und den in dieser Höhe eigentlich überflüssigen Moskitonetzen über den Betten, mit dem Rasen, um den die Zimmer lagen, mit dem strikten Einhalten britischer Sitten und dem leisen, stirnrunzelnden Befremden, wenn man aus ihnen auszubrechen versuchte. Jeden Morgen klopfte ein Boy leise, beharrlich an der Tür, bis er seinen early morging tea losgeworden war. Der sonst so scheue Weißbrauenrötel3 suchte ungeniert vor den Füßen der Gäste seine Nahrung im Gras, und die Blumenrabatten verrieten die unnachahmliche englische Garten-hand. Es wurde mein Stammhotel für die nächsten zehn Jahre, und jedes Mal, wenn ich wieder nach Nairobi kam, versammelte sich schwarzes und weißes Personal, um mich zu begrüßen und zu sagen:
„Was haben Sie doch damals für ein Glück gehabt!“
Einstweilen fühlte ich mich gut aufgehoben nach dem Desaster. Ich wurde wieder etwas optimistischer, was meine Weiterfahrt in den Kongo anging. Zunächst schienen sich ihr allerdings unüberwindliche Hindernisse in den Weg zu stellen. Ich hatte mein ganzes Geld in Kongofranken bei mir. Meine ostafrikanischen Schillinge reichten nicht einmal für die Fahrt mit der Bahn bis zum letzten Bahnhof dicht an der kongolesischen Grenze. Ich lief ein Dutzend Banken ab, um einen Teil meiner Kongofranken umzutauschen, auch zu miserablem Kurs – die indischen Angestellten wiesen sie mit verhangenen Augen und dezenter Verachtung ab. Schließlich war ich so verzweifelt, daß ich tat, was man in solcher Lage niemals tun sollte: Ich ging zur deutschen Botschaft. Vielleicht konnte man mir einen guten Rat oder mir sogar bis zu kongolesischen Grenze weiterhelfen. Ich war bereit, jeden Betrag in Kongofranken und deutschen Schecks zu hinterlegen.
Was der Attaché mir anbot, war eine Flugkarte nach Deutschland. Dort umgehend zurückzuvergüten, sonst Strafverfolgung. In Richtung kongolesischer Grenze konnte man nichts für mich tun, obwohl das nur ein Zehntel der Flugkarte gekostet hätte und ich nachweisen konnte, daß man mich dort erwartete. Vorschrift ist Vorschrift, und wo man Kongofranken wechseln könnte, wußte der Attaché auch nicht. Er wollte nur gern von mir wissen, wie es denn heutzutage im Kongo sei. Darüber konnte ich ihm nun wirklich keine aufschluß-reichen Mitteilungen machen. Er entließ mich mit den allerbesten Wünschen für die Weiterreise und glückliche Ankunft im Kongo.
Was blieb mir übrig, als trotz der demütigenden Mienen der indi-schen Kassierer weitere Banken abzuklappern? Mein Durchhalten wurde schließlich in einer türkischen Bank belohnt: Der Angestellte warf mißtrauische Blicke um sich, zog mich in ein Hinterkämmerchen, und bald darauf erschien ein anderer Inder und wechselte mir einen Teil meiner Kongofranken zum halben Preis dessen, was ich dafür in Deutschland bezahlt hatte. Er erschien mir trotzdem wie ein Engel.
Aber nicht lange. Noch am selben Nachmittag entdeckte ich in der Stadt eine Reihe von Wechselbuden, in denen man ohne Schwierig-keit jede Währung in beliebiger Menge umtauschen konnte, auch Kongofranken, und natürlich zu einem besseren Kurs. Ob das wirklich keiner der Befragten gewußt hat?
Ich brachte meinen Wagen zur Garage, wo man bereit war, ihn innerhalb der nächsten drei Monate zum Zweidrittelpreis eines Neuwagens wiederherzustellen. Mein Gepäck gab ich als Bahnfracht auf und fuhr am nächsten Tag ebenfalls mit der Bahn gen Westen, nicht ganz vierundzwanzig Stunden bis Kampala und dann noch einmal eine Nacht bis Kasese, dem Endpunkt der ostafrikanischen Bahn am Fuß des Rwenzori. Von dort aus, sagte ich mir, mußte es doch irgendein öffentliches Verkehrsmittel nach Bukavu am Südende des Kivusees geben, der Stadt, in deren Nähe das Institut lag, wo man mich erwartete. Bukavu war immerhin die bedeutendste Stadt im ganzen mittleren Bereich des Ostkongo.
Die ostafrikanische Bahn ist einst unter großen Opfern von indischen Kulis gebaut worden und war eine Pioniertat ersten Ranges. Sie hat das ostafrikanische Hinterland erst richtig erschlossen Damals, im letzten Jahr der Kolonie, war sie ein Nostalgiebähnchen, das gemüt-lich durchs Land zuckelte und in jedem Bahnhof eine halbe bis dreiviertel Stunde stehen blieb. Schnell fahren konnte sie nicht mehr. Im Abteil merkte man nicht so sehr, warum, wohl aber im längeren Speisewagen: Die Wagen kippten beunruhigend hin und her, beson-ders wenn der Zug wieder einmal eine der vielen Kurven nehmen mußte. Das Bähnchen trug durchaus noch den Stempel der dahin-sterbenden Rassentrennungspolitik. Es gab sogar zwei Klotypen: European Type und Non-European Type. Die Non-Europeans mußten sich mit dem begnügen, was man bereits in Italien antreffen konnte: mit Trittflächen und Griffen an der Wand. Bei der Reservierung achtete man streng darauf, nur Sortengleiche in den Abteilungen der Liegewagen zusammenzubringen: Briten, nicht-britische Weiße, Asia-ten, Afrikaner. Ich zog einen Korsen, der als Lektor für Französisch nach Kampala fuhr.
Kasese erwies sich als ein ‚Posten‘, der aus Bahnhof, Lagerhallen, einer Handvoll Häuser in europäischen Stil und ein paar Hütten bestand. Ringsumher dehnte sich endloses Grasland aus, auch in die Vorberge des Rwenzori hinein. Meine Frage nach einer Verbindung nach Bukavu stieß auf allgemeines Verwundern. Alle Welt war entsetzt, daß ein Weißer da überhaupt noch hinfahren wollte. Ein eiserner Vorhang schien zwischen Uganda und dem Kongo zu laufen, und, aber nein, was da drüben passiert, ist gar nicht zu beschreiben.
Schließlich wies man mich an einen Schotten, einen Transport-unternehmer, der häufig Transporte auch auf die andere Seite, sogar bis Bukavu schicke. Er nahm nicht nur willig mein Gepäck in Aufbe-wahrung, sondern bot mir auch an, mit einem Transport nach Bukavu zu fahren, der in ungefähr einer Woche abginge. Eine Woche! An solche Zeitdimensionen war ich noch nicht gewöhnt, und außerdem schmolzen meine Schillinge zusammen wie Butter an der Sonne. So machten wir aus, daß ich mich am nächsten Morgen mit meinem Koffer bei ihm einfinden und mit einem anderen Transport nach Beni fahren solle. Das ist eine Stadt am Westfuß des Rwenzori, sozusagen das Gegenstück zu Kasese. Es lag zwar etwas aus meiner Richtung, aber vielleicht fände ich dort schneller Gelegenheit, nach Bukavu zu gelangen.
Am nächsten Morgen verließen also zwei Laster Kasese in süd-westlicher Richtung, wo die Straße um das Südende des Rwenzori herum in den Kongo führte. Ich saß neben dem Fahrer des ersten Wagens und war bereits etwas mitgenommen durch das allgemeine Gruseln, das ich mit dem Wort ‚Kongo‘ in Kasese ausgelöst hatte. Besonders gut vorbereitet war ich auf dieses grausige Land nicht. Mein Französisch war mehr als kümmerlich (mit dem Korsen hatte ich Italienisch gesprochen), und mein Kiswaheli bestand aus einem Dutzend Wörtern (es sollte sich herausstellen, daß die Hälfte davon im Kiswaheli des Kongo ungebräuchlich, wenn nicht überhaupt unbekannt war).
Kaum war nach einer Straßenkurve Kasese außer Sicht, als die schwarzen Fahrer anhielten und erst einmal ausgiebig Brotzeit machten. Bis zur Grenze sei es nicht weit, und die Grenze schließe erst um sechs Uhr abends. Diese Art der Betrachtung war mir neu. Ich lehnte ihre freundliche Einladung empört ab und rannte wie ein eingesperrter Wolf mit wachsender Verbitterung am Straßenrand auf und ab, ringsum Savanne und flammend heiße Luft. Um die Mittags-stunde fanden die Fahrer, man müsse doch allmählich aufbrechen. Wenn nämlich der ugandesische Zoll Schwierigkeiten mache, sei nachher der kongolesische vielleicht schon geschlossen.
Man meine nur ja nicht, daß dies besonders nachlässige Fahrer gewesen seien. Viele Jahre später warteten wir einmal auf einen Transport empfindlicher geophysikalischer Geräte, die eine unter Zeitdruck stehende amerikanische Wissenschaftlergruppe dringend brauchte. Nach vierzehn Tagen brach der Leiter der Gruppe zusam-men mit dem (belgischen) Transportunternehmer nach Bujumbura auf, wo der Laster zuletzt gesehen worden war. Sie fanden ihn auch. Er hatte die ganzen vierzehn Tage hindurch Trockenfisch oben auf den Gerätekisten von einem Fischerdorf in die Stadt Bujumbura transportiert und seinem Fahrer ein kleines Taschengeld eingebracht, auf einer halsbrecherischen Straße, wo er nur so von einem Loch ins andere flog.
Meine Fahrer waren also im Grunde brave Leute, wenn es mir auch damals nicht so schien. Sie kamen immerhin schon um vier am ugandesischen Zoll an. Er bestand aus einem winzigen Häuschen mitten in den endlosen Grasflächen des nördlichen Queen-Elisabeth-Parks und einem vergrämten indischen Zollbeamten, der übertrieben höflich, fast kriecherisch freundlich zu den Fahrern war (die Unab-hängigkeit stand vor der Tür, und das Schicksal der asiatischen Staats-beamten war ungewiß). Er mußte sie aber doch nach Kasese zurück-schicken, weil irgendein wichtiges Papier fehlte. Sie nahmen es mit Fassung hin, richtiger, mit heiterer Gleichgültigkeit. Ich aber wollte lieber per Autostop weiterfahren als am nächsten Tag noch eine Brotzeit miterleben. Ich ließ also meinen Koffer abladen und nahm Abschied von den Leuten. Fröhlich winkend fuhren sie davon.