von etwa zweieinhalb Euro ein zamumonatsgehalt), daß er aber davon noch ungefähr die Hälfte an potentielle Diebe abgeben muß und daß das die eigentliche Schutzwirkung ist, wenn man einen Nachtwächter anstellt. Nament-lich in größeren Städten ist das System gut ausgearbeitet. Auch die Polizei figuriert unter den Endempfängern. Es ist also gar nicht nötig, starke Männer wachen zu lassen. Es ist eine Arbeit für Schwache und Alte, die bereit sind, für das Taschengeld, das nach den Schröpfun-gen verbleibt, die Nacht im Freien zu verbringen.
So genial dieses System auch sein mag, wenigstens ein Quäntchen der Gewinne ausländischer Geschäftemacher und der Gehälter der Experten der Entwicklungshilfe auf einen größeren einheimischen Personenkreis zu verteilen, so genierlich ist es für mich, jemand draußen in der Kälte bibbern zu lassen, damit ich mich sorglos im warmen Bett zusammenrollen kann. Lieber stelle ich mir einen Speer neben den Nachttisch. Das hat mir später viele Zusammenstöße eingebracht. „Du hast Arbeit, aber du willst sie nicht geben“, hieß es, wenn ich keinen Nachtwächter einstellen wollte.
Soweit war ich noch lange nicht. Verzagt wachte ich am nächsten Morgen auf. Wenn ich in dem Stil weiterreiste, wie ich von Kasese nach Beni gelangt war (ohne Bukavu auch nur einen Kilometer näher gekommen zu sein), konnte das noch heiter werden. Aber es erwies sich, daß mein Mulatte ein viel freundlicherer Charakter war, als ich gedacht hatte: Der Hotelbesitzer erzählte mir, daß sein Freund bereits einen Lastwagen aufgetan hatte, der seine Fracht nach Goma bringen sollte, am Nordende des Kivusees. Von dort gäbe es eine Schiffslinie nach Bukavu. Noch war der Lastwagen nicht vorgefahren. Von der Terrasse vor dem Hotel aus betrachtete ich die kurze Geschäftsstraße von Beni und die Volksmenge, die vorbeiströmte, bemerkenswert abgerissene Gestalten verschiedensten Typs, darunter auch winzige, die deutlich als Pygmäen zu erkennen waren.
Kaum aber hatten sie mein Interesse wachgerufen, so gab es, wie stets auf dieser Reise, keinen Augenblick mehr, sich ihnen zu widmen. Der Wagen erschien, mit einem ugandesischen Fahrer, der zum Glück ein bißchen Englisch sprach. Meine Griechen handelten einen Fahrpreis aus (wie freundlich und nützlich das war, begriff ich erst viele Monate später) und wieder ging‘s auf die Straße. Ich hoffte, diesmal bis zum Abend wenigstens in Goma zu sein. Die fünfhundert Kilometer bis dorthin mußte man doch an einem Tag schaffen kön-nen. Der ugandesische Fahrer stimmte meinen Berechnungen zu, wenn auch mit einer gewissen Zurückhaltung.
Es wurden drei volle Tage. Gleich hinter Beni erhielt mein Opti-mismus den ersten Stoß. Die Erdstraße erklomm den steilen Abfall eines Hochplateaus. Sie war nicht nur voller Löcher, sondern auch glatt wie Schmierseife. Ein ganzer Konvoi von Lastern kroch im Schrittempo empor, darunter auch der meine. An mehreren Stellen war die Straße zur Hälfte abgebrochen und in der Tiefe ver-schwunden. Handbreite Risse zeigten an, daß der Rest bald folgen würde. Schräg über den Abbruch geneigt, passierten die Lastwagen, was von der Fahrbahn übriggeblieben war.
Ich will den Leser diese drei Tage nicht im Einzelnen nacherleben lassen, das ständige Anhalten, weil Leute mitfahren wollten und der Preis dafür diskutiert werden mußte (meistens konnte man sich nicht einig werden) oder weil der Fahrer Gemüse, Hühner oder Bananen einkaufte, was ebenfalls nicht ohne langwierige Preisverhandlungen abging, oder weil der Fahrer sich absentierte, um für ein halbes Stündchen mit einer Schönen der Liebe zu pflegen. Auch darüber schienen erregte Preisdebatten stattzufinden, von denen ich leider so gut wie nichts verstand. Wo ich gern angehalten hätte, fuhren wir so schnell vorüber, wie es auf dieser Straße eben ging: an den großen Grasflächen des Albertparks (heute Virungapark), die von Büffeln und Antilopen übersät waren, oder am Rutshurufluß, in dem ich graue Tupfen gerade noch als Flußpferde identifizieren konnte. Nie gesehene Schönheiten, die ich mit Grimm an mir vorübergleiten sah. Wie leicht hätte ich das ändern können! Mit Vergnügen hätte der Fahrer für den verrückten muzungu überall beliebig lange ange-halten, wenn ich ihm dafür die nächsten Liebesfreuden finanziert hätte. Aber das wußte ich eben einfach nicht.
Endlich tauchte die blaue Fläche des Kivusees vor uns auf. Ich konnte es kaum noch glauben. Langsam kroch der Laster auf den Hängen des Nyiragongovulkans zum Seeufer hinab. Der See hat es mir sofort angetan, in dessen Dunstkreis ich von jetzt an leben sollte. Wenn ich allerdings gewußt hätte, daß es fast zehn Jahre werden würden, wäre ich sicher nicht schlecht erschrocken.
Noch war die Irrfahrt nicht zu Ende: Drei Tage versuchte ich in Goma zu ergründen, wann und wo das reguläre Passagierschiff nach Bukavu abginge, das erstaunlicherweise alle Wirren der Unabhängigkeit überlebt hatte. Es gab zwei Parteien in Goma. Die eine war für Diens-tag und Donnerstag, die andere für Mittwoch und Freitag. Am Sams-tagabend kam ich zur Überzeugung, daß ich das Boot für diese Woche versäumt hatte. Ich hatte übergenug von den Auskünften der schwar-zen und weißen Bewohner Gomas und mietete mich auf einem Lastkahn ein, der die Nacht über fahren und am Morgen in der Nähe des Instituts anlegen sollte.
Der Kapitän lud mich auf den Schlepper ein, der verhältnismäßig frisch gestrichen und ganz adrett anzusehen war. Ich wollte aber nicht schon wieder als Weißer behandelt werden und stieg mit einer großen Volksmenge auf den Lastkahn. Nie zuvor noch jemals später habe ich soviel Rost auf einmal gesehen. Als es zu regnen anfing, wurde eine Plane über den ganzen Kahn gespannt, unter der sich das Volk verkroch, auch ich. Nun verschmierte der Rost nicht nur von unten Hose, Hemd und Schuhe, sondern rieselte bei jedem Wellen-schlag auch aus offenbar unerschöpflichem Vorrat von der Plane herab, in die Haare, in die Augen, ins Hemd. Reumütig verließ ich meine Leidensgenossen beim nächsten Halt, als Kaffeesäcke einge-laden wurden, und nahm doch die Einladung des Kapitäns an.
Auf dem Schlepper ging es die ganze Nacht fröhlich zu. Kapitän und Steuermann hatten sich ein Mädchen mitgebracht, das mir unter Gackern und Kichern half, wenigstens die gröbsten Rostflecken aus Hemd und Hose zu entfernen. Es kochte Abendessen und benutzte jeden Vorwand, um immer wieder kreischend loszulachen. Als sich der Kapitän ihm zuliebe (vielleicht auch, um dem muzungu zu imponieren) in der Pose des fliegenden Holländers vor die Steuer-kabine stellte und ein Brecher ihn von oben bis unten durchnäßte, wollte das Gekreisch und Gegickel kein Ende mehr nehmen.
Im Morgengrauen legten wir an einem dunstverhängten grünen Ufer an. Der Kapitän deutete in die Nebelschwaden hinein: Dort oben in den Bergen liege das Institut. Ich lief mit meinem Koffer los, auf die Berge zu und befand mich bald in einer ausgedehnten Kaffee-plantage. Ich ging weiter und traf auf ein kleines Häuschen, in dem zwei Leute offenbar mit Papieren beschäftigt waren. Sie liehen mir einen Lastwagen mit Chauffeur aus, und eine Stunde später stand ich tatsächlich unter den Bogengängen zwischen den Laborgebäuden, die ich von Fotos her kannte. Es war Sonntagmorgen. Kein Mensch war zu sehen.
Hier mußte irgendwo Urs, der Schweizer Zoologe, zu finden sein, der das Institut leitete. Mit ihm und seiner Frau hatten wir ausgiebig korrespondiert, und jetzt hatte ich den dringenden Wunsch, wieder in eine mitteleuropäische Atmosphäre zu tauchen und mich vom Trommelfeuer der Eindrücke zu erholen, mit denen ich vor allem von Kasese ab so reich gesegnet worden war. Ohne Zweifel hatte ich Zentralafrika hautnäher erlebt, als es manchem anderen in Jahren beschieden ist. Aber begriffen hatte ich eigentlich nur, daß alles, was man in der Bundesrepublik über den Kongo zu hören und zu lesen bekam, falsch oder doch wenigstens schief und mißverständlich war.
Durch die Bogengänge kommt eine Frau gelaufen, eine Weiße dies-mal, klein, energisch, gepflegt, aber in robuster Bluse und Hose. Sie sieht sehr alemannisch und eidgenössisch aus, aber man kann sich ja täuschen. Ich raffe also mein Französisch zusammen und erkläre, wer ich bin und warum ich mich hier befinde. Sie unterbricht mich:
„Ja, aber wie kommen denn Sie daher?“
Der Schweizer Akzent ihres Hochdeutschs ist dezent, aber Gott sei Dank nicht verloren gegangen. Meint sie nun meinen Aufzug, der mit den Reminiszenzen an den rostigen Lastkahn in der Tat wenig ver-trauend erweckend aussehen muß, oder die Art und Weise, wie ich an das Institut gekommen bin? Ich erkläre in drei Sätzen meine letzten Transportmittel und Routen.
„Na, Sie haben wirklich dagestanden wie ein Commis-voyageur mit seinem Muschterchöfferli!“
Farben und Fetzen
Ein ganzes Volk in Lumpen ist ein erschreckender Anblick. Es genügt auch