Matthias Schroder

Faber


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ich sie mir an anderer Stelle holen können. Wenn ich deine Möglichkeiten, Leben zu gestalten ins schier Unendliche erweitere, muss ich an anderer Stelle Möglichkeiten endgültig vernichten dürfen. Deine Frau wird daher ihr Leben lassen müssen.“

      Mit diesem Problem konfrontiert wurde Faber mit einem Mal klar, dass er dem Dunklen längst geglaubt hatte, was er ihm offerierte. Denn die Decke des Hypothetischen erwies sich hier als ein lediglich dekorativer Überwurf, der die Konturen dessen, was sich darunter befand, nicht verschwinden machen konnte. Bis zu diesem Augenblick hätte er sich als Vertreter einer eher instrumentellen Moralvorstellung beschrieben, als einen Pragmatiker, der Richtig und Falsch den Zwecken unterordnete, die man im Alltag zu verfolgen hatte. Am Nachmittag freilich war er eher amoralisch in einem nicht ablehnenden Sinne der Ignoranz. Dort war dann einfach nicht der Platz für Moral und die Welt zerfloss in die dumpfe Empfindung von Anziehung und Abstoßung. Wenn er trank, wurden Unterscheidungen weicher, fließender, unbedeutender. Nun aber sah er sich vor ein Problem gestellt, in dem es um ein Leben ging. Eine wirkliche Beziehung zu seiner Frau hatte er nicht mehr. Sie bedeutete ihm nichts mehr. Sie war der Teil seiner Vergangenheit, von dem er sich sukzessive entfernt hatte und den festzuhalten er mehr und mehr die Kraft und den Willen verlor; ein Teil, der zu seiner Geschichte werden und sich in seine Privatheit einbinden wollte. Gleichwohl war es aber auch der Teil, von dem er nun verstanden hatte, dass er dessen Wirkung auf ihn nicht zu beeinflussen vermochte. Streng genommen war er nicht einmal in der Lage gewesen, seine eigene Einflussnahme auf das gemeinsame Leben zu beeinflussen. Das war eine Gewissheit, die sich leicht in ein Gefühl des Vorwurfs umbauen ließ. Ohne den Einfluss seiner Frau wäre er unter Umständen niemals dort gelandet, wo er sich jetzt befand.

      „Muss ich sie umbringen?“, fragte Faber und verdrängte dabei schon erfolgreich, dass er im Grunde von einer biographischen Episode mit der Unschuld einer chemischen Reaktion sprach.

      „Aber nein!“, heiterte sich der Dunkle mit einer beinahe mephistophelischen Vergnügtheit auf. „Du musst sie nur freigeben. Alles andere erledigt sich quasi von alleine.“

      „Wie wird das vor sich gehen?“

      „Sie wird sich selbst umbringen. Alles, was du tun musst, ist deine geladene Waffe in deinem Nachttisch liegen lassen; an dem Ort, den sie kennt. Es wird zu einer Aussprache kommen. Ich werde das veranlassen. Schwierig ist es nicht. Sie ist auf ihre Weise eine gescheiterte Existenz. Sie war eine erfolgreiche Studentin; eine promovierte Chemikerin. Sie hat auf alle damit verbundenen Möglichkeiten deinetwegen verzichtet. Sie erträgt den damit verbundenen Groll nur, weil du erfolgreich bist und weil sie nicht weiß, was du tust. Wenn sie aber erfährt, dass ihr Verzicht vergeblich war, weil du mit Kampfstoffen experimentierst, mit Massenvernichtungswaffen, wird sie den letzten Faden, mit dem sie sich an ihr sinnentleertes Leben klammert, loslassen und den Abzug betätigen. Freilich wird sie dies in deinem Hause, vielleicht sogar vor deinen Augen tun, aber du wirst schuldfrei bleiben, denn dieser Abgang geht auf das Konto höherer Mächte, deren Wirken sich im Diesseits nicht nachweisen lässt.“

      „Und wenn es nicht funktioniert?“

      „Wird es! Für das Gelingen ist nicht entscheidend, wie du dich an dem Tag schlägst. Entscheidend ist dein Entschluss. Steht der fest, gibt es kein Zurück mehr. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Sie wird sich dann nicht im Anschluss an euer Gespräch umbringen, sondern später.“

      „Wann?“

      „Das willst du nicht wissen.“

      „Ich habe das Gefühl, dass ich bereits mehr Wahrheit abbekomme als in den letzten drei Jahren zusammen. Da wirst du mir das letzte Quäntchen in dieser Sache nicht vorenthalten wollen!“

      „So sei es. Du hast eine Menge an Entdeckungen gemacht. Manche davon nützen der Menschheit, manche nicht so sehr. Manche deiner Erfindungen wird einmal gut gemeint gewesen sein, jedoch ihre mehr als fatale Wirkung entfalten, die du nicht wirklich wirst begriffen haben, da du dein Anliegen damit für erledigt und gelöst halten wirst. Jedoch wird es deiner Frau, sollte sie dann noch am Leben sein, den Boden unter den Füßen wegziehen und ihr jeden Lebenswillen stehlen. Denn sosehr sie sich auch jetzt von dir entfernt. So groß die Distanz zwischen euch jetzt auch ist. Sie wird sich immer als ein Teil eurer Schicksalsgemeinschaft begreifen. Dazu hat sie zu viel in eure Verbindung investiert. Zu diesem Zeitpunkt würdest du gewiss längst das Zeitliche gesegnet haben und kein körperlicher Teil ihrer Gegenwart mehr sein. So dass du in jedem Fall von ihrem Ableben nur aus der Zeitung erfahren könntest.“

      Faber wurde von einem grammatischen Strudel mitgerissen, der ihm teils durch seine Unverständlichkeit, teils durch seinen Mangel an Indikativ eine immer größere Sicherheit in dieser Sache suggerierte. Er hatte es in der Hand und konnte den Handel im Grunde nach seinem Gutdünken gestalten. Dass er es wollte, stand für ihn in diesem Augenblick außer Frage. Es war ihm nicht bewusst, dass der Dunkle ihn im Grunde mit einem einfachen Trick manipuliert hatte. Die Alternative, seine Frau zu opfern oder es nicht zu tun, wurde durch die Alternative, seine Frau durch eine direkte Konfrontation zum Selbstmord zu bringen oder nicht selber anwesend sein zu müssen, ausgetauscht. Er könnte sich also sogar davonstehlen, wenn ihm das lieber wäre.

      „Wie geht das vor sich? Muss ich irgendwas unterschreiben oder per Handschlag einwilligen?“

      „Aha, ich sehe, da hat jemand in der Schule gut aufgepasst! Schon oft hat die Literatur versucht, meinesgleichen nachzugestalten. Aber wenn ich ehrlich bin, war ich nie gut getroffen. Ich ziehe es vor, das Offensichtliche nicht unnötig durch Zelebration zu festigen. Unterschriften, vielleicht durch Blut, Handschlag, mystische und magische Rituale, Zauberformeln und dergleichen sind für Menschen mit verminderter Denkfähigkeit. Sie benötigen etwas, das sie sich vorstellen können, damit es wahr wird; sowie die Hostie, die ihnen ihre Gerechtigkeit glaubhaft macht oder eine Nationalhymne, die ihnen gemeinschaftliches Verbundensein ins Hirn singt, weil man es plötzlich zu fühlen meint. Die Wirklichkeit hat ihren Ursprung alleine in deiner Entscheidung. Einen Vertrag schließt man nicht durch eine Unterschrift, sondern durch das Wollen der Regeln dieses Vertrages. Merke dir das bitte! Dazu benötigt man kein Blatt Papier und erst recht keinen goldenen Füllfederhalter. Ob du Teil des Vertrages bist, wirst du immer daran erkennen, dass du ein Teil einer Welt bist, die sich durch deinen Entschluss verändert.“

      Wann war man entschlossen? Woran merkte man, dass man sich zu etwas entschlossen hatte? Hans Faber versank für einen Moment in Gedanken und merkte nicht, dass der Dunkle verschwunden war. War er wirklich gerade einen Vertrag mit einem Mephisto eingegangen? Er musste bei dem Gedanken schmunzeln; einerseits, weil es ihm noch unwirklich erschien, andererseits, weil er dem Dunklen einen Namen gegeben hatte. Wie war das noch gleich? Gut getroffen hatte ihn die Literatur nie? Dazu gehörte zweifellos ein Name. Nun gut! Aber das war doch nur menschlich, wenn wir eine Bezeichnung brauchten. Nein, eine Bezeichnung war das aber nicht. Es war ein Name. Dahinter steckt immer ein Subjekt; jemand, der Entscheidungen treffen und den man dafür verantwortlich machen kann. Hans sah recht klar, was der Dunkle mit seiner Lektion hatte sagen wollen: Er bot sich als Vehikel der Zeitlichkeit an. Darüber hinaus hatte er offensichtlich nichts zu bieten. Das Ja zu einem Vertrag lag in den Händen dessen, der sich dazu entschloss und damit in dessen Verantwortlichkeit. Und sobald man in Anerkennung dieses Vertrages durch sein Entschlossen-Sein etwas in der Welt veränderte, hing man in der Sache, war man ihr verhaftet. Entschlossen-Sein war das Gegenteil von Zweifel. Entschlossen-Sein zeigte sich immer schon in der Tat, in der Zielstrebigkeit, aber auch im Zulassen. Er fand das alles umso banaler, je länger er darüber nachdachte. Und weil es so banal war, wurde ihm auch klar, worin die Verlockung der Macht lag, die ihm der Dunkle in Aussicht stellte. Wer vermögend war, konnte sich über die moralische Anklage hinwegsetzen, je mehr Macht man besaß, desto weniger Anklage würde einem begegnen. Für einen kurzen Augenblick fragte sich Faber, ob der Dunkle ihm an Ende nicht eine Falle gestellt hatte. Aber so schnell, wie dieser Gedanke kam, wischte er ihn auch wieder beiseite und schüttelte dabei lächelnd den Kopf. Zu unwirklich schien ihm noch all das, was er gehört hatte. Zu fern, um es als greifbar zu begreifen.

      Dunkel war es inzwischen geworden, früh am Abend. Das Gespräch erschien ihm in einer kurzen Weile verstrichen zu sein, tatsächlich mussten Stunden vergangen sein. War das ein Vorgeschmack auf die Macht über die Zeit, von der der Dunkle sprach? Wo war er überhaupt?