Katie Volckx

Håkon, ich und das tiefgefrorene Rentier (P.S. Fröhliche Weihnachten)


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denn nur?

      Doch Zeit zum Türmen blieb mir nun keine mehr, denn Håkon war pünktlich auf die Sekunde. Mit quietschenden Sohlen hetzte er an den Tisch, an dem ich mich bereits niedergelassen hatte, und ließ sich völlig atemlos auf dem mir gegenüberliegenden Stuhl fallen.

      »Gemach!«, lachte ich.

      Er wirkte müde und platt, als er seinen Kopf in den Nacken warf und sich mit den Händen über das Gesicht fuhr. »Dieses Lieferanten-Gen in mir kann nicht anders.« Jetzt lachte auch er und entledigte sich seiner Jacke im Sitzen. Etwas unbeholfen wirkte er dabei, weshalb es mich reizte, aufzustehen und ihm zur Hand zu gehen. Aber am Ende hatte er den Kampf mit seiner Jacke auch ohne Unterstützung gewonnen. Kurz darauf hing diese über der Rückenlehne seines Stuhls.

      »Hey, ich bin's nur.« Ich lächelte.

      »Das ist ja das Verwirrende.«

      Ich guckte schief, denn meine Auffassungsgabe war um diese Uhrzeit noch viel schlechter als zur Mitte des Tages.

      »Ich verbinde dich praktisch nur mit dem Weihnachtshaus. Da kann man mit seinen Absichten schon mal eine Winzigkeit durcheinander kommen.«

      »Du bist verrückt.«

      »Aber lustig.«

      »Gute Mischung.«

      »Finde ich auch.«

      Wovor hatte ich mich noch mal gefürchtet? Alles lief wie am Schnürchen. Dank Håkon. Sein Humor war ein Retter in der Not, ganz gewiss. Andererseits gab es mir einmal mehr zu erkennen, dass er mir nur freundschaftlich gesinnt war. Sein Auftreten erschien mir sogar zwanghaft. Setzte er mich etwa nur mit einem lästigen Termin gleich?

      Er betrachtete mich eingehend. »Sag mal, warst du noch gar nicht daheim?« Ihm war aufgefallen, dass ich noch immer dieselbe Kleidung wie im Laden trug.

      »Nein.«

      Leider hatte sich mir die Gelegenheit noch nicht geboten. So war ich mit meinem klapprigen ziegelroten Auto vom Weihnachtshaus direkt ins Café gefahren. Natürlich hätte ich mich vor dem Treffen mit Håkon gern noch ein bisschen aufgehübscht und umgezogen und mir etwas Essbares einverleibt, aber zum Arbeitsende war es bereits achtzehn Uhr gewesen. Nun stank ich wie ein Puma, der scheinbar in einer Parfümerie total durchgedreht war, weil ich mich zuvor eingedieselt hatte, um den schlechten Geruch zu überdecken, und schob Kohldampf. Das Grollen meines Magens war weithin hörbar. Er schrie kläglich nach etwas Festerem als Kaffee.

      »Linnéa, das geht so nicht! Hab ich dir nicht erst vorhin gesagt, dass du mehr Acht auf dich geben musst? Du fällst auch so schon völlig vom Fleisch. Du weißt ganz genau, dass ich das auf den Tod nicht ausstehen kann.«

      »Ja, ich weiß das ...«

      »Warum änderst du dann nichts daran?«, fuhr er mir sofort ins Wort. Offenbar war er mit seiner Standpauke noch nicht fertig gewesen. »Kaffee ist jetzt das Letzte, was du brauchst. Heute essen wir ausnahmsweise mal gemeinsam zu Abend, einverstanden?«

      Zwar war die Speisekarte hier recht klein, aber Fritten bekam man ja überall. »Total!« Mit seiner Fürsorge machte er mich gerade zum glücklichsten Menschen der Welt, da diese mir verriet, dass ich für ihn doch nicht nur ein lästiger Termin war.

      Wie war ich nur darauf gekommen? Håkon war ein guter Mensch, mit dem Herz am rechten Fleck. Wieso begann ich, ihm Eigenschaften anzudichten, von denen ich wusste, dass er sie gar nicht besaß? Schließlich gab es einen triftigen Grund, aus dem ich mich in ihn verknallt hatte: Er war nicht wie alle anderen Männer! Ich musste mir eingestehen, dass er mich nur deshalb enttäuschen könnte, weil mein Herz an ihm hing und mich daher empfindsamer machte, und nicht, weil er sich mir gegenüber nach Tatsachen mies verhielt.

      Er atmete zufrieden auf. »Das ging ja leicht! Dabei habe ich mich innerlich schon darauf eingestellt, auch noch den herzzerreißenden Blick des Gestiefelten Katers aufwerfen zu müssen, um dich zu bekehren.«

      »Das bekommst du auch locker mit deinem eigenen Blick zustande, wie du siehst.« Diese Worte führten dazu, dass wir uns tief in die Augen blickten. Vielleicht war es sogar das erste Mal, dass sich unsere Blicke derart eindringlich trafen und wahrnahmen.

      Um mich aus dieser verfänglichen Lage zu befreien, killte ich den märchenhaften Moment mit: »Das hier ist aber nach wie vor kein Rendezvous.« Mein Gesicht lief glühend rot an. Mein Puls raste. Verflixt!

      »Selbstverständlich nicht! Bei einem Rendezvous würde ich nämlich das Essen bezahlen. Und Fritten und Burger würde es auch nicht geben.«

      »Sondern?«

      »Etwas, wonach man sich nicht die Zähne putzen müsste. Schließlich hat man bei einem Rendezvous amouröse Absichten. Somit endet es in der Regel immer mit Herumknutschen vor der Haustür der Angebeteten. Verstehst du?«

      Ich prustete los. »Klar!«

      Schon beim Betreten der Küche am nächsten Morgen hatte Mami mich gebeten, dass ich am Tisch Platz nehmen solle. Für gewöhnlich half ich ihr beim Eindecken. Doch heute war der Tisch bereits eingedeckt.

      Was ging hier vor sich? Hatte ich irgendwas nicht mitbekommen? Eine Frage, die ich dringend stellen sollte, denn es schien wichtig zu sein. Doch vor meiner ersten, Lebensgeister erweckenden Tasse Kaffee wagte ich wichtige Fragen lieber nicht zu stellen.

      Besagter Kaffee wurde gerade in eine überdimensionale Tasse vor mir eingefüllt. Von Yva! Das war wirklich gruselig. Normalerweise war ich diejenige, die die Jüngste im Bunde bediente. Doch heute war alles anders.

      Yva setzte sich mir gegenüber, zog ihren Stuhl unnatürlich dicht an den Tisch heran, legte die Arme vor sich ab, verlagerte ihr Gewicht nach vorn, starrte mich mit weiten, fragenden Augen an und schmunzelte.

      Ich nahm meine Tasse auf und trank um mein Leben. Vielleicht würde mir ja eine Backpfeife aus diesem schlechten Film heraushelfen?

      Erst als ich den Becher geleert und ihn wieder abgestellt hatte, riskierte ich es und wollte wissen: »Hast du ein Gespenst gesehen oder weshalb guckst du so beknackt?«

      Auf der Stelle quasselte sie los, als hätte sie nur auf das Startsignal gewartet. »Wer war der Kerl?« Sie setzte ihr niedlichstes Augenklimpern auf. Das tat sie immer, um zu bekommen, was sie wollte.

      Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie meine Familie von dem Abendessen mit Håkon wissen konnte, aber da sie es nicht von mir erfahren hatten, stand es mir auch zu, mich dumm zu stellen. »Welcher Kerl?«

      »Tu doch nicht so.«

      Sowohl Mami als auch Papi, der gerade eben mit seiner morgendlichen Dusche fertig geworden war, gesellten sich zu uns. »Und, wer ist nun dieser geheimnisvolle Typ?«, hakte auch er ohne langes Federlesen nach, nicht wissend, dass Yva bereits dieselbe Frage gestellt hatte und fieberhaft auf die Antwort wartete.

      »Linnéa simuliert Ahnungslosigkeit«, zischelte meine kleine Schwester beleidigt. Wetten, dass sie es jetzt zutiefst bedauerte, dass sie mir eine kleine Gefälligkeit erwiesen hatte? Und da der Kaffee bereits in meine Blutbahn gelangt war, konnte sie ihn mir aus Frust nicht mal mehr wieder wegnehmen.

      »Woher wisst ihr überhaupt von ihm?«

      »Ha!«, kreischte Yva mit einem Mal und schlug mit der flachen Hand so kräftig auf die Tischplatte neben ihrem Teller, dass alles, was sich an Geschirr darauf befand, klirrte. »Hab ich es doch gewusst!«

      Nicht nur ich, auch Mami und Papi fuhren heftig zusammen. »Yva, Kleines, nimm dich zusammen. Das ist doch kein Grund, gleich hysterisch zu werden«, rief Papi sie zur Ordnung.

      »Wie bitte? Das soll kein Grund sein, hysterisch zu werden?«, drückte sie ihre Verwunderung wohl leiser, dafür unerträglich schrill aus. »Linnéa ist neunundzwanzig, ging gerade mal mit drei Jungs, die spätestens nach zwei Monaten die Biege gemacht haben, weil sie sie nicht rangelassen hat, und du sagst, das sei kein Grund, hysterisch zu werden, wenn sie ein Date mit einem Typen hat? Das hat ein Seltenheitswert!«

      »Das hat Intelligenz