Peter Kunkel

Muzungu Facetten zentralafrikanischer Jahre


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und fried-lich in der Sonne. Manchmal käme auch am Nachmittag noch jemand vorbei, versuchte der Inder mich zu trösten. Der Nachmittag verrann, zäh und unendlich langsam. Es wurde sechs Uhr. Das sei nicht schlimm, meinte der Zollbeamte, die Kongozeit sei um eine Stunde zurück, so daß der kongolesische Zoll erst um sieben Uhr ugandesischer Zeit schließe.

      In letzter Minute fuhr ein großer amerikanischer Wagen vor. Die Pracht war etwas angerostet, zwar an vielen Stellen, aber doch noch ganz passabel. Am Steuer saß ein dicker Mulatte. Hinten drückte sich ein kleines, dürres schwarzes Männchen in die Ecke, in ein Jackett gehüllt, dem überall das Futter entquoll, und mit einer Hose angetan, deren Beine schon mehrere Verkürzungen hinter sich gebracht haben mußten. Es war, wie sich später herausstellte, der Boy. Der Mulatte stellte sich als Grieche aus Beni vor. Das konnte, was seinen Volksstamm anging, meiner Meinung nach nur zur Hälfte wahr sein; aber er nach freundlicher Intervention des indischen Zollbeamten bereit, mich mitzunehmen. Und nun ging es dem schrecklichen Land zu, aus dem die Belgier zu Tausenden geflohen waren, in dem totales Chaos herrschte und die Weißen von der Bevölkerung mit Haß verfolgt und verabscheut wurden. So wenigstens stellte es sich in deutschen Zeitungen dar.

      Was erwartete mich am kongolesischen Zoll?

      Auch dort war es wieder ein solches Häuschen, allerdings lange nicht so sauber und ordentlich wie der Zoll auf der ugandesischen Seite. Es stand zehn Kilometer weiter ebenso einsam in der Savanne; aber in ihm ging es geräuschvoller und heiterer zu. Vier Zollbeamte saßen adrett gekleidet um einen Tisch, auf dem mehrere Bierflaschen und –gläser zu sehen waren. Sie begrüßten den Mulatten fröhlich wie einen alten Bekannten. Dann kamen sie heran und studierten meinen Paß und meine Bescheinigung, daß ich einen Arbeitsplatz am IRSAC in Bukavu hätte. Ihre Gesichter strahlten: ein Weißer, der in den Kongo kam, um sich niederzulassen und zu arbeiten. Meinen Koffer wollten sie erst gar nicht sehen. Der Mulatte drängte zwar heftig, wenigstens die Kamera zu plombieren; das sei doch Vorschrift. Aber sie meinten, wenn sich jemand im Kongo niederlassen wolle, müsse man freund-lich zu ihm sein. Sie kannten das Institut und schienen eine gewisse Hochachtung vor ihm zu hegen, wenigstens taten sie so. Ich verstand nicht alles, was verhandelt wurde. Aber ich war unendlich erleichtert, als ich zu dem Mulatten ins Auto stieg und die Zollbeamten zu ihren Biergläsern zurückkehrten.

      Das nächste für mich erstaunliche Erlebnis war ein Lastwagen, gestopft voll mit Kongolesen und gesteuert von einem jungen Belgier, der uns entgegenkam und neben uns anhielt. Nach unseren Medien hatte ich mir vorgestellt, daß es Belgier im Kongo sozusagen nicht mehr gäbe, und nun fuhr hier einer in dieser Einöde herum! Er stieg sogar aus und begann ein längeres Gespräch mit dem Mulatten. Ich erwartete jeden Augenblick, daß die Volksseele auf dem Wagen überkoche und man ihn zur Weiterfahrt auffordere. Aber nichts der-gleichen geschah. Die Menge sah stumpf und ergeben zu, wie die beiden ohne Hast miteinander schwätzten, und als der Lastwagen weiterfuhr und der Mulatte mir mitteilte, das seien alles Arbeiter des jungen Belgiers gewesen, dämmerte mir, daß es im Kongo doch recht anders aussehen müsse, als man es sich selbst in Kasese vorstellte.

      Es wurde Nacht, wieder tiefschwarze Nacht. Plötzlich röchelte das Auto, verstummte und stand.

      „Panne d’essence“, erklärte der Mulatte.

      Es war das erste Mal, daß ich mit dieser merkwürdigen panne Bekanntschaft machte: kein Benzin mehr. Ob ich noch ans Institut gelange, bevor mein Stipendium abgelaufen ist? Der Mulatte schnaufte verärgert. Er zog einen leeren Kanister aus dem Koffer-raum und schickte den Boy damit los. Zu seinem Freund in Beni, erklärte er, denn die Tankstelle sei ja jetzt wohl schon geschlossen. Es sei nicht mehr weit bis Beni, nur noch so etwas wie zehn Kilometer, und wenn der Freund selbst nicht kommen könne, könne der Boy ja allein mit dem Benzin zurückkommen.

      Daß ein solches Kümmermännchen in pechschwarzer Nacht mutter-seelenallein zehn Kilometer zu Fuß nach Beni laufen sollte und wo-möglich mit dem vollen Kanister den ganzen Weg wieder zurück, verschlug mir die Sprache. Ich fand das unglaublich roh und herzlos, besonders von jemand, der selbst so fett war, daß er schon auf dem Weg zum Kofferraum zu schnaufen anfing wie eine Dampfmaschine. Aber der Boy verschwand ohne Widerrede in der Finsternis.

      Wieder warten. Warten ins Ungewisse hinein. Wenn nun der Boy den Freund nicht antraf und auch sonst niemand, der ihm Benzin gab? Der Mulatte hatte die Unterhaltung mit mir in kurzer Zeit aufgegeben, weil mein dürftiges Französisch jedes flüssige Gespräch unmöglich machte. Er vertiefte sich in eine griechische Zeitung. Zwischendurch nickte er auch einmal ein.

      Ich stieg aus, und nach all dem Ringen mit Widerwärtigkeiten, mit Brotzeiten, lärmenden Zollbeamten, plombierter Kamera, verges-senen Zollpapieren, mißbrauchten Boys, pannes d’essence, überfiel mich die afrikanische Nacht mit voller Wucht, nichts weiter als das Zirpen von Millionen von Grillen im Gras der Savanne und das Gefunkel von Tausenden von Glühwürmchen , die anders als unsere deutschen immer nur kurz aufblinkten. So taten auch ihre Damen im Grase.

      Die Ruhe und Reinheit dieser Nacht stand in schroffem Gegensatz zu dem Schlamassel, in das ich mich augenblicklich verstrickt hatte. Hier stand ich irgendwo in Afrika, wo ich von Rechts wegen nichts zu tun und nichts zu suchen hatte, auf Leute angewiesen, die ich weder sprachlich noch in ihrer Motivation verstand. Mein Eigentum war über Ostafrika verstreut. Weniger denn je war gewiß, wann ich nun eigentlich mit dem beginnen könne, dessentwegen ich nach Afrika gekommen war. Mir war, als täte ich etwas Verbotenes, wenn ich mich auch nur einen Augenblick von der nächtlichen Schönheit gefangen nehmen ließ, als müsse ich mich auch in dieser Hinsicht an die anpassen, unter denen ich nun einmal gelandet war, und daß der hinter seiner Zeitung schnarchende Mulatte nichts, aber auch gar nichts für den Zauber der Tropennacht übrig hatte, war unschwer zu erkennen. Noch Jahre später überkamen mich sofort Unruhe und diffuse Schuldgefühle, wenn ich Glühwürmchen durch die Nacht fliegen sah und die Grillen dazu zirpten…

      Nach drei Stunden kam der Freund tatsächlich. Den Boy hatte er wieder mitgebracht, damit er das Benzin aus dem Kanister in den Tank füllte. Vielleicht hatte der Boy auch darauf bestanden, es zu tun.

      In Beni setzte mich der Mulatte in einem kleinen griechischen Hotel ab, dessen Besitzern er auf Griechisch noch einige Kommentare zu seinem seltsamen Mitbringsel gab. Ich bekam etwas zu essen und ein einfaches sauberes Zimmer für die Nacht.

      Griechen waren damals vielerorts eine ausländische Mittelklasse in Zentralafrika. Sie teilten diese Rolle mit den Indern einschließlich der Pakistani. Griechen fand man als Kaufleute, kleine und mittlere Unternehmer und Hotelbesitzer bis in die kleinsten Posten hinein. Sie waren bewundernswert. Sie hatten den Auftrieb, aber nicht die Ansprüche des Westeuropäers und waren fähig, es auch unter primitiven Verhältnissen zu etwas zu bringen. Sie hatten einen klaren Blick für die Qualitäten und Fehler der anderen Nationaltäten im Land und wahrscheinlich von allen Minoritäten die geringsten Vorurteile. Sie mochten nur die Inder nicht. Es waren ihre stärksten Konkurrenten, und Zentralafrika war geradezu in Flecken aufgeteilt, in denen entweder die Griechen oder die Inder den Handel in der Hand hatten. Selten hatte einmal ein Inder in einer ‚griechischen‘ Kleinstadt ein Geschäft oder umgekehrt. Beni war, wie viele Posten im Nordkivu, griechisch.

      In meinem Hotel machte ich die erste Bekanntschaft mit einer Einrichtung, der ich bis heute nichts habe abgewinnen können: dem zamu oder Nachtwächter. Als ich in mein Zimmer gehen wollte, fiel ich vor der Tür über eine armselige Gestalt, die in einen alten Militärmantel gehüllt vor einem Feuerchen hockte, neben sich ein ‚Bett‘ aus Resten alter Pappkartons, auf denen sie sich später zur Ruhe legte.

      Daß dieses Wesen die ganze Nacht vor meiner Tür meinen Schlaf – und die anderen Hotelzimmer – bewachen und an seinem lächer-lichen Feuer frieren sollte, schien mir ein ungeheuerlicher Mißbrauch eines Homo sapiens zu sein. Allerdings landesüblich. Ich brauchte nur auf die Straße hinauszuschauen. Vor jedem Geschäft saß eine dunkle Gestalt neben ein paar glimmenden Holzstückchen, die manchmal hell aufflackerten und kurz ihr Gesicht oder ihren Umriß sichtbar werden ließen. Wie diese Wächter Häuser und Geschäfte wirksam beschützen sollten, falls nun wirklich Diebe kämen, begriff ich nicht: Es schien eine Auswahl der kümmerlichsten Männchen des Landes zu sein, und die Jüngsten waren sie meistens auch nicht mehr.

      Der Neuling verkennt