formierte sich allmählich die Gegenbewegung. Als aller erstes beschwerte sich der regionale Governor der Rotarier in einem Brief. Es sei eine absolute Geschmacklosigkeit, dass der Autor die rotarischen Clubs mit Kaninchenzüchtervereinen vergleiche. Der Verlag reagierte prompt. Nicht der Autor sei das gewesen, sondern die Romanfigur „K.“ habe das so formuliert. Am Ende seines Antwortschreibens konnte sich die Redakteurin des Verlags die Bemerkung nicht verkneifen, dass es allerdings eine außerordentliche intellektuelle Herausforderung darstelle, zwischen dem Autor und dem Protagonisten zu differenzieren.
Die nächste Beschwerde erreichte K. postalisch. Der Brief kam von seiner ehemaligen Sekretärin. Sein Rausschmiss habe sie erheblich betroffen gemacht. Sie habe tagelang weinen müssen. Am schlimmsten sei gewesen, dass K. in seinem Buch behauptet habe, dass sie miteinander Sex gehabt hätten.
K. antwortete.
Liebe Frau Sperling, nur weil sie einen Vogelnamen haben und die Romanfigur Frau Vogler heißt, dürfen sie davon nicht ableiten, dass sie Frau Vogler sein sollen, genauso wenig, wie der Herr K. im Roman meine Person repräsentiert. Selbstverständlich waren wir nicht intim, weder in der Realität, noch im Roman. Wenn sie die Stelle auf Seite 135 des Buches noch einmal genau lesen, dann wird von Geschlechtsverkehr im Büro gesprochen, welchen die Romanfigur K. mit der Romanfigur Vogler gehabt haben soll, der aber so gar nicht stattfand. Frau Vogler war zu einer solchen Aussage durch den bösen Manager Bosse gezwungen worden, um K. moralisch in die Knie zu zwingen, was im Übrigen in Wirklichkeit so auch nie statt gefunden hat. Es handelt sich bei meinem Buch um eine Ausgeburt meiner Fantasie. Das ist keine Reportage, das sollen auch keine Memoiren sein, das ist eine fiktive Novelle. Mit freundlichen Grüßen K.“
K. war jetzt ganz oben auf. Offensichtlich wurde die Geschichte gelesen, und die Leser setzten sich mit den Personen und Handlungen im Roman auseinander. Die Figuren, bei deren Beschreibung er keine Destruktoren eingebaut, deren Sauereien er eins zu eins beschrieben hatte, die meldeten sich nicht. K. grinste grimmig in sich hinein. Klar, wenn sie sich in ihren Lügen und Betrügereien wieder erkennen, dann werden sie den Teufel tun, ihre Persönlichkeitsrechte zu reklamieren. Das sähe ja wie ein Schuldeingeständnis aus.
Die Verkaufszahlen stiegen weiter. Die dritte Auflage war schon zur Hälfte verkauft, da erhielt K. von seiner Lektorin einen Anruf. Ein gewisser Furtwanger habe sich über seinen Anwalt gemeldet. Er erkenne sich in der Figur des Krusewitz wieder und fühle sich diffamiert.
„Sie erwarten, dass wir die bereits ausgelieferten Bücher aus dem Handel zurückziehen. Ferner bestehen sie darauf, dass das Kapitel, in dem Krusewitz, der in Wirklichkeit Furtwanger hieß, als korrupter Mitarbeitervertreter beschrieben wird, aus künftigen Auflagen verschwindet“, sagte die Lektorin in ruhigem Ton am Telefon. K. musste erst im Glossar des Buches blättern um sich zu erinnern, wen er denn bei der Beschreibung dieses vermaledeiten Krusewitz vor seinem Dichterauge gehabt hatte.
„Aber das ist doch alles nur romanhaft. Klar, auch da habe ich ein paar Anleihen bei der Realität genommen. Es passte halt so gut“, erwiderte K. kleinlaut.
„Der Anwalt von Furtwanger ist ein Wadenbeißer. Ich kenne ihn von anderen Verfahren, in denen er einstweilige Anordnungen in ähnlich gelagerten Fällen erreicht hat“, sagte die Lektorin und jetzt nahm ihr Ton an Schärfe zu. „Herr K., ich schätze sie sehr, ich will sie nicht beschädigt sehen, wir wollen ja noch weitere Buchprojekte realisieren. Deswegen sagen sie mir eins: Haben sie hier zu eng von der Wirklichkeit abgekupfert? Können die uns in die Pfanne hauen?“
K. zögerte mit der Antwort, bis er sich zu einer Erwiderung durchringen konnte: „Es ist völlig albern, diese Figur spielt eine absolute Randrolle. Aber da ist ein nicht beherrschbares Restrisiko“, quetsche er, „schon damals war mir klar, dass ich es mit einem Riesenarschloch zu tun habe. Der hat schon immer anders getickt.“
„Das bedeutet also Rückruf?“
„Ich fürchte ja. Wenn ich mir die Zwischentöne in ihrer Rede so anhöre, dann haben sie ja bereits entschieden“, sagte K.
„Wir ziehen gleich den ganzen Schwanz ein. Das spart Anwalts- und Gerichtskosten. Die Rechtsprechung hat sich in solchen Fällen immer mehr auf die Seite der Verfechter der Persönlichkeitsrechte geschlagen. Die künstlerische Freiheit ist in den letzten Jahren immer mehr ins Hintertreffen geraten. Das ist aber kein Hals- und Beinbruch. Vielleicht kriegen wir über die Rückrufaktion noch mehr Publicity. Grämen sie sich nicht. Wir werden das Beste draus machen.“
Nachdem die Lektorin aufgelegt hatte, erinnerte sich K. schemenhaft an eine Klausel in seinem Autorenvertrag. Wie war das noch mal? Sollte er nicht persönlich für die Kosten einer solchen Rückrufaktion haften? Er verdrängte diesen unangenehmen Punkt.
K. befand sich in der Defensive. Wieso aber hatte ausgerechnet dieser Furtwanger Protest eingelegt? Zumal K. den Vorgang so beschrieben hatte, wie er abgelaufen war und ihm Furtwanger in keiner Weise als Mimöschen in Erinnerung geblieben war. Er konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass die Hyphen des Myzels hinter ihm herrankten, dass alle seine Schritte, alle seine Spuren beobachtet und verfolgt wurden. Die Organisation hatte entschieden, dass er für sie arbeiten sollte. Dem konnte man sich nicht entziehen. Nur durch den Tod hätte man entkommen können.
8. Die Wende
Er nahm den nächsten Briefumschlag in die Hand. Darauf stand ein Absender, den er zuvor noch nie gelesen hatte. Bob W. Bockhold, Attorney at Law stand da und als Ort eine Norddeutsche Kleinstadt. Er riss den Umschlag auf und las den Brief:
Sehr geehrter Herr Professor K.,
von einem gemeinsamen Bekannten, Herrn Dr. Udo Schütz, erhielt ich Ihre Adresse. Vorher hatte ich mehrere Wochen lang vergeblich versucht, sie telefonisch zu erreichen. Durch einen tragischen Unfall ist unser medizinischer Berater, Herr Prof. Dr. Dr. Grosser ums Leben gekommen. Er koordinierte für uns einige Forschungsvorhaben und bearbeitete toxikologische und epidemiologische Fragen, deren Beantwortung für uns überaus wichtig ist. Wir suchen nun Ersatz für Herrn Professor Grosser. Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn ich hierzu Ihr Interesse wecken könnte. Bitte rufen sie mich an.
Mit freundlichen Grüßen Bob W. Bockhold.
Klingt ganz interessant, dachte sich K., insbesondere vor dem Hintergrund meiner angespannten Haushaltslage und in Anbetracht eines für mich weitgehend verschlossenen Arbeitsmarktes.
Am selben Tag klingelte bei ihm das Telefon. Sein Kollege Udo Schütz war am Apparat. Ob er von dem Doppelmord in Hannover vor einigen Monaten gehört hätte.
Ja, habe er, antwortete K. Er wäre einige Monate im Ausland gewesen und hätte nur wenig in die Zeitungen geschaut. Eine Bekannte hätte ihn darauf angesprochen. Zunächst sei ihm Grosser nicht in den Sinn gekommen, weil die Tat so ungeheuerlich gewesen sei. Als er dann etwas in der BILD-Zeitung darüber gelesen hatte, hätte er realisiert, dass es sich um seinen alten Bekannten Hans-Günter Grosser gehandelt habe.
Richtig, Grosser sei es gewesen, sagte Schütz. Der sei zuletzt als Consultant für eine Anwaltskanzlei tätig gewesen. Da wäre es um die krankmachende Wirkung von Fasern in Bremsbelägen gegangen. Die Juristen bräuchten Unterstützung von medizinischer Seite, um in Gerichtsverfahren in den USA stichhaltige Argumente zur Hand zu haben. Die Anwaltskanzlei suche dringend nach einem Ersatz für den ausgefallenen Grosser, weil die ganze Aktion schon ins Laufen gekommen sei. Ob das was für K. wäre?
„Das klingt ja ganz interessant“, sagte K., ohne dass er kapiert hatte, worum es hier genau ging.
Zwei Tage später – nur nicht zu voreilig - rief er Bockhold an und vereinbarte den Termin für ein Treffen.
9. Kaiser im Elend
Kaiser sah einfach nur schlecht aus. Die Augen lagen tief und waren finster umrändert. Die gesamte Gesichtsfront machte einen aufgedunsenen Eindruck. Der Blick war unruhig, seine Bewegungen waren fahrig und die Schultern hingen.
„Da ist er ja, der Meisterspion“, rief K., als er ihn nach längerer