gv Friedrich

Strandfarben


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war der Frauenkörper freigelegt. Die Beamten hatten sich zurückgezogen und ihn alleine gelassen und er machte das, was er sonst ruhig und bedacht machte: Leichenbilder.

      Aber an diesem Abend am Hundestrand in Zeringerhaff zitterten seine Hände und einige der Fotos musste er wieder löschen, da sie unscharf oder verwackelt waren. Er musste sich zwingen besser zu werden. Es war eine gespenstische Arbeit. Der Meereswind nahm stetig zu, das Frösteln wich irgendwann einem Frieren. Seine Hände wurden klamm und die Kamera wurde zu einem schweren Ballast. Er hätte gerne wieder dem jungen Kollegen den Vortritt gegeben, machte aber dann doch unermüdlich Foto über Foto.

      Auch Urlaubsaufnahmen wären ihm jetzt lieber gewesen. So hätte er gerne den gewaltig wirkenden Sonnenuntergang im Osten fotografiert, so ein Kitschbild, welches man mit Stolz zu Hause anschauen lässt und bei dem man die Schwierigkeit des Machens hervorhebt und darauf hinweist, dass man stundenlang auf das richtige Lichtverhältnis gewartet hatte. Er konnte heute Abend aber nur Fotos von einer toten Frau vorweisen.

      Kapitel 4 Die Frau an der Bar

      Der Rotwein schmeckte trotz der Ereignisse des gestrigen Tages. Maximilian hatte nach getaner Arbeit nun auch wieder genügend Abstand gesammelt, dass er jetzt mit seiner auch innerlichen Ruhe den Feierabend genießen konnte. Er hatte sich dazu entschlossen in das Hotel zu wechseln, in dem Manfred untergebracht war.

      Deren letztes Zusammentreffen war lange her und deshalb waren viele lange Gespräche nachzuholen. Sie saßen im Foyer des Hotels, welches zu einer Hotelkette gehörte und das mit dem Ambiente und der Freundlichkeit seiner Mitarbeiter den fünf Sternen gerecht wurde, die vor der Tür auf einem Messingschild angebracht poliert an der Wand hingen. Etwas abseits von den anderen Gästen, auch um mit Sunshine nicht zu sehr zu stören, obwohl sie wie immer ruhig und ohne viel Regung zu seinen Füßen lag und schlief, fanden sie hier die Ruhe, die letzten zwei Jahre ihres Nichtsehens Revue passieren zu lassen. Hatte Maximilian im Beruf keine wesentlichen Karrieresprossen erklommen und sich lieber die freie Zeit für das Reisen und das Bücherschreiben aufgehoben – durch seinen Beruf hatte er immer mehr Material gesammelt, welches er nun schon seit ein paar Jahren in Form von Romanen seinen vielen Lesern präsentieren konnte – war Manfred die Karriereleiter raufgefallen.

       »Und, wieso bist du hier, Manfred?« fragte Maximilian ihn als erstes. »Du hast mir nichts erzählt, als wir uns das letzte Mal gehört haben – wie lange ist das jetzt her? Sechs Monate? Du warst doch fest in München, bist wohl strafversetzt?«

      Manfred lächelte ihn an, nahm einen Schluck von seinem Pils und antwortete: »Du weißt ja, dass ich eine gute Aufklärungsquote bei meinen Fällen, die ich mit meiner Mannschaft bearbeite, erziele. Das hat uns so bekannt gemacht, dass wir insbesondere an Fällen von Serientätern arbeiten. Ich bin aber auch zuständig, als Seminarleiter dem Nachwuchs meine Erfahrungen zu vermitteln und das ist auch der Grund, dass ich hier bin. Als der Anruf rein kam, hatte ich gerade eine Schulungspause eingelegt, als mich der Polizeioberrat informierte, dass am Strand von Zeringerhaff ein Frauenfinger von einem Hund gefunden worden war. Das machte mich neugierig und darum sitzen wir jetzt hier, zusammen. Stationiert bin ich in Frankfurt, seit ungefähr einem halben Jahr habe ich dort eine große Abteilung und eine ganze Büroetage im Hauptpräsidium. Und bei dir? Wenig arbeiten, viele Reisen, Romane schreiben und abends alleine ins Bett?« fragte Manfred ihn. »Oder gibt es hier endlich etwas Neues, du ewiger Single, der nie eine Frau an sich ranlässt?« Maximilian hob die Stirn, als Manfred die provokant wirkende Frage an ihn stellte.

      »Na, rede nur mein lieber Freund«, antwortete er dann und legte schnell noch hinterher: »Du weißt ja, ich mag die Frauen, aber es war bis jetzt noch keine richtige dabei. Die eine oder andere Beziehung hätte man schon vertiefen können, aber es hat halt noch nicht geklappt.«

      »Man sagt doch, dass Hunde dabei helfen können einen Partner zu finden? « fragte Manfred weiter. »Man trifft sich im Park, auf der Hundewiese, kommt ins Gespräch so wie: Ach der ist ja niedlich, wie heißt er denn? Ach es ist eine Sie, na ja, so schön wie Frauchen.« Manfred lachte so laut und herzhaft auf, dass einige Gäste zu ihnen hinüber sahen.

      »Du bist ein richtiger Frauenversteher«, sagte Maximilian etwas leiser. »Aber es ist auch was dran an deiner Vermutung, leichter geht’s schon mit einem Tier, besonders mit einem Hund und ganz besonders mit meiner Sunshine, dieses Kennenlernen.«

      Sunshine hob kurz ihren Kopf vom Boden, als sie ihren Namen gehört hatte, um mit einem zufriedenen Blick und einem kurzen Schwanzwedeln Herrchens Meinung zu bestätigen. Maximilian fiel das Ereignis im Sommer vor drei Jahren wieder ein. An einem heißen Nachmittag wollte er mit Sunshine in die Parkanlagen, die unmittelbar hinter seinem Garten anfingen, zum Spazierengehen. Er hatte Sunshine angeleint und ging in Richtung Gartentor. Sein Hund saß in freudiger Erwartung schon davor. Durch die dichte und hoch gewachsene Hecke war das Tor mittlerweile gut eingewachsen und von draußen fast nicht erkennbar, leider sah man auch von der Gartenseite nicht nach draußen auf den an der Hecke vorbeilaufenden Sandweg, den täglich unzählige Jogger nutzten. Als er das Tor leicht öffnete, drückte sich Sunshine an diesem Nachmittag an Maximilian vorbei und stob mit einem gewaltigen Satz aus dem Ausgang. Noch bevor er überhaupt reagieren konnte, schrie von der anderen Seite eine helle und ängstliche Stimme auf.

      Das erste, was er zu sehen bekam, waren zwei lange, gebräunte Beine mit kleinen weißen Socken in festen weißen Laufschuhen. Diese Beine hingen in der Luft, genau vor dem Tor. Als er erschrocken das Tor weiter öffnete und durchschritt, sah er, was passiert war. Durch den Hundespurt hatte sich die Leine lang gezogen und angespannt. Die Joggerin stolperte genau über diese Leine, machte einen Salto nach vorne und lag nun den linken Knöchel haltend und mit erboster Miene vor seinen Füßen. Ihr Schreien wich einem schmerverzerrtem Jammern.

      »Du blöder Idiot«, schrie sie Maximilian an. »Da gibt es doch wohl bessere Anmachmöglichkeiten?« Jetzt lächelte sie sogar leicht, was man durch ihr verzerrtes Gesicht erkennen konnte.

      »Verzeihung«, stammelte Maximilian und schoss gleich einen Schwall fluchender Worte zu seinem Hund hinüber. Der hatte sich wohl selber erschrocken, lag nun ausgebreitet auf der Wiese und zog den Kopf unter die Vorderpfoten.

      »Der arme Kerl«, sagte die Joggerin mit einem Blick auf seine Sunshine. »Hoffentlich fehlt ihm nichts? Es würde mir wirklich leidtun«.

      »Fehlt Ihr nichts, es ist eine Sie. Aber die wird’s schon überleben«, fauchte Maximilian mit ebengleichem Blick zu Sunshine rüber. »Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie sich verletzt? Können Sie aufstehen?«

      »Helfen, ja, verletzt weiß ich nicht, es tut halt weh, aufstehen, ich werde es versuchen, wenn du mir vielleicht kurz unter die Arme greifst?« sprach sie, um alle drei Fragen auf einmal zu beantworten.

      Er machte eine Handbewegung in Richtung seines Gartens und mit Blick auf Sunshine, die sofort mit eingezogenem Schwanz durch das Gartentor ins Innere verschwand. Danach bückte er sich zu der Joggerin hinunter, fasste von hinten durch ihre Arme und zog sie auf die Beine. Sie wollte auftreten, knickte aber sofort wieder ein. Sie legte instinktiv ihren rechten Arm um seine Schulter, er ebenfalls instinktiv seine linke Hand um ihre Hüfte und sagte dann:

      »Lassen Sie uns ins Haus gehen, damit ich nachsehen kann, was passiert ist.« Sie nickte, es flossen ihr ein paar Tränen aus den Augenwinkeln und sie zog die Nase hoch.

       »Entschuldigung, aber es schmerzt doch immer mehr«, sagte sie kleinlaut. Dann humpelte sie mit seiner tatkräftigen Hilfe in Richtung Terrasse. Ihr leichter Schweißgeruch vermischte sich mit ihrem Parfum und hatte eine erregende Wirkung auf ihn.

      Er versuchte nicht auffallend einzuatmen, erwischte sich aber dabei, dass er tief schnaubend, mit der Nase an ihrer Schulter klebend, diesen schweißparfumartigen Duft einsog. Sie zeigte keinerlei Regung, bemerkte sein Schnaufen wohl auch nicht. An der Terrasse angekommen hielt sie sich mit beiden Händen an einem seiner Holzstuhlhochlehner fest. Er ließ sie kurz los und brachte ihr ein Glas Wasser, welches sie fast zu hastig und in großen Schlucken trank.

      Ein