Judith Weber

Aloronice


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her.

      „Klar", sagte Claude, „wenn es noch irgendwo etwas Essbares gibt, dann findest du es garantiert."

      Während Richard die Dose öffnete um die Ravioli in der Mikrowelle warm zu machen, ergab sich Claude wieder seinen Erinnerungen.

      Er war also die Treppe hinunter gegangen und bevor er zu seinem Großvater in die Küche ging, noch schnell ins Bad gehuscht.

      Während er duschte, meinte er Stimmen aus der Küche zu hören, war sich aber nicht sicher und schob das Ganze auf das Radio.

      Claude fragte sich, was ihm sein Großvater wohl zu diesem wichtigen Geburtstag schenken würde, er hatte es wirklich spannend gemacht und bisher keinen Ton verraten.

      In den letzten Tagen war Claude ihm ziemlich auf die Nerven gegangen mit seiner Fragerei und obwohl er echt hartnäckig geblieben war, kam kein Wort über dessen Lippen. Sein Großvater war in letzter Zeit eh schweigsamer gewesen als sonst und ab und zu glaubte Claude einen Anflug von Traurigkeit auf seinem Gesicht zu erkennen.

      Claude schob das auf die Tatsache, dass Eltern, oder auch Großeltern, wohl immer ein wenig Wehmut überkommt, wenn der Nachwuchs erwachsen wird, und machte sich keine ernsthaften Gedanken darüber. „Laurent!", rief Claude, „ich bin fertig! Kann ich reinkommen?"

      „Ja, ja, mein Junge, komm nur, ich habe alles vorbereitet."

      Eigentlich sah alles aus wie sonst auch an seinem Geburtstag. Der Küchentisch war feierlich gedeckt, achtzehn Kerzen auf einer riesigen Geburtstagstorte, Eier, Speck und frisches Brot standen auf dem Tisch und Laurent saß lächelnd ihm direkt gegenüber an der Kopfseite des Tisches.

      „Alles, alles Gute zur Volljährigkeit Claude!" sein Großvater erhob sich und ging um den Tisch herum auf ihn zu.

      Er war groß, mindestens so groß wie Claude und hatte ebenso wie er tiefdunkle Augen, die zu seinem weißen, vollen Haar allerdings in krassem Gegensatz standen. Er war Anfang siebzig, das sah man ihm allerdings nicht an, denn seine Bewegungen waren noch ebenso kraftvoll, wie seine Arme und Beine muskulös und drahtig waren. Er war schlank und nur sein faltendurchzogenes Gesicht ließ sein wahres Alter erahnen.

      Laurent nahm seinen Enkel in die Arme und drückte ihn herzlich an sich. „Na, mein Großer? Wie fühlst du dich als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft, anders als gestern, hmmm?"

      „Nicht wirklich", Claude sah sich in der Küche um, ein Geschenk war nicht zu erkennen, schien also eine kleinere Überraschung zu sein.

      „Das kommt noch! Hast du Hunger?", Laurent schob Claude einen Stuhl mit einer geschmückten Rückenlehne zu, jeden Geburtstag war diese Papiergirlande bisher zum Einsatz gekommen -bunte Blüten rankten sich um einen Strang grünen Krepppapiers- dementsprechend alt und verblichen und auch ein wenig ausgefranst sah sie aus.

      „Klar habe ich Hunger! Das sieht lecker aus", sagte Claude und setzte sich seinem Großvater zuliebe auf den umkränzten Stuhl.

      „Wo hast du denn Richard gelassen?", fragte Laurent, „wenn es ums Essen geht ist er doch sonst immer der Erste."

      „Der schläft noch tief und selig", grinste Claude, „ich habe es nicht übers Herz gebracht ihn zu wecken, nach der Feier gestern. Er war ein wenig mmmmh". Claude wollte nicht zu viel verraten, darum druckste er „ ein wenig beschwipst."

      „Hattet ihr denn Spaß? War die Feier lustig?"

      „Ja, war ganz lustig, war okay!" Sie hatten gestern mit ein paar Freunden am Strand in seinen Geburtstag rein gefeiert und es war spät, oder früh geworden, ganz wie man wollte.

      „Das freut mich", Laurent goss Claude und sich selber Kaffee in die Tassen und setzte sich zu ihm an den Tisch.

      „Guten Appetit, lang zu! Aber erst", fiel Laurent plötzlich ein, „erst musst du die Kerzen auspusten und dir etwas wünschen!"

      „Laurent!" Claude nannte seinen Großvater seit er denken konnte beim Vornamen, „ich bin doch nicht mehr siebzehn". Claude grinste, ebenso Laurent.

      „Na ja, dafür ist man doch nie zu alt oder? Komm mach schon, pusten! Dann können wir uns gleich mal ein Stück davon gönnen."

      Claude holte tief Luft und pustete in einem Rutsch die Kerzen aus. „Wünsch dir was!", erinnerte ihn Laurent und Claude überlegte kurz und dachte dann, „ich wünsch mir ein aufregenderes Leben ab jetzt!"

      „Na, was gewünscht?"

      „Klar!"

      „Prima, dann lass uns jetzt frühstücken. Dein Geschenk bekommst du etwas später. Ich dachte wir warten, bis Richard auch wach ist. Zumal sein Geschenk für dich irgendwie zu meinem dazu gehört."

      Das wurde ja immer spannender.

      Noch während sie aßen, hörten sie Richard die Treppe herunter poltern. Ein völlig verstrubbelter Rotschopf steckte seine Nase durch die Tür und murmelte: „Mmmmh, lecker, das riecht man bis in seine Träume hinein. Bin gleich wieder da, hebt mir was auf!" Sein Blick streifte die Torte und noch während er die Tür hinter sich zuzog, hörte man sein langgezogenes „Mmmmh!"

      Laurent und Claude unterhielten sich über Belanglosigkeiten, während sie ihr Frühstück verzehrten. Schon nach wenigen Minuten kam Richard wieder zur Tür herein, frisch geduscht und immer noch reichlich verschlafen. Mit einem Plumps ließ er sich auf einen der freien Stühle fallen.

      „Guten Morgen allerseits! Nochmals meinen allerherzlichsten Glückwunsch zum Geburtstag!", noch während er sprach, zog er den Brotkorb zu sich hinüber, schnappte sich zwei Scheiben Brot, schaufelte Berge von Ei und Speck auf seinen Teller und begann genüsslich zu schmausen. Man merkte ihm an, dass er sich wie zu Hause fühlte.

      Zum Ende des Frühstücks schnitt Laurent die Torte an und sie ließen sich dieses Wunderwerk der Backkunst schmecken.

      „Vom Konditor Levalle?", fragte Richard mit vollem Mund.

      Laurent nickte.

      „Schmeckt man!", sagte Richard und nahm sich das zweite Stück Torte. Nachdem auch Richard satt und gänzlich voll gefuttert war, trat eine merkwürdige Stille ein. Erwartungsvoll und angespannt sah Richard auf Laurent, bis dieser unmerklich nickte. Zwischen den beiden schien eine unausgesprochene Übereinkunft zu herrschen von der Claude sich seltsam ausgeschlossen fühlte.

      Beide wurden plötzlich eigentümlich ernst, selbst Richard, was so gar nicht zu ihm passte. Fast schien es, als ob er eine andere Schublade seiner Persönlichkeit aufmachte, von der Claude bisher nicht mal gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. Er wirkte so erwachsen und Claude fremdelte plötzlich ein wenig.

      „Ist mir irgendwas entgangen? Habt ihr was?" Claude war verunsichert.

      „Kommt mal mit", Laurent erhob sich und ging voran ins Wohnzimmer. Richard und Claude folgten ihm. Richard sehr aufrecht und angespannt und Claude zögerlich und nervös.

      Im Wohnzimmer forderte Laurent Claude auf, sich auf das Sofa zu setzen, er selber nahm auf dem einzigen Sessel, einem großen Kaminsessel mit hohen Lehnen, Platz. Richard zog es vor stehen zu bleiben, er lehnte sich allerdings gegen die Fensterbank.

      „Meine Güte", dachte Claude, das verhieß ja ein spannendes Geschenk, denn einen anderen Grund für diese seltsam feierliche Stimmung konnte er sich nicht denken.

      Und dann hatte sein Großvater zu erzählen begonnen und ihm die wahre Geschichte seiner Herkunft, seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und seiner Zukunft offenbart.

      Aloronice

      Seine Eltern waren nicht bei einem Verkehrsunfall gestorben. Gestorben waren sie tatsächlich, soweit stimmte die Geschichte, aber unter gänzlich anderen Umständen. Eigentlich durch die Liebe.

      Darauf würde Laurent später noch mal zurückkommen.

      Laurent begann zu erzählen:

      „Mein lieber Junge! Versuche dir einmal vorzustellen, es gäbe nicht nur diese Welt, ich