gv Friedrich

Strandfarben


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Gäste zum Verweilen einlud. Sie nippte gerade an einem Glas Sekt, als sie sich zu den beiden herumdrehte und Maximilian – trotz einiger Entfernung zwischen ihnen – kurz aber tief und direkt in die Augen schaute. Er lächelte zu ihr hinüber und hob sein Glas. Die beiden Pils waren schneller fertig, als es Maximilian lieb war, störte der bedienende Kellner doch den angenehmen Blick in Richtung Bar und zu ihr. Maximilian hatte ein leichtes Kribbeln verspürt, das in seinen Fingerspitzen anfing und sich über den ganzen Körper verteilte. Sie hatte eine gewisse Aura, die dieses Kribbeln in Gang setzte. Manfred störte nach dem Kellner als zweiter.

       »Prost Maximilian, bist du noch da?« Er hatte wohl mitbekommen, dass Maximilian inzwischen nicht mehr nur an die Bar schaute, sondern dass er hinstarrte. Manfred sagte aber nichts weiter und sie tranken in Ruhe ihr Bier. »Wie war das eben? Im Moment willst du keine Beziehung?« Manfred musste lächeln.

      Kapitel 5 In der Pathologie

      Die Tote hatte lange, braune Haare, die zu einem Zopf zusammengebunden waren. Ihr Körper wirkte rosafarben. Sie lag auf dem Bauch, was Maximilian beim ersten Bild, welches er gemacht hatte, schon vermutete. Ihre Füße hatten wie auch ihre Hände Stücke von Seidenschals umgebunden. Sie trug als einziges Kleidungsstück einen weißen Slip, der an der linken Seite fast komplett bis zum oberen Ende aufgerissen war. An allen vier Zurrstellen war die Haut blau angelaufen und zeigte einige rote Striemen, so als hätte dieser Körper einen lange anhaltenden Todeskampf gehabt. Der Körper lag so kompakt im Sand, dass man meinen konnte, man hätte ihn hier einbetoniert.

      Maximilian machte eine anwachsende Menge Fotos, diese jetzt professioneller als am Anfang. Alle Körperteile, aus jedem Blickwinkel, der möglich ist, auch die unmittelbare und weiter entfernte Umgebung wurden sorgfältig ins Bild gesetzt. Beim späteren Aussortieren der Bilder musste Maximilian sich entscheiden, welche der Fotos für die Ermittler geeignet sein würden und welche man vernachlässigen konnte. Es waren immer die Nahaufnahmen, die ihn bei seiner Arbeit frösteln und schlucken ließen. Jedes noch so kleine Detail, jede Körperfalte, jede Unreinheit, alle Veränderungen der Haut und jede Körperöffnung bargen intime Geheimnisse eines toten Menschen und boten ein grausiges Totenpuzzle von Bildern, das nach Maximilians Arbeit von Spezialisten zusammengesetzt werden musste. Als man die Frau rumdrehte, machte er auch die Bilder von ihrer Vorderseite. Diese zeigte, dass sich das Blut bei einem Toten immer an den tiefsten Punkten des liegenden Körpers sammelt. So weiß, wie sie auf dem Rücken gewesen war so bunt, fast schon in faszinierendem Farbenspiel, zeigten sich jetzt die ausgeprägten Totenflecken an den Stellen, wo sich das Blut sammelte, nur noch von der Haut aufgehalten.

      Er fror noch mehr als zu Beginn seiner Arbeit, und er hatte genügend Fotos geschossen. Seine Finger waren nun richtig kalt, der Wind von Meerseite nahm noch deutlicher zu und hinter ihm warteten die Kollegen, die die tote Frau noch endgültig aus ihrem Sandgrab befreien mussten. Als er seine Sachen zusammengepackt hatte und sich auf den Weg zum Hotel begab, klappten hinter ihm die Türen eines tiefschwarzen Leichenwagens ins Schloss.

      Zwei Männer eines ansässigen Beerdigungsinstitutes parkten ihren Wagen am Rand vom Sandstrand, waren soeben ausgestiegen, zogen sich ihre Kappen auf, öffneten die Hintertür des Wagens und zogen einen Blechsarg hinaus. Sie mussten sich blaue Plastikfolienschuhe über ihre schwarzen Lederschuhe stülpen, der Spuren wegen. Erst dann konnten Sie den Blechsarg aufnehmen und ihn mühsam durch den lockeren, kalten Hundestrandsand zuerst in Richtung des Sandloches tragen. Mit gekonnten Griffen nahmen sie den nackten Totenkörper auf und legten ihn in den Blechsarg auf ein helles Tuch, um die Frau dann mit diesem zuzudecken. Als nächstes stülpten sie den Sargdeckel obendrüber und ließen die sechs Einbuchtungen in die Schraubverschlüsse fallen, um diese dann quietschend zuzudrehen. Auf dem Weg zu ihrem Leichenwagen stolperten die beiden mehrfach im Sandboden, irgendwie aber wirkte es trotz allem würdevoll. An ihrem Wagen angekommen schoben sie den Blechsarg auf zwei Schienen ins Innere der Ladefläche, der mit rotem Samtstoff ausgeschlagen war. Als die hintere Tür verschlossen war, stiegen die beiden Männer ein, nahmen ihre Kappen ab und fuhren den Sargwagen in die Dunkelheit zur Obduktionshalle des Rostocker Klinikums.

      Am anderen Morgen, es sollte wieder ein warmer Sommertag werden, traf sich Maximilian mit Manfred in Rostock. Beim letzten Aufenthalt in dieser Stadt hatte Maximilian vor einigen Wochen noch die Hanse Sail besucht und heute fand er sich im kühlen Keller der Pathologie Rostock wieder.

      Er fröstelte noch mehr als am Vortag am Strand und er dachte sich, dass er lieber noch eine Jacke hätte mitnehmen sollen. Er bekam klamme Finger und Füße, was sich stark verstärkte, als er die Tote sah. Sie lag auf einem blanken, kalten Chromtisch, nackt und auf dem Bauch. Warum mussten Leichen immer nackt auf einem blanken Chromtisch liegen, am Anfang der Untersuchungen wenigstens noch mit einem weißen Laken zugedeckt? Der zuständige Pathologe, nein, es war eine Pathologin, noch eine hübsche und junge dazu, was Maximilian erst später bemerken sollte, denn jetzt war sie in einem zu groß wirkenden grünen Mantel und einer grünen Kopfbedeckung, die sie unter ihrem Kinn festgebunden hatte, verhüllt, hatte bereits begonnen, die Frauenleiche zu untersuchen, um möglichst viele Anhaltspunkte zu bekommen.

       »Keine besonderen Merkmale am Rücken, dem Hinterkopf, den Beinen und Füßen sowie an den hinteren Ober- und Unterarmen. An der rechten Hand fehlt der Mittelfinger, der durch einen Hundebiss unterhalb des zweiten Gelenks abgetrennt wurde. Der fehlende Finger wurde sichergestellt und zur weiteren Untersuchung freigegeben.« Ihr Reden wirkte stumpf, was sicher auch von ihrem Mundschutz oder dem Headset kam, hatte aber eine Eindeutigkeit der tatsächlichen Gegebenheiten. Ihre beiden Hände wirkten alles andere als stumpf. Bei ihrem Reden glitten diese Hände über den ganzen toten Körper. Jedes Teil, welches sie gerade beschrieb, wurde von diesen ihren Händen berührt. Sanft und weich waren diese Bewegungen, obwohl sie dünne, hautfarbene Handschuhe trug. Trotzdem ging die Intimität der Toten verloren.

       »An beiden Handgelenken und beiden Fußfesseln sind deutliche Hautveränderungen, tiefrotblaue Schürfwunden durch die Schals in Verbindung mit heftigen Bewegungen von Händen und Füßen verursacht.« So ging es eine ganze Weile und die Medizinerin sprach in der gleichen Monotonie wie am Anfang ihres Bandbesprechens.

      Sie drehte die Frau auf den Rücken und betrachtete in der Folge ihrer Arbeit den Oberkörper, Beinpartien, den Halsbereich und an erster Stelle den Kopf.

       »Am Kopf sind folgende Merkmale erkennbar: An den Haaransätzen durchgehende Sandspuren, mehr als an allen anderen Körperteilen, die Kopfhaut ist gerötet. Augenlider und Nasenflügel sind ebenfalls mit Sandrückständen behaftet. Am auffälligsten sind die Sandrückstände im Mund. Sie reichen vom inneren Mundbereich bis hinter in die Speiseröhre, fast bedeckend. In der Mitte der linken Halshälfte ist eine Einstichstelle gerötet mit schwarzem Mittelpunkt an der Einstichstelle der Spritze. »An der Brust und im Bauchbereich sind leichte blaue Hämatome, nicht größer als durchschnittlich 3-5 cm, die durch leichten Druck mit Gegenwehr entstanden sein könnten. Im Genitalbereich konnten Spermaspuren festgestellt werden.« Am Ende ihrer Untersuchung stand fest, …die Frau hatte Geschlechtsverkehr gehabt, gewollt oder nicht war nicht festzustellen. Was aber feststand war, sie wurde betäubt, durch einen Einstich am Hals eindeutig zu sehen, und sie musste qualvoll ersticken im Zeringerhaffer Sand.

      Die Pathologin streifte ihre Gummihandschuhe ab, wusch ihre Hände sehr intensiv mit einer stark schäumenden Seife, nahm sich eine frische Tasse Kaffee aus der Maschine, die direkt neben dem Chromtisch stand. Danach setzte sie ihr Headset ab und öffnete den Haargummi, bevor sie sich durch die langen Haare fuhr und diese aufschüttelte.

       »Den Bericht bekommen Sie in den nächsten Tagen«, sagte sie noch zu Manfred, schüttelte ihm die Hand, nickte dann Maximilian an und ging lautlos durch die halboffene Pathologietür. »Und Sie, Daniel, räumen hier bitte auf, wir haben morgen noch einige Leichen vor uns.«

      Daniel, ihr Helfer, ein junger Assistenzarzt, ging rüber zum Chromtisch und fuhr die Tote zum Kühlfach. Er öffnete die Kühlschranktür, zog die graue Kühlbahre heraus und bettete die Frau auf diese Bahre um. Er nahm ihre beiden Hände und legte sie zusammengefaltet auf ihren Bauch. Daniel deckte danach den nackten Körper der Toten wieder mit dem weißen, dünnen Tuch ab. Er achtete darauf, dass sie komplett