der Titel nicht vorhanden wäre. Aber gerade dieses Understatement führte bei den beißenden Vorgesetzten nicht zur wohlmeinenden Entlastungsreaktion. Im Gegenteil, jetzt hat er so früh den Titel bekommen und steht noch nicht einmal dazu, der Mann ist überheblich und arrogant, war dann die Einschätzung.
Doch das alles war Vergangenheit. Trotzdem war er noch nicht so weit, dass er völlig auf den Titel hätte pfeifen können. Er hatte keine Ahnung, was noch kommen würde. Jedenfalls war er meilenweit davon entfernt, die Beine hochlegen zu können. Er musste noch mindestens zehn Jahre Geld verdienen. Also würde er wieder Vorlesungen halten. Allerdings würde er ein Thema für seine Vorlesung ankündigen, was außerhalb des Stoffkatalogs für die Ärztliche Prüfung lag. Das würde auf absolutes Desinteresse bei den Studenten stoßen, so dass keiner käme und er die Veranstaltung absetzen könnte.
Und außerdem war da auch noch das Manuskript. K. hielt es aber erst einmal unter Verschluss. Immer, wenn er gelegentlich mal wieder in die Seiten hineingeschaut hatte, fand er nicht nur Rechtschreibfehler, sondern auch nicht hinnehmbare Unzulänglichkeiten und Patzer. Ganze Kapitel kamen ihm stümperhaft oder pomadig geschrieben vor. Für den unbedarften Leser fehlten mehrfach die verbindenden Sentenzen. Das was er vor ein paar Wochen noch als ganz witzig empfunden hatte, war ihm jetzt nur noch peinlich. Das war nicht publikumstauglich, es war ein dilettantischer Erstling. Das war das Niveau von Seidenmalerei und Makrameebasteln in der Volkshochschule.
Auf Drängen eines guten und neugierigen Freundes, der hinsichtlich der neueren deutschen Literatur äußerst belesen war, überließ er diesem das Manuskript. Der hatte es innerhalb von zwei Tagen durchgelesen und fand es exzellent, was Plot, Dramaturgie und Sprache anbelangte. K. schwebte und bat kühn einen weiteren Freund, einen Verleger, um Durchsicht und konstruktive Kritik. Bereits in dem Moment, als die Postsendung seine Finger verlassen hatte und in den Schlitz des Briefkastens geglitten war, wünschte er sich, dass dies nicht geschehen sein möge. Sein Freund war der Prototyp eines so genannten wertkonservativen Großbürgers, dessen Welt in K.s Erstlingswerk permanent angepisst wurde.
Tatsächlich rief ihn dieser Freund noch am Tag des Manuskripteingangs an. Er sagte, dass er es nach drei Seiten Lesen zur Seite gelegt habe. Dieses präpotente Geschreibsel wolle er sich nicht weiter antun. Außerdem würden in dem Machwerk mindestens fünf Beleidigungsklagen stecken. Im Falle einer Veröffentlichung fürchte er um K.s bürgerliche Existenz. Anzuerkennen sei, dass sich K. selber nicht als unbefleckten Held dargestellt habe, wenngleich die Art, wie er sein Licht unter den Scheffel stelle, gleichwohl auch einer Anbiederung gleich käme. Die autobiographischen Schilderungen würden deutlich machen, dass er sich selber in einige dumme, nicht unbedingt nötige Sachen reingeritten habe. Hoffentlich schaufele er sich mit diesem Roman jetzt nicht noch ein zweites Grab.
K. entgegnete, dass er nur vom Leben abgeschrieben habe. Alles was man zu Papier bringe sei autobiographisch, selbst Fantasiegebilde, denn auch die Fantasie speise sich aus dem Erlebten und Gelesenen. Außerdem seien die Figuren und Handlungen im Roman von ihm derartig verfremdet oder neu erfunden worden, dass eine Identifizierung kaum möglich sei.
K. verwies dann auf einen im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienenen Artikel mit dem Titel „Am Tellerrand gescheitert – Warum die Gegenwartsliteratur die Gegenwart meidet“. Autor war ein Richard Kämmerlings. Aufhänger war die Finanzaffäre von Jérôme Kerviel, welcher seinem Arbeitgeber, der französischen Großbank Société Générale, ein Rekorddefizit von annähernd fünf Milliarden Euro einfach so herbeispekuliert hatte. Der Mann wurde gefeuert und die ehemals so stolze Bank wurde zum Übernahmekandidaten und jeder rätselte, wie so etwas passieren konnte. Das sei Stoff für einen Epochenroman, so meinte Kämmerlings und stellte gleichzeitig die Frage, warum sich solche Figuren so wenig in der deutschen Gegenwartsliteratur fänden. Die Ursache sei, so sein Resümee, dass sich die Autoren in der Retrospektive tummeln würden. Der historische Familien- oder Generationenroman, gern als episches Jahrhundertpanorama definiert, beherrsche die Szene. Es mangele an dem, was unser Leben jenseits des Privaten formt und bestimmt: die Wirtschaft, die Technik, die Medizin, das Militär, ja selbst die Medien.
„Und ich will mit meinem Opus diese Lücke füllen“, sagte er seinem Freund, dem Verleger, der sich aber auch durch diese Argumentation nicht überzeugen lassen wollte und ab diesem Zeitpunkt Kontakte mit K. mied. Zu groß erschien ihm die Gefahr, als Figur in einem anderen Roman des entfesselt schreibenden K. aufzutauchen.
Danach machte K. die üblichen Erfahrungen, die fast alle Erstautoren machen. Im Briefkasten steckte ein dicker Umschlag, der Rückumschlag, den man dem an den Verlag eingesendeten Text beigelegt hatte. Dieser hatte leider den Weg zurück gefunden. Man mochte gar nicht reinschauen.
Es stand immer dasselbe drin:
Passt nicht ins Verlagsprogramm.
Das von ihnen aufgegriffene Genre ist derzeit out.
Könnten sie zu diesem Thema nicht vielleicht einen Sachroman schreiben?
Am besten sie definieren uns die Zielgruppe.
Wir wünschen ihnen viel Glück bei anderen Verlagen.
K. fragte sich, wer da überhaupt etwas gelesen hatte. Der Lektor? Lektor kommt von „lesen, vorlesen“. Man müsste meinen, dass die mit der Muttersprache Deutsch ganz gut zurechtkommen. Die Ablehnungsschreiben waren aber überwiegend in grauenhaftem Deutsch abgefasst. Kein Text war ohne Rechtschreibfehler. Das können keine Lektoren sein, das sind überforderte oder aber hypertrophe Wesen, geifernd auf der ständigen Suche nach dem Blockbuster, der ihren Verlag und damit ihren Arsch rettet. Alle hatten Angst, Entscheidungen zu treffen. Zu viele falsche Entscheidungen, zu viele Flops und der Verlag würde wirtschaftlich Schlagseite bekommen.
Dass es dann so schnell gehen würde, damit hatte er jedoch nicht gerechnet. Ungefähr der dreißigste Verlag, dem er das Manuskript angeboten hatte, schlug zu. Die Lektorin fand das Thema aktuell. Momentan flogen die Manager reihenweise aus ihren Jobs raus. K. berichtete in seinem Roman, wie sich so eine traumatische Trennung allmählich anbahnt und gab gute Ratschläge zur Bewältigung solcher Krisen. Im Untertitel stand „ein Roman und Ratgeber“. Er hatte also einen Sachroman kreiert. Die Schreibe war flott, und der Hauptklientel des Buchhandels, die viel lesenden Frauen, konnten auch auf ihre Kosten kommen. K. hatte etliche erotische Fantasien aus dem Berufsleben mit eingebaut.
Die einzige bittere Pille, die K. schlucken musste, war die Haftungsübernahme. Wenn berechtigte Einwände wegen Verletzungen der Privatsphäre eingehen würden und das Werk nach Auslieferung an den Buchhandel zurückzuziehen oder zu überarbeiten wäre, dann würde das zu seinen Lasten gehen. Als er zaghaft fragte, ob man darüber noch einmal reden könne, erhielt er eine schnippische Antwort. Der Autor selber, denn nur der würde die genaueren Zusammenhänge kennen, müsse entscheiden, ob sich da irgendjemand auf den Schlips getreten fühlen könnte. Für fehlgeschlagene psychotherapeutische Behandlungen des Autors sei man nicht zuständig. In seiner Anfangseuphorie verdrängte K. dann einfach dieses Risiko und legte damit den Grundstock für eine weitere Umdrehung in seiner Abwärtsspirale.
Von Anfang an sollte der Titel „Die Kündigung“ lauten. Bezüglich des Untertitels kristallisierte sich dann „- ausgebrannt und gefeuert - “ heraus, um noch eine reißerische Komponente hinzuzufügen. Zunächst verkaufte sich die erste Auflage von 3.000 Stück schleppend. Ca. 700 Exemplare gingen zwar bereits im ersten Monat über den Ladentisch. Käufer waren wahrscheinlich überwiegend die Personen, die davon ausgingen, dass sie im Buch Erwähnung gefunden hatten, also vorrangig K.s Bekannte und Personen aus seinem weiteren privaten und beruflichen Dunstkreis. Das hatte die Lektorin so bereits vorausgesagt, obwohl das Buch unter einem Pseudonym erschienen war.
Dann aber wurde der Verkauf schleppender. Kurz bevor das Buch aus der zweiten Reihe auf den Präsentiertischen in den Buchhandlungen verschwand, erschien ein Artikel in einem Wirtschaftsmagazin, welcher die Hintergründe des Rauswurfs einiger Führungskräfte aus der jüngsten Vergangenheit thematisierte. In diesem Magazinbeitrag wurde auch das Buch K.s erwähnt. Das war der Durchbruch. Das Buch wurde in den Feuilletons der großen Tageszeitungen besprochen und im unteren Drittel der Spiegel-Bestsellerliste für Sachbücher geführt. Insgesamt erschienen drei Auflagen. Genauso hatte sich K. das