Katie Volckx

Håkon, ich und das tiefgefrorene Rentier (P.S. Fröhliche Weihnachten)


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Gelächter aus. Das ließ ich mir nicht bieten und feuerte meinen Ball auf ihn ab, der ihn mitten auf der Brust traf. Sein Lachen erlosch abrupt und er setzte ein schockiertes Gesicht auf. Seinen Schneeball ließ er locker aus der Hand fallen, fasste sich theatralisch an die angeblich verwundete Stelle und begann, wie ein von einer Kugel Getroffener vor und zurück und wieder vor zu taumeln. Es dauerte lang, bis er schlussendlich vor mir auf seine Knie, dann rücklings in die hohe weiße Masse stürzte und sich tot stellte. Doch statt in Tränen auszubrechen, hüpfte und tanzte ich vor Freude über meinen Sieg wie Rumpelstilzchen um sein Feuer.

      Aber meine Freude währte nicht lang, denn Håkon war kein guter Verlierer, schoss mit dem Oberkörper hoch, riss mich an meinem Arm zu sich auf den Boden und seifte mein Gesicht mit einer Handvoll Schnee ein.

      Ich rief: »Hör auf!« und bog mich vor Lachen. Ich schlug gegen seine Arme und Schultern. »Stooopp!«

      Endlich ließ er von mir ab und rollte sich wieder auf den Rücken zurück. Erschöpft, aber glückstrahlend lagen wir nebeneinander. Wir rührten uns so lange nicht von der Stelle, bis wir wieder zu Atem gekommen waren.

      Mit schwerfälligen Bewegungen richtete er sich wieder auf und stellte sich auf die Füße. Dann streckte er mir seine helfende Hand entgegen: »Komm, bevor du dir einen Schnupfen holst.«

      Dankend nahm ich seine Hand in Empfang. Mit spielerischer Leichtigkeit brachte er mich in die aufrechte Position. Durch ihn fühlte ich mich leicht wie ein Schmetterling, obwohl ich wegen diverser Naschorgien, die in der Weihnachtszeit sogar monströse Ausmaße annahmen, stolze sechs Pfund zugenommen hatte.

      Ich war mir sicher, dass Frau Hæreid uns beobachtet hatte, doch ich wusste auch, dass sie vor Håkon niemals außer sich geraten und mich anherrschen würde.

      Auf dem Weg zum Transporter wagte ich die Frage, die mir unter den Nägeln brannte, zu stellen: »Warum bist du heute so spät dran?« Da er nun hier war, wurde offenbar, dass es nichts mit mir zu tun hatte. Dennoch wollte ich den letzten noch so kleinen Zweifel ausräumen.

      Er winkte ab. »Auf den Straßen ist die Hölle los. Als wäre das Schneechaos nicht genug, musste es auch noch eine Massenkarambolage auf der E39 geben. Es hat Stunden gedauert, bis die Fahrzeuge, die glücklicherweise nicht davon betroffen waren, dort endlich herauskamen. Durch die Verspätung bin ich heute noch nicht ein einziges Mal zu Atem gekommen.«

      »Das ist ja schrecklich!«

      Håkon öffnete die Flügeltüren des Kleintransporters. Sofort schlug uns der Duft von frischem Wacholder entgegen. Ich inhalierte diesen und schloss einen Moment lang schwelgerisch die Augen, während Håkon in den Wagen hineinkletterte.

      »Das ist es«, pflichtete er mir bei und löste die ein oder andere Fixierung. »Aber weißt du, was noch schrecklicher ist?«

      »Was ist denn noch schrecklicher als eine Massenkarambolage mit zig Toten?«

      »Nun, na ja«, er räusperte sich ausgiebig, was ganz unmissverständlich auf Gewissensbisse hindeutete, »dass wir unseren innigst geliebten Kaffee heute abermals ausfallen lassen müssen.«

      »Oh!«, machte ich. Es versetzte mir einen heftigen Stich ins Herz. Doch er hatte mich noch lange nicht so weit, dass ich mich vergessen würde. Auch heute würde ich ihm keine Szene machen. Dafür hatte er mir eine lustige Schneeballschlacht geschenkt. Womöglich war ihm gar nicht aufgefallen, dass er mir trotz Zeitknappheit bereits einige wertvolle Minuten gewidmet hatte. War mir doch schnuppe, wie wir die Zeit miteinander verbrachten, am Ende zählte nur, dass wir sie miteinander verbrachten. »Wird das zur Gewohnheit?« Ich versuchte, kess zu wirken und streckte ihm die Zunge heraus.

      »Im Augenblick ist es wie verhext. Dabei genieße ich diesen Teil des Tages immer am meisten.«

      »Du bist so ein Süßholzraspler!«

      »Nur, dass ich es wirklich ernst meine. Wenn es um unsere heilige Kaffeezeit geht, verstehe ich keinen Spaß.«

      »Wirklich mitgenommen siehst du aber nicht aus!«

      »Das ist Tarnung. In meinem Job muss man seriös wirken.«

      »Ach ja? Seit wann das denn?« Ich kicherte.

      »Du Biest, du!«

      »Du redest hoffentlich nicht mit mir?«

      »Nein, nein, nur mit dem kleinen Teufel auf deiner rechten Schulter, Zuckerpuppe.«

      »Na gut, dann kommst du noch mal glücklich davon«, näselte ich überheblich und mit einem Auge zwinkernd.

      »Hey, flirtest du mit mir?«

      Ich lachte exaltiert, um meine Verlegenheit zu verbergen. »Wir sind hier nicht bei Wünsch-dir-was.«

      »Das ist aber jammerschade, denn ich wollte dich gerade nach deiner Handynummer fragen.«

      Mir blieb der Atem stehen. Mir war, als säße ich in einer Achterbahn, die am höchsten Punkt des Lifthills angekommen war und kurz davor war, die Abfahrt hinunterzustürzen. »Ähm … ja … klar … wenn du sie … ähm … haben willst«, stotterte ich.

      »Na, und ob! Würde ich dich dann danach fragen? Nur dich scheint das etwas – nun ja – nervös zu machen?«

      »Es kommt nur so überraschend.«

      »Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Erinnerst du dich noch an Montag, als wir uns am Abend im Café verabredet haben? Wir hatten vergessen, vorab eine Uhrzeit zu vereinbaren. Ich musste dich dann im Laden anrufen, konnte jedoch nicht mehr sicher sein, dass du noch dort bist. Ich habe mir wirklich Vorwürfe gemacht. Was, wenn du enttäuscht nach Hause gefahren und sauer auf mich gewesen wärst? Und da fiel mir auf, wie umständlich das alles ist und dass uns das nicht passiert wäre, wenn wir längst unsere Telefonnummern ausgetauscht hätten.«

      »Stimmt, nach drei Monaten Freundschaft hätten wir das längst tun können.« Da wir nur in der Dienstzeit miteinander in Verbindung standen, hatte ich angenommen, dass ihm das Ladentelefon als Kommunikationsmittel genügen würde.

      »Prima, dann lass uns endlich die Bäumchen in den Laden bringen, die Nummern austauschen und heute Abend ein wenig texten, einverstanden?«

      Die Worte klangen wie Musik in meinen Ohren, denn nun waren wir schon einen zweiten Schritt weiter. Und der fühlte sich sogar noch schöner an als der erste. Wie konnte ich meine Freude da noch in Schach halten? Sollte das so weitergehen, würde ich bald explodieren.

      Den restlichen Tag hatte ich auf den Abend hingefiebert, hatte mich auf nichts weiter als auf diesen einen Augenblick vorbereitet. Nun flegelte ich in meinem Bett, tief eingekuschelt in die Bettdecke, und lauschte weihnachtlichen Klängen, die das Radio spielte. Sogar einen Teller gefüllt mit allerlei Kleingebäck hatte ich neben mir auf die Matratze gestellt, an dem ich mich blind mit der einen Hand bediente, während die andere das Handy, von dem ich meinen Blick nicht einen Augenblick wenden konnte, fest umklammerte. Ich betete inständig, dass die Initiative von ihm ausginge. Zum einen, um sein Interesse an mir unter Beweis zu stellen, zum anderen, weil mir keine einführenden Worte einfallen wollten. Die Sorge davor, dass ich mich bis auf die Knochen blamieren würde, war zu groß, um es einfach zu riskieren.

      Und dann ließ er endlich von sich hören. Einfach und gelassen. Darauf hätte ich nun auch kommen können!

      - Was machst du gerade, Zuckerpuppe?

      Meine Hand, in der ich das Handy hielt, zitterte vor Nervosität. Liebend gern hätte ich sofort darauf geantwortet, doch ein wenig Zeit gab ich mir dann doch, schließlich wollte ich nicht verzweifelt rüberkommen.

      - Nicht das, was Männer gemeinhin annehmen, was Frauen um diese Uhrzeit tun.

      - Du meinst, schlafen?

      - Hahahaha. Genau das!

      - Stattdessen tust du nun was?

      - Wachliegen und mit dir schreiben, Håkon!

      - Warum kannst du nicht schlafen?

      - Woher willst