Katie Volckx

Håkon, ich und das tiefgefrorene Rentier (P.S. Fröhliche Weihnachten)


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stöhnte ich genervt auf. Mailin hätte wissen müssen, dass sie das Thema Håkon besser nicht vor Yva hätte anschneiden sollen. Nebenbei bemerkt auch vor niemand anderem. Es war mir nicht recht, wenn jemand sich ungefragt in mein Privatleben einmischte, vor allem dann, wenn es selbst für mich noch immer höchst undurchsichtig war.

      »Es geht um einen Auftrag. Dafür werde ich am Sonntag nach Oslo fahren müssen.«

      »Ist das nicht ein bisschen riskant?«, zeigte sich Yva ernstlich besorgt.

      »In welcher Hinsicht?«

      »Lebst du irgendwie in einem Paralleluniversum oder wieso geht das Schneechaos an dir vorbei? Auf den Straßen geht es echt gefährlich zu. Und Oslo liegt nicht gleich um die Ecke. Du könntest einen Unfall haben.«

      »Den könnte ich auch auf jeder kurzen Strecke haben. Das ist ein schlechtes Argument, kleines Schwesterchen.«

      »Du kannst aber nicht bestreiten, dass sich das Risiko für einen Unfall auf längerer Strecke erhöht«, stand Mailin auf einmal Yva bei.

      »Mami wird dich nicht fahren lassen«, erinnerte Yva mich daran, dass unsere Mutter von früh bis spät tausend Ängste ausstand und nicht in den Schlaf fand, sobald eines ihrer Kinder sich in Gefahr begab – unwichtig, ob diese nur scheinbar oder real existierte. Sie würde mir so lange ins Gewissen reden, bis ich nachgäbe und es bleiben ließe.

      »Du musst ihr das nicht gleich stecken, Yva. Wir werden in der Früh starten und am späten Abend wieder zurück sein. Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.«

      »Wir?«, staunte Yva nicht schlecht.

      »Håkon wird mich begleiten.«

      »Aha, dieser Håkon also!«

      »Ist es denn nicht vielmehr umgekehrt, Linnéa? Begleitest du nicht ihn?«, gab meine beste Freundin eine bravouröse Verräterin zum Besten.

      »Ach, sieh mal einer an! Bedeutet das etwa, dass du gar nicht dabei sein müsstest?«, war Yvas Scharfsinn auf Anhieb geweckt.

      Ich warf Mailin einen finsteren Blick zu. »Warum lieferst du mich ans Messer?«

      »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich mich nicht weniger um dich sorge als deine Familie?!«

      »Mit anderen Worten: Du bist auch dagegen?«

      Sie nickte heftig und versteckte sich wieder hinter ihrer Speisekarte. Dabei kam mir der Gedanke, dass ich es ihr gleichtun und ein Gericht auswählen sollte, denn es würde nicht mehr lange dauern, bis die Bedienung an unseren Tisch kommen und die Bestellungen entgegennehmen wollen würde.

      »Ihr seid ganz schön pessimistisch.«

      »Und du bist wirklich unvorsichtig«, entgegnete Yva.

      »Ich werde mitfahren und basta!«

      »Und da behauptest du, er sei nur ein Arbeitskollege für dich. Von wegen! Offensichtlich bist du bis über beide Ohren in den Typen verliebt«, sagte sie missmutig.

      »Schh!« Panikartig blickte ich um mich. »Informiere doch gleich die Presse!«

      »Das hat doch gar keiner gehört.«

      »Wäre es dennoch zu viel verlangt, wenn du deine Stimme ein wenig senken würdest? Das muss nicht jeder wissen. Und erst recht nicht Håkon.«

      »Der ist doch jetzt gar nicht in der Nähe.«

      »Leute?«, machte Mailin auf sich aufmerksam und deutete mit dem Finger aus dem Fenster. »Dafür würde ich meine Hand lieber nicht ins Feuer legen.«

      Wie drei Kamelstuten gafften wir durch die mit Schneespray dekorierte Scheibe ins Dunkel. Als mein trüber Blick sich klärte und ich Håkon eindeutig als solchen identifizieren konnte, sprang ich vom Stuhl und versteckte mich unter dem Tisch.

      Mailin und Yva neigten sich langsam zu mir herunter.

      »Bist du vollkommen übergeschnappt?«, raunte Mailin.

      »Was wird das, wenn es fertig ist?«, fügte Yva hinzu.

      Ich hätte wissen müssen, dass die Wahrscheinlichkeit, ihm zu begegnen, verdammt hoch war, wo er doch in dieser Gegend zu Hause war. Zwar hatte ich nie erfahren, wo genau sein Heim lag, doch das, was ich wusste, langte, um diesen Stadtteil besser großräumig zu umgehen, wenn ich nicht in der Stimmung war, ihm entgegenzutreten.

      »Er soll mich nicht sehen, was denkt ihr denn?«

      »Und warum bitteschön soll er dich nicht sehen?«, wunderte sich Mailin zu Recht.

      Erst jetzt, da ich keine Antwort darauf hatte, begriff ich, wie irrsinnig ich mich verhielt. Zudem schlug eine Bedienung die Richtung zu unserem Tisch ein, was mich zurück auf meinen Stuhl zwang, um nicht Gefahr zu laufen, hochkant aus dem Restaurant zu fliegen.

      »Schau dich mal um, Linnéa, jetzt gucken alle auf dich«, konnte Yva die spitze Bemerkung nicht einfach hinunterschlucken.

      Ich schaute mich nicht um. Ich hielt es in peinlichen Situationen wie diese für angebrachter, mich an das Prinzip der passiven drei Affen, die nichts sahen, nichts hörten und nichts sagten, zu richten, um die Illusion aufrecht zu erhalten, dass alles in bester Ordnung war. So war es nur halb so schlimm.

      »Guten Abend, was kann ich euch bringen?«, gab die dralle Bedienung mit Schwung und Energie vor, nichts von meinem unmöglichen Benehmen mitbekommen zu haben. Na schön, ihre Ignoranz war immer noch besser als mich zu behandeln wie die Spinnerin, die ich war. Aber weshalb war ich genervt davon? War es nicht das, was ich erreichen wollte?

      Wir drei hatten uns für ein und dasselbe Menü entschieden: Hähnchenkasserolle mit Gemüse, Reis, Currysoße, Brot und Butter. Dazu würden wir mit einem Glas trocknen, deutschen Weißwein anstoßen.

      Als die Bedienung unsere Bestellungen entgegengenommen hatte und wieder zügig abgerückt war, fragte Mailin: »Mit wem ist Håkon da unterwegs?«

      Seine Begleitung war weiblich, so viel konnten wir erkennen, doch da die beiden sich die Auslagen im Schaufenster des Ladens von gegenüber ansahen, mussten wir vorerst mit den Kehrseiten vorliebnehmen.

      »Das würde mich auch interessieren«, murmelte ich, meine ganze Aufmerksamkeit auf das Paar richtend.

      »Mit seiner Ehefrau vielleicht?«, schlug Yva fast querulantenhaft vor.

      »Er ist nicht verheiratet«, erklärte ich.

      »Freundin?«, stöhnte Yva.

      Erst jetzt wandte ich meinen Blick von dem Paar ab und Yva zu. »Möglicherweise hätte ich gleich sagen sollen, dass er solo ist, so wie ich.«

      Sie verdrehte die Augen. »Ja, möglicherweise.« Daraufhin warf sie einen zweiten Blick auf Håkon und betrachtete ihn kritisch. »Also, ich finde, der passt gar nicht zu dir.«

      Direkte Worte, die mich aufhorchen und nachhaken ließen. »Warum nicht? Was gefällt dir nicht an ihm?«

      »Die Frage ist doch vielmehr«, schritt Mailin rüde ein, »an was du das festmachst, Yva. Du kennst ihn doch überhaupt nicht, also wie willst du das rational beurteilen können?«

      Sie hob nur die Schultern. Offensichtlich war sie mit ihrer Weisheit am Ende.

      Auf einmal legte Håkons Begleitung ihren Kopf auf seine Schulter. Er schlang den Arm fest um sie und drückte einen Kuss auf ihren Oberkopf. Ihre Kopfbedeckung dämpfte die Intensität des Kusses, doch die Geste für sich war weitaus signifikanter, als Worte es je beschreiben könnten.

      Eifersucht stieg in mir auf.

      »Bist du dir ganz sicher, dass er solo ist?«, lachte Yva nun schadenfroh.

      »Sehr tröstend, dass dir mein Unglück so viel Vergnügen bereitet«, zischte ich Yva verstimmt an. »Tu mir einen Gefallen und behalte deine Freude für dich.«

      Sie schaute mich an, als durchführe ihren Körper ein heftiger Stromschlag. »Es tut mir