oder viereckige wellblechgedeckte Häuser, wie sie inzwi-schen überall die alten Hausformen verdrängt haben. Ein ugande-sisches Fernsehteam, das uns besuchte, geriet über die Bienenkorb-hütten regelrecht in Verzückung: Für diese Leute waren sie etwas bereits unwiderruflich Historisches, und sie fühlten sich in die heroi-schen Zeiten ihrer Väter versetzt.
Auch in den neunziger Jahren konnte man hier und da Bienenkorb-hütten auf dem Westufer des Kivusees finden, als Nebenhütten zum Beispiel und nicht gerade bei gutsituierten Leuten. Es lohnte sich, sie zu suchen, denn eine solche Bienenkorbhütte ist ein faszinierender Anblick. Hier ist das Wesentliche eines Hauses auf allereinfachste Formel gebracht, ähnlich wie bei einem Iglu, ja, zunächst scheint sie nur der Torso eines Hauses zu sein, ein auf den Boden gesetztes Dach. Von der Dachspitze mit ihrem Zentralstab bis zum Boden ist sie gleichmäßig mit Stroh gedeckt. Es gibt keinen Absatz zwischen Dach und Wand. Die Seiten der Bienenkorbhütte werden zwar nach unten immer steiler, aber selbst auf den Boden treffen sie nicht senkrecht auf, sondern fallen leicht schräg nach außen ab. Das Stroh, namentlich wenn es Bananenstroh ist, wird bald nach dem Bau rissig und hängt in Fetzen um das Haus herum. Wäre nicht die Tür, damals oft noch nach alter Sitte aus parallelen Sorghostängeln zusammengebunden, würde man die Hütte eher für einen unordentlichen Heuhaufen halten als für eine menschliche Behausung, deren saubere Konstruktion in Gestalt eines von Schnü-ren zusammengehaltenen Stangengerüsts unter dem Strohmantel verborgen bleibt.
Die Inneneinrichtung der fensterlosen Hütte ist ebenso schlicht wie der Bau selbst. Eigentlich besteht sie nur aus einer oder mehreren Bettstellen am Boden, Rahmen aus Ästen, über die ein paar Matten geworfen sind, und einer zentralen Feuerstelle, deren Rauch sich einen Weg durch die Ritzen des Strohmantels suchen muß und den oberen Teil des Innenraums mit einer glänzenden Rußschicht überzogen hat.
Auch der Hausrat der Familie ist überschaubar: ein irdener Topf zum Kochen, schon in den sechziger Jahren meistens durch eine Aluminiumschüssel ersetzt, eine Kalebasse zum Wasserholen am nächsten Bach, ein paar Schalen, früher aus Holz, zu unserer Zeit aus schreiend bunten, emaillierten Importaluminium, ein großer Holz-löffel zum Umrühren des Bohnenbreis, Strohbesen, Matten und Decken zum Schlafen, Kamm und Rasierklinge, das alles läßt sich ebenso schnell aufzählen wie das, was die Familie sonst noch besitzt: Arbeitsgerät – Hacke, Machete, Beil, Sichel -, Waffen und Jagdgerät – Speer, Schwert, Schild und Hundeglocke –, ein paar Dinge, die man für die heiteren Seiten des Lebens braucht: Tabakpfeife, Trink-kalebasse und Gerät zum Brauen und für den Transport von Bier, Spielbrett, kleine Musikinstrumente, Glasperlenschmuck und oft, bereits zu unserer Zeit zur Tradition gehörend, ein Transistorradio und eine Armbanduhr. Schließlich noch ein paar Körbe und ein Aluminiumkoffer, in denen man etwas aufbewahren kann. Die ganze bewegliche Habe einer Familie läßt sich meistens in ein Tuch schlagen und auf dem Rücken einer Frau davontragen, und so wird es bei Umzügen auch gemacht.
Die Liste ist gewiß nicht vollständig; aber sie umreißt mehr oder weniger den Umfang dessen, was eine bäuerliche Familie an Geräten und Hausrat besitzt. Sie macht vielleicht auch deutlich, daß die Dinge, mit denen sie sich umgibt, verglichen mit ihrem europäischen Gegenpart oft unwahrscheinlich kleine Dimensionen haben. Man halte einmal den Korb oder Aluminiumkoffer, in dem man im Kivuhochland seine Kleidung aufhebt, neben den Kleiderschrank eines deutschen Schlafzimmers. Oder man vergleiche ein Klavier mit einem der Musikinstrumente, die dort gesellschaftlich eine ähnliche Rolle spielen, der nanga etwa, einer achtsaitigen Schalenzither von noch nicht einem Meter Länge, oder der kasayi, die aus einer Kalebasse (neuerdings auch einem ausrangierten, außen verrußten Aluminiumkochtopf) als Resonanzkörper und einem Brettchen besteht, auf das eine Reihe kompliziert gestimmter Eisenspangen gespannt sind.
Die Dimensionen der Geräte sind ebenso auf ein uns gerade noch als funktionsfähig erscheinendes Maß reduziert wie ihre Zahl je Haus-haltung. Man braucht nur etwa die beschriebene ‚Kücheneinrichtung‘ mit dem Instrumentarium zu vergleichen, mit dem die deutsche Hausfrau von jeher dem Essen zu Leibe ging, um zu verstehen, warum die hohe Bevölkerungsdichte im Kivuhochland nur wenig im Landschaftsbild zum Ausdruck kommt: Der Radius der Umwelt, die die Leute um sich herum gestaltend in die Hand nehmen, ist verschwindend klein.
Beschränken sie sich aus Armut? Sicher nicht; denn auch der Häupt-ling des ganzen Landes, das von unserer Bank bis zum See hinunter vor uns liegt, lebte kaum anders. Er war in den sechziger Jahren Herr über neunzigtausend Seelen. Ihm ‚gehörte‘ alles Land ringsum. Er konnte es nach Gutdünken einziehen und neu austeilen, selbst wenn es schon bestellt war, ja, sogar wenn bereits die Ernte darauf heran-reifte. Er hatte Anspruch auf Fronarbeit, Steuern und ‚Geschenke‘, was hieß, daß er jederzeit Sonderauflagen machen konnte, und er machte von alledem eifrigen Gebrauch. Aber er bewohnte ein Gehöft der üblichen Art inmitten seiner Felder, die seine zum Frondienst abkommandierten Untertanen bestellten und unterhielten, nur daß er sich ein paar Bienenkorbhütten mehr hatte errichten lassen. Er hatte sich allerdings, in Anpassung an die neue Zeit, auch ein ‚europäisches‘ Haus bauen lassen; aber gerade an ihm zeigte sich, wie gering die Tendenz zu materieller Entfaltung bei diesen Leuten ist: Trotz seiner praktisch unbeschränkten Mittel (und Vorbildern ganz in der Nähe, nämlich den Häusern unseres Instituts) war es nicht viel größer als ein Nachkriegsschrebergartenhäuschen bei uns und nur mit einem Tisch und ein paar Stühlen möbliert. Er benutzte es als ‚Büro‘ für den Papierkrieg mit den Behörden und um gelegentlich darin ein Glas Bier mit seinen Vasallen zu trinken.
Beschränken sich die Leute vielleicht aus Sparsamkeit, Bescheidung oder wie immer man es benennen mag? Aus einem Gefühl für das ökologische Gleichgewicht heraus, wie es viele Indianer tun, die sich vor jedem Eingriff in die Natur, vor dem Fällen eines Baumes etwa oder vor der Jagd, in einer Zeremonie bei den Wesen oder den zuständigen Göttern entschuldigen, ihre Bedürfnisse darlegen und nicht mehr nehmen, als sie wirklich brauchen?
Nichts liegt den schwarzen Völkern Zentralafrikas ferner. Im Gegen-teil, ein Hang zu Maßlosigkeit und Verschwendung gehört geradezu zu ihren Grundeigenschaften. Zwar sind auch ihre traditionellen Kulturen den ökologischen Gegebenheiten vielfach sehr genau angepaßt, aber diese Anpassung läuft über andere Mechanismen, vor allem über Meidungsgebote der verschiedensten Art. Wo solche feh-len, das heißt, im Umgang mit dem, was mit der Verwestlichung ins Land gekommen ist, werden Ressourcen aller Art in kürzester Zeit bedenkenlos verpraßt. Ich habe erlebt, daß jemand in einem Jahr zweihunderttausend Dollar so vollständig durchbrachte, daß ihm auch nicht ein Hemd verblieb. Wofür gibt nun ein derart aus den Fugen geratener Kongolese beziehungsweise Zairer sein Geld aus? Nur für momentanen Luxus: Getränke, möglichst viele Frauen, große Einladungen, maßlos großspuriges Auftreten, Kleidung, die man nach vierzehn Tagen mit verächtlicher Gebärde beiseite wirft, Autos, die man mit Achselzucken an der nächsten Straßenecke stehen läßt, wenn das Kleingeld nicht mehr zum Auftanken reicht – kein Europäer kann es im Rausch der Verschwendung mit einem zairisch-kongo-lesischen débaucheur aufnehmen.
Besitz als solcher sagt nichts. Freilich gibt es Dinge, die in Mengen zu besitzen sich auch in schwarzafrikanischen Augen lohnt, bei allen ostafrikanischen Hirtenvölkern zum Beispiel Kühe, die eine hohe soziale, beinah religiöse Bedeutung haben und Macht und Ansehen verleihen. Aber etwas um seiner selbst willen zu sammeln, einfach weil es schön und interessant ist, ist ein wenig schwarzafrikanischer Trieb.
Schon zwei gleichartige Dinge haben zu wollen, erscheint absurd. Auf einem Markt in Rwanda kaufte ich einmal zwei Tabakpfeifen aus Ton, wie sie die Pygmäen dort für die Hutubauern herstellen, jede etwas anders in der Form und mit immer neuen einfachen, reizvollen Mustern versehen. Wie üblich stand eine große Menschenmenge um mich herum, um zu sehen, was der Weiße wohl im Sinn hatte, und ein alter Mann fragte schließlich verwundert:
„Muzungu, warum kaufst du denn zwei Pfeifen?“
„Weil sie verschieden sind.“
„Aber du kannst doch nur eine Pfeife benutzen.“
„Aber ich mag sie beide, weil sie so schön sind.“
„Aber wozu brauchst du denn zwei Pfeifen, Muzungu?“
So ging es noch eine Weile hin und her, und ich konnte mich ihm nicht verständlich machen. Was hätte er wohl erst