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Peter Kunkel
MUZUNGU
Facetten zentralafrikanischer Jahre
© Peter Kunkel
Druck und Verlag epubli GmbH. Berlin
ISBN 978-7375-5436-7
Umschlagbild: Inseln bei Kalehe am Westufer des Kivusees, Demokratische Republik Kongo
Aufgenommen 1967 © Peter Kunkel
Vorwort zu Wiederauflage
Die erste Auflage dieses Buches erschien 2000, vor dreizehn Jahren. Die darin geschilderten Zustände lagen schon damals um dreißig Jahre zurück. Es schien mir dennoch wesentlich, sie zu schildern und zu veröffentlichen, weil in dem ersten Jahrzehnt der Unabhängigkeit der Schlüssel zu vielen Entwicklungen, und Fehlentwicklungen, der Mitte Afrikas liegt. Es scheint mir deshalb auch heute noch von Interesse, diese Schilderung weiterhin verfügbar zu halten.
Die Wiederauflage hält sich im Wesentlichen an die erste Fassung. Eingefügt wurden einige wenige zusätzliche Bemerkungen, dort, wo Ansätze einer Entwicklung, die heute auch von Europa aus wahrnehmbar ist, bereits in die geschilderte Zeit fallen. Wie es in dem von uns erlebten Raum heute wirklich aussieht, kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, daß manchmal wenige Kilometer Distanz genügen, um sich ein falsches Bild von den Zuständen in der Nachbarschaft zu machen.
Berlin, den 15. Januar 2013 Peter Kunkel
Dem Andenken meiner Mutter für vieles,
auch dafür, daß sie darauf bestanden hat, daß ich dieses Buch schreibe
Inhalt
(Einleitung) 7
Zu Hause im Kivu 13
Die Anreise oder wie man es nicht machen soll 33
Farben und Fetzen 52
Anfangszeiten: Wohlergehen im Chaos 61
Bedient werden will auch gelernt sein 81
Leben mit dem Hunger 108
Alle Jahre wieder 138
Das Haus des Königs 147
Straße oder Autopfad 167
Die Stadt – das fremdgebliebene Erbe 177
Der schwarze Amtsschimmel 213
Alte Sachen 232
Ist das Négritude? 258
Anmerkungen 272
Es gehört schon ein buntes, geräuschvolles Leben dazu, um Affen, Papageien und Mohren um sich zu ertragen. – Manchmal wenn mich ein neugieriges Verlangen nach solchen abenteuerlichen Dingen anwandelte, habe ich den Reisenden beneidet, der solche Wunder in lebendiger alltäglicher Verbindung sieht. Aber auch er wird ein anderer Mensch. Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen, und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind.
Johann Wolfgang Goethe. Die Wahlverwandtschaften.
Der Schauplatz dieses Buches ist zumeist das ‚Herz‘ Afrikas, von wo man beinah gleich weit laufen müßte, um an die Ost- oder Westküste des Kontinents zu gelangen. Es ist jene Region, in der Gebirge und ausgedehnte Wasserflächen die Savannen Ostafrikas vom Regenwald am großen Fluß trennen, der bald Kongo, bald Zaire hieß und heute wieder Kongo heißt, mit anderen Worten, die nähere und weitere Umgebung des Kivusees, in der wir fast zehn Jahre gelebt haben, lange bevor sie mit dem Genozid in Rwanda und den folgenden Ereig-nissen traurige Aktualität erlangte. Und behielt, bis heute. Riesige Flüchtlingslager bei Goma und Bukavu, die Rebellion Kabilas und das anschließende Chaos im Osten des kongolesischen Staates haben dafür gesorgt.
Mit alledem beschäftigt sich dieses Buch nicht, denn ich bin nicht da-bei gewesen, und ich weiß, wie falsch sich solche Ereignisse bereits aus wenigen Kilometern Entfernung darstellen. Ich möchte aus den zehn Jahren berichten, die wir wirklich im Lande waren. Es wird von grundlegenden Dingen die Rede sein, die sich dort bis heute nicht geändert haben, und von anderen, aus denen sich das heutige Unheil in unausweichlicher, damals bereits erkennbarer Folgerichtigkeit ent-wickelt hat. In erster Linie aber will ich hier den Weg schildern, den ich gebraucht habe, um wenigstens in großen Zügen zu begreifen, wo ich war und unter welchen Menschen ich lebte.
Es war ein langer Weg, denn hier schreibt ein muzungu¹. Deshalb heißt das Buch auch so. Muzungu ist ein Kiswaheliwort2 und bedeutet Europäer, richtiger gesagt, Weißer, denn auch ein Bürger der Ver-einigten Staaten oder Australiens ist, sofern er nur ein Weißer ist, selbstverständlich ein muzungu. Kiswaheli aber ist die Sprache, in der man sich fast überall im östlichen Äquatorialafrika über Sprach- und Stammesgrenzen hinweg verständigt, vom mittleren Abschnitt der ostafrikanischen Küste bis zum Oberlauf des Kongo-Zaire-Flusses. Auch die Leute am Kivusee sprechen es untereinander, wenn sie nicht demselben Stamm angehören, und wir haben uns mit vielen von ihnen ebenfalls meistens auf Kiswaheli unterhalten.
Muzungu ist mehr als nur eine Bezeichnung für Nationalität oder ‚Rasse‘. Für den schwarzen Bewohner des weiten Kiswahelisprach-raums kennzeichnet das Wort einen Menschentyp nicht nur von fremdartigem Aussehen, sondern von mindestens ebenso fremd-artigem Charakter und einer Geisteshaltung ganz besonderer Art. Das Fremdartige überwiegt so sehr das Menschliche, daß sie uns oft mit „Muzungu“ anreden, wenn sie uns nicht näher kennen. Solcher Gebrauch von Volks- und ‚Rasse‘bezeichnungen verrät in der Regel nichts Gutes. Man denke an Nigger und Gringo – hier machen sich im Wesentlichen nur Haß und Verachtung Luft. Diese Komponente fehlt auch dem Wort muzungu nicht ganz. Erstaunlicherweise hält ihr aber fast immer ein gewisser Respekt und sogar Zuneigung die Waage. So ist es mir wenigstens immer vorgekommen, auch in kritischen Situationen, in denen undifferenzierter Weißenhaß nicht nur ver-ständlich, sondern auch entschuldbar gewesen wäre.
Manchmal ist aufschlußreich, wovon sich eine Nationalitäten-bezeichnung ableitet. Wir schlagen also im offiziellen englischen Wörterbuch für Standardkiswaheli unter mzungu nach, wie man im feinen, ‚korrekten‘ Kiswaheli der ostafrikanischen Küste sagt, dort, wo die Sprache entstanden ist, und findet neben der Bedeutung ‚Europäer‘ noch: etwas Wunderbares, Erschreckendes, Scharfsinn, Schlauheit, Kunststück, Trick, wunderbarer Plan, Plan, um Schwierig-keiten zu entkommen…
Hand aufs Herz, es ist zu schön, um wahr zu sein. Es schmeichelt uns, solches zu lesen. Es ist gut für unser Selbstbewußtsein. Als moderner Euromasochist möchte man allerdings ein so positives Bild von sich nicht wahrhaben. Man ist geneigt anzunehmen, daß die beiden Bedeutungen des Wortes zufällig gleich lauten, aber etymologisch nichts miteinander zu tun haben, oder man sucht nach einer histo-risch-düsteren Erklärung dieses offensichtlichen Irrtums.
Eine solche bietet sich leider nur zu leicht an. Die ersten Europäer, die an der ostafrikanischen Küste auftauchten, waren Portugiesen. Sie führten sich ein, indem sie eine arabische Stadt nach der andern in Schutt und Asche legten, jene muslimischen Kolonialstädte, die dem schwarzen Hinterland die Segnungen der arabisch-persischen Zivilisation, hauptsächlich aber Sklaverei, Menschenjagd und Entwür-digung gebracht hatten. In der Tat mögen die Neuankömmlinge den Landeskindern im Inneren als Wunder erschienen sein. Nur ist Kiswaheli gar nicht die Sprache der Stämme im Inneren, sondern eben jener Städte, deren Kultur so grausam von den Portugiesen ausgelöscht wurde.
Inzwischen ist das Kiswaheli freilich ins Binnenland eingedrungen. Es hat unterwegs nicht nur seine komplizierte Grammatik mit ihren differenzierten Ausdrucksmöglichkeiten verloren, sondern auch gro-ße Teile des Wortschatzes, und so kennt am Kivusee kein Mensch mehr eine andere Bedeutung von muzungu als eben ‚Weißer‘. Und doch geben die übrigen Sinngehalte des Küstenkiswaheli recht genau wieder, was den Weißen in den Augen der Landeskinder auszeichnet: auf der einen Seite hohes technisches Können, wenigstens nach landesüblichen Maßstäben, nicht zuletzt auch die Fähigkeit, mit unvorhergesehen Situationen fertig zu werden, auf der anderen Seite ein erschreckender Aktivitätsdrang, der die schwarzen Mitmenschen einfach überrollt, auch solche, die intelligenter sind als der Weiße und wissen, daß falsch ist, was sie unter seinem Druck tun.
Verblüffend ist, wie wenige Europäer in Zentralafrika diesem