Katie Volckx

Håkon, ich und das tiefgefrorene Rentier (P.S. Fröhliche Weihnachten)


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      - Ich bin eigentlich wahnsinnig müde. Aber ich habe viel zu viel im Kopf, das ich sortieren muss.

      - Das klingt, als wärst du voll im Weihnachtsstress?

      - Du denn nicht?

      - Nein, überhaupt nicht. Wahrscheinlich liegt es daran, dass mich nicht besonders viel erwartet, abgesehen von einer mit Äpfeln gefüllten Weihnachtsgans an Heiligabend bei meiner Mutter und dem Rest der Familie.

      - Du bist ja ein Pascha!

      - Nein, wohl eher ein Glückspilz. Und du platzt vor Neid.

      - Erwischt!

      - Aber das musst du nicht – also vor Neid platzen.

      - Nicht? Wieso?

      - Weil ich zum ersten Mal ohne Begleitung da sein werde. Jeder wird mit den Ehepartnern und Kindern dort aufkreuzen, nur ich, der arme Wicht, mit niemandem.

      - Ich würde mich dem armen Wicht ja gern zur Verfügung stellen, damit er sich nicht so ausgeliefert fühlt, aber leider (oder nicht leider, denn ich liebe es in der Tat) wird auch meine gesamte Familie zusammenkommen.

      - Du bist die Einzige, die ihre Familie mag.

      - Haha. Schande über die, die es nicht tun!

      - Ich mag meine Familie auch!!!!!!!!!!

      - Das sagst du doch jetzt nur, weil du sonst in die Hölle kommst.

      - Also gut, ich mag fünfundneunzig Prozent meiner Familie.

      - Sind denn die anderen fünf Prozent deiner Familie, die du nicht magst, verurteilte Mörder?

      - Äh, nein!

      - Betrüger?

      - Nein!!

      - Lügner?

      - Neiiin!!! Nichts von all dem.

      - Was gibt es dann für einen Grund, sie nicht zu mögen?

      - Sie nerven einfach!

      - Du machst Witze?

      - Ach, komm schon, Linnéa, als würdest du alle Menschen mögen, solange sie nur nichts verbrochen haben.

      - Die Rede war nicht von allen Menschen, sondern von der Familie. Lies zurück!

      - Könnte sein.

      - Könnte?

      - Hm. Linnéa?

      - Hier.

      - Ich hätte da ein Anliegen.

      - Und das wäre?

      - Es könnte sein, dass das, um was ich dich bitten möchte, ein bisschen zu viel verlangt ist.

      - Könnte?

      - Hm. LOL.

      - Håkon, trau dich!

      - Frau Hæreid verlangt, dass ich am Sonntag eine Lieferung nach Oslo bringe.

      - Warum nicht auf normalem Postweg?

      - Weil sie sicherstellen will, dass die Lieferung im Ganzen, doch vor allem pünktlich bei dem Kunden ankommt.

      - Und wie kann ich dir dabei behilflich sein?

      - Es kommen beachtliche sieben Stunden Fahrt auf mich zu. Das heißt, wenn alles glatt läuft.

      - Pro Fahrt!

      - Exakt!

      - Und?

      - Würdest du mich begleiten?

      - Öhm. In Ordnung, ich rede mit Frau Hæreid. Wenn sie mir am Montag frei gibt, erweise ich dir gern den Gefallen.

      - Wirklich? Du nimmst mich aufs Korn!

      - Warum sollte ich?

      - Es könnte etwas stressig werden.

      - Könnte?

      - Ich halte mir gerade den Bauch vor Lachen.

      - Das würde ich zu gern sehen.

      - Hier.

      - Du schickst mir ein Bild von deiner Hand, wie sie deinen Bauch hält? Jetzt halte ich mir den Bauch vor Lachen.

      - Lass sehen.

      - Hier.

      - Linnéa, du bist zu gut für diese Welt.

      - Wunschdenken. Aber danke.

      - Ich kenne dich lange genug, um das beurteilen zu können.

      - Lass uns zur Ruhe kommen und schlafen. Es ist 23:43 Uhr. Und morgen früh um fünf klingelt mein Wecker.

      - Dein Wille geschehe!

      - So etwas hört Frau nur zu gern. Hahaha.

      - LOL. Ich weiß! Na dann, Gute Nacht. Träum süß. <3

      - Gute Nacht. Du auch.

      Vier

      »Ja, wirklich, ganz ehrlich! Er hat mir zum Abschied ein Herz geschickt. Ich habe keines zurückgesendet, denn ich befürchte, dass er es auch seiner Schwester schickt.«

      »Hat er denn eine?«, hatte Mailin Zweifel.

      »Weiß nicht. Dann eben seiner Mutter. Die gibt es auf jeden Fall!« Ich lachte.

      »Immerhin trägt er dich im Herzen.«

      »Aber nicht auf die Art, wie ich es mir wünsche.«

      »Und doch ist es ein Anfang.«

      Dass er mich mit auf die Fahrt nach Oslo nahm, sprach eindeutig für sich. Außerdem würde es mir die Gelegenheit verschaffen, mich von meiner allerbesten Seite zu zeigen, praktisch Reklame für mich zu machen und ihn ein für alle Mal davon zu überzeugen, dass ich die Richtige für ihn war.

      »Vorausgesetzt meine Chefin durchkreuzt nicht meine Pläne.« Ich fragte mich, ob ich nur deshalb zugesagt hatte, weil ich ganz genau wusste, dass Frau Hæreid mir keinen freien Tag genehmigen würde, jedenfalls nicht jetzt, wo so viel zu tun war. Wenn ich mir ausmalte, mit Håkon auf weiter Strecke allein zu sein, überfiel mich ein Hauch von Panik. »Oh, apropos Chefin, sie kommt gerade wieder aus der Stadt.«

      Soeben entstieg sie ihrem teuren Geländewagen, stiefelte zum Kofferraum, öffnete ihn und holte einen Karton heraus.

      »Okay, Süße, dann lass uns das Telefonat schnell beenden, bevor sie grantig wird und du dir ein Frei schon vermasselt hast, bevor du überhaupt danach fragen konntest. – Du wirst doch fragen, oder etwa nicht?«

      »Ja, ja.« Ich klang alles andere als überzeugend.

      »Du wirst doch wohl nicht zurückscheuen?«

      Im Moment deutete alles darauf hin. Mir sprang das Herz fast aus der Brust, meine Hände schwitzten und meine Knie waren weich wie Wackelpeter. Mit jedem Schritt, den sich Frau Hæreid dem Laden näherte, wurde ich nervöser. Sogar meine Blase begann zu drücken. Dabei hatte ich bis vor zwei Sekunden gar nicht auf die Toilette gemusst.

      »Nein, ich werde mein Glück versuchen.«

      »Richtig so! Lass es dir nicht nehmen.«

      »Nein, sicher nicht.« Ermutigt von Mailins Bestimmtheit drückte ich das Gespräch weg und eilte der Chefin entgegen, um ihr den Karton abzunehmen. Der war zu meiner Überraschung federleicht.

      »Das hätte Ihnen auch ruhig schon früher einfallen können«, zeterte sie lieber, statt mir zu danken.

      »Sie wissen doch so gut wie ich, wie ungern Sie sich Dinge aus der Hand nehmen lassen.« Ich warf ihr ein keckes Augenzwinkern zu. »Wohin soll der Karton?«

      »In mein Büro, bitte.«

      »Sehr gut, dann könnten Sie mir sicher eine Sekunde Ihrer wertvollen Zeit schenken, ja?« Meine Bitte glich mehr einer Forderung, dennoch blieb ich freundlich,