Peter Kunkel

Muzungu Facetten zentralafrikanischer Jahre


Скачать книгу

gab es zwar viele, die einigermaßen manierlich gekleidet waren, aber vor allem auf dem Land hatte mehr als die Hälfte der Männer immer noch unwahrscheinliche Fetzen um sich herumhängen.

      Dabei waren die Frauen ausgesprochen hübsch angezogen. Für sie gab es überall auf dem Markt und in den indischen und griechischen Läden sogenannte wax zu kaufen, etwa vier Meter lange Streifen billiger, bunt bedruckter Stoffe, die in England, Holland und Indien hergestellt wurden, später auch in anderen Ländern der Dritten Welt und im Lande selbst. Die Frauen ließen sich daraus auf dem Markt Blüschen einfachsten Zuschnitts zurechtschneidern. Was übrig blieb, wurde zum größeren Teil um die Hüften geschlagen und hing bis auf die Füße herunter, zum kleineren kam es in einem hohen, möglichst kunstvollen Aufbau auf den Kopf. So war es wenigstens im Kongo-Zaire. Andere Völker hatten andere Frauentrachten entwickelt, die Gandafrauen in Uganda zum Beispiel ein langes Kleid mit kurzen, gerade den Ansatz des Oberarms deckenden Puffärmelchen, die den stämmigen Figuren ein noch matronenhafteres Aussehen gaben, als sie ohnehin schon hatten. In Rwanda trugen die Frauen ein toga-artiges langes Gewand, dessen durchhängende Falten die schlanken Figuren namentlich der Tutsifrauen voll zur Geltung brachten. Die langen Röcke all dieser Trachten gaben den Frauen Ansehen und Würde. Es war eine Freude, sie anzusehen, vor allem, wenn man sie mit der Kleidung in Gebieten verglich, in denen sich keine Tracht entwickelt hatte, wie etwa in Kenya, wo die Mehrzahl der Frauen schlecht geschnittene, in keiner Weise an die afrikanische Frauenfigur angepaßte Kleider europäischen Zuschnitts wie Säcke um sich herum-hängen hatte.

      Alle diese Trachten waren jungen Ursprungs. Noch um die Jahr-hundertwende gab es in östlichen Zentralafrika kaum andere Stoffe als Felle und Rindenbast, aus denen zum Teil kunstvolle, aber nur geringe Teile des Körpers bedeckende Kleidungsstücke hergestellt wurden: um die Hüften geschlungene Stoffbahnen, vielfach nur einfache Durchziehschurze, schmälere und breitere Gürtel, bei man-chen Stämmen auch einfache Schultercapes. Die Kolonialzeit hat mit dieser Mode aufgeräumt, vor allem aber die ersten Jahre der Unabhängigkeit. 1963 sah ich im Kivuhochland noch Frauen in Fell-kleidung herumlaufen, im Waldgebiet des nahen Tieflands einmal sogar noch eine alte Frau im Lendenschurz, später (außer bei Pygmäen) nicht mehr. Auch damals schon trug man dergleichen nur noch zu Hause oder bei der Arbeit auf dem Feld.

      Was aus der alten Zeit geblieben war, war die Vorliebe für bestimmte Farbtöne. Sie wechselte von einem Volk zum andern und spiegelte neben der Stammestradition die Atmosphäre der jeweiligen Land-schaft wieder. Die Frauen suchten sich ihren wax in ähnlichen, manchmal sogar den gleichen Farbschattierungen aus, in denen ihre Mütter Glasperlen für Halsketten, Hüftschnüre und Stirnbänder gewählt hatten.

      Auffallend war in dieser Hinsicht damals noch der Unterschied zwi-schen Rwanda und dem Kivuhochland. In Rwanda trug man mit Vorliebe einfarbige oder klein und unauffällig gemusterte Stoffe in klaren Farben, im Einklang mit der hellen, klaren und trockenen Luft der Savanne, in der die leuchtenden Flecken der Frauenkleider weit-hin sichtbar waren. Im westlichen Kivuhochland ist die Luft feuchter, oft diesiger, und das Grün der üppigen Vegetation spielt unter der Wolkendecke nicht selten ins Blaue. Hier bevorzugen die Frauen gebrochenere Farben mit einem Hang besonders zu Ockergelb und violetten Tönen, und die Muster können ihnen nicht groß und kontrastreich genug sein. Inzwischen haben sich die Rwandesinnen, soweit sie nicht europäische Kleidung tragen, der zairischen Mode angepaßt. Haben sie sich dem Diktat der Mode des größeren Nachbarn unterworfen, oder liegt es wenigstens zum Teil auch daran, daß die Savanne in diesem übervölkerten Land verschwunden und überall nur noch das dunklere, bläulichere Grün der Kulturen zu finden ist?

      Es muß für die Designer ein Vergnügen gewesen sein, den verrück-testen Einfällen auf den wax Gestalt zu geben. Ihren Kundinnen im kongolesisch-zairischen Kivu konnte es jedenfalls nicht wild genug zugehen. Die Rwandesen machten da zusammen mit einigen ver-wandten Nachbarvölkern eine Ausnahme. Wahrscheinlich hatte ihnen die aristokratische Hirtenkaste der Tutsi diese Zurückhaltung aufgeprägt. Weiter im Westen konnte man auf den wax eigentlich abbilden, was man wollte, ohne den Absatz zu gefährden. Aber politische Themen haben sich seit der Unabhängigkeit als besonders attraktiv erwiesen. Das gab den wax oft eine komische Note, vielfach aber auch etwas Bedrohliches, bis hin zum Alptraum. Die Trägerin ahnte freilich in den meisten Fällen weder das eine noch das andere. Oft konnte sie kein Französisch, und meistens waren die Schlagworte in dieser Sprache auf ihr Kleid gedruckt.

      Natürlich stand 1963 ‚Indépendence‘ auf vielen Frauenleibern geschrieben, manchmal in so riesigen Lettern, daß man es nur lesen konnte, wenn die Frau ihr Umschlagtuch bis zum Hals hinaufzog. Das war tragikomisch, wenn man an die Stellung der Frau in der kongo-lesischen Gesellschaft dachte, bedrückend war es noch nicht. Das kam erst mit Mobutus Flut politischer slogans (welches Wort man französisch aussprechen möge). Parolen wie ‚Retroussons les manches! – Krempeln wir die Ärmel hoch!‘ oder ‚Servir: oui – se servir: non! – Dienen: ja – sich bedienen: nein!‘ entströmten nicht nur täglich und stündlich dem Radio und waren überall dort ange-schlagen, wo auch andere Gleichrichterstaaten ihre Devisen zur Schau stellen, sie verdarben uns auch den Anblick zairischer Frauen.

      Beliebt waren auf den wax natürlich Bildnisse führender Persönlich-keiten. 1963 war Kasavubu noch weit verbreitet. Etwas später tauch-ten zahlreiche Tshombes auf, und kurze Zeit danach war der indische Händler gut beraten seinen Restbestand an Tshombes verschwinden zu lassen und durch das Konterfei Mobutus zu ersetzen. Auch Baudouin, König der Belgier, sah man anläßlich seines Besuchs im Zaire nicht nur auf vielen Rücken und Brüsten abgebildet, sondern auch auf vielen ausladend hin- und hergeworfenen Hinterteilen, bald allein, bald mit Mobutu zusammen in einem ovalen, altmodischen Goldrahmen.

      Die politische Szene wechselte damals rasch, und es war nur gut, daß die waxstoffe von so schlechter Qualität waren und sich rasch verschlissen, sie würden sonst wohl manche gute Frau in Schwierig-keiten gebracht haben, wenn sie auf ihrem wax ein nicht mehr opportunes Gesicht zur Schau gestellt hätte. Die schlechte Qualität war paradoxerweise auch der Grund, warum die Frauen immer verhältnismäßig gut angezogen waren: Die wax lösten sich nach einer Weile einfach auf und konnten als Lumpen nicht mehr angezogen werden.

      Nicht so die Männerkleidung. Sie ist von Haus aus wesentlich stabiler, leider aber auch viel teurer. Andererseits war es 1963 bereits unumgänglich, ein Minimum an Kleidungsstücken europäischen Stils am Leibe zu tragen. Ohne sie würde sich auch der letzte Pygmäe im Kivu nicht mehr als Mensch gefühlt haben. Leider hieß das nicht, daß jeder wußte, wie man damit umzugehen hat. Das hatte zwar jeder rasch gelernt, der stärker unter westlichen Einfluß geraten war, sei es als Schüler, sei es als Arbeiter oder Boy in einer europäischen oder bereits stärker verwestlichten Familie. Aber noch in den ersten Jahren der Unabhängigkeit soll ein Teil der Provinzminister in Bukavu seine Anzüge vierzehn Tage und Nächte hindurch angehabt und dann durch neue ersetzt haben.

      Als wir 1972 den Zaire verließen, herrschen vielerorts noch solche Bräuche, namentlich auf dem Land, nur daß die Mittel fehlten, die Kleidung entsprechend häufig zu ersetzen. Sie wurde Tag und Nacht getragen, verdreckte in kurzer Zeit unbeschreiblich, zerriß allent-halben und strömte, namentlich in bescheideneren Kreisen, einen Geruch von Schlaf, Rauch, Urin und Darmgasspuren aus, der uns die Nähe auch des freundlichsten und interessantesten Menschen nur schwer erträglich machte. Wenn jemand vom unangenehmen ‚Ge-ruch der Neger‘ sprach, hatte ich ihn immer im Verdacht, daß er diese Duftkomposition meinte. Der eigentliche Körpergeruch der Schwarzafrikaner, deutlich anders als der europäische, ist dezent und keineswegs unangenehm. Hier aber war er so gut wie ganz in kräftigeren Duftkomponenten untergegangen.

      Pittoresk wurde diese Kleidung, wenn der Träger die schnell aufreißenden Nähte und Löcher auf dem Markt flicken ließ. Der Marktschneider setzte in der Regel einen Flicken ein oder auf. Auf die Farbe kam es ihm dabei nicht an. Der erste große Schrecken, den meine Frau im Kongo erlebte, war ein Boy, der eine derart reparierte Hose anhatte. Sie war ihm in der Mittelnaht zwischen den Beinen auseinandergegangen, und der Schneider hatte dort einen feuer-roten Streifen eingesetzt. Meine arme Frau hielt das für Absicht. Sie war nur mit Mühe davon zu überzeugen, daß der Boy sich seiner skandalös-erotischen Wirkung keineswegs bewußt war.

      Nicht jeder konnte sich eine solche Reparatur leisten. Die Nachtwächter zum Beispiel nicht, die auch in