fließen, dass der eine sich über einen Sack voll Geld weniger freut als ein anderer über einen Sack Kartoffeln. Und wer sich freut, soll sich ja nicht noch mehr freuen wollen. Letzte Aussage bedarf keiner Erklärung, denn wer sie nicht auf Anhieb als richtig erkennt, dem wird sie so wenig zu verdeutlichen sein wie die Richtigkeit eines bestimmten Tones in der Tonfolge eines Musikstückes.

      Bei all dem ist natürlich die elementare Frage zu berücksichtigen, ob eine gleiche Vermögensverteilung überhaupt irgendetwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Ja, ob nicht schon allein die Vermögensverringerung des Reichen zugunsten des Ärmeren, wenn sie über Steuern, d.h. zwangsweise, geschieht, mit diesem hehren Begriff unvereinbar ist. Der Reiche mag Almosen in beliebiger Höhe spenden, sie aber per Zwang einzutreiben, ist das gerecht? Zumal er noch nicht einmal entscheiden darf, wem seine Zwangsalmosen zugute kommen. In früheren Zeiten hätte man das Verteilen fremden Eigentums keinesfalls als gerecht empfunden, hat es auch unterlassen.

      Dass jeder nach dem Maß seines Einkommens durch Steuern zum Funktionieren seines Staates beizutragen hat, dürfte wohl jedem gerecht erscheinen. Führt jeder 20 % seines Einkommens ab, wird die jeweilige Einkommenshöhe exakt und bei allen gleich berücksichtigt. Wenn aber der eine 40 %, der andere nur 20 % seines Einkommens entrichtet, wo bleibt da – bei der sogenannten progressiven Besteuerung – die Gerechtigkeit? Könnte man fragen.Fragt aber kaum noch einer, weil– und jetzt kommen wir zum Kern der Angelegenheit – es bislang keine eindeutige und für alle Zeiten verbindliche Definition des Begriffes Gerechtigkeit gibt und wohl auch nie geben kann. In der Natur ist, wie bereits erwähnt, Gerechtigkeit nicht zu finden. Im menschlichen Gehirn, auch Natur, ebenfalls nicht, sondern nur ein Begriff davon. Zu den Begriffen gehört aber seit eh und je, verschieden begriffen zu werden. Und wie atmosphärische Turbulenzen zu Gewittern führen, so Begriffsverwirrungen zu Debatten. Wer übrigens der Auffassung ist, Rechtsprechung diene vor allem der Gerechtigkeit, irrt gewaltig. Sie dient in erster Linie der Rechtssicherheit, ohne die