Peter Kunkel

Muzungu Facetten zentralafrikanischer Jahre


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Be-wohner Zentralafrikas ein uns unbegreiflich loses Verhältnis. Sie geben sie mit einer Leichtigkeit weg, die uns auch nach Jahren noch überrascht. Das heißt nicht, daß es keine Dinge gibt, an die sie ihr Herz hängen. Eine Frau liebt ihre Kalebasse, die durch langen Ge-brauch eine schöne rotbraune Patina bekommen hat, ein Kind sein selbstgebasteltes Auto und ein Mann seine Pfeife und sein Musik-instrument. Aber es ist immer nur ein einziger Gegenstand von einer Art, und insgesamt sind es nur wenige.

      Einem außerordentlich schwachen Bedürfnis, die materielle Umwelt nach eigenen Vorstellungen in die Hand zu nehmen, verdankt dieses übervölkerte Land also seine scheinbare Unberührtheit, so prädesti-niert es in anderer Hinsicht auch dafür scheint, eine monumentale Hochkultur hervorzubringen: Es hat ein gesundes Klima ohne Extrem-werte, fruchtbare Böden, auf denen viele verschiedene Kulturpflan-zen gedeihen, und von jeher eine dichte Bevölkerung in verhältnis-mäßig großen politischen Einheiten. Rwanda und Burundi sind darüber hinaus schon lange hochorganisierte Flächenstaaten gewe-sen. Aber ihre Herrscher hielten auch sie von einfachen Gehöften aus zusammen, auf einer wirklich bescheidenen Basis materieller Kultur.

      Selbst Straßen hatten diese Königreiche nicht. Es wird zwar von einer kurzen Prunkallee von Spazierwegbreite auf den rwandesischen Königshof zu berichtet; aber im Allgemeinen liegen auch Wege außerhalb des Bereichs, der durchgestaltet wird, will man nicht gelegentliche Machetenhiebe auf störende Zweige als Wegebau ansehen. Überall sind die Hügelkuppen isolierter Gehöfte durch Trampelpfade miteinander verbunden, genau breit genug für eine Person. Pfade, die die ständige Benutzung schafft und erhält. Sie pendeln irgendwo an den Feldern entlang, schlängeln sich durch Bananenpflanzungen und verlagern sich, wenn der Regen sie zu tief ausgewaschen hat. Niemand respektiert sie, im Gegenteil: wer ein Feld anlegt, kann der Verlockung nicht widerstehen, auch den Wegstreifen mit umzuhacken und zu besäen, und der Pfad muß sich erst wieder durch den Tritt der vielen Passanten in der weichen Erde der letzten Furche neu formen, ein bißchen versetzt gegen das Nachbarfeld.

      Seltsam sich vorzustellen, daß die Zentralafrikaner bis vor kurzer Zeit keine anderen Verkehrswege als diese Art von Trampelpfad hatten. Sie kannten weder Tragtier noch Rad und empfanden anscheinend nicht einmal an steilen Hängen das Bedürfnis, Lasten, selbst schwere Kornlasten, bequemer zu befördern. Ich habe immer die europäi-schen Entdecker bewundert, die auf diesen Pfaden Tausende von Kilometern ins – ihnen – unbekannte Innere des schwarzen Konti-nents gezogen sind. Was für ein Mut gehört dazu, über so schmale Streifen nackter Erde großen Zielen, Seen, Mondgebirgen, Nilquellen und ungastlichen Königreichen, entgegenzuziehen und zu wissen, daß man auch für die Rückkehr in die gewohnte Zivilisation wieder auf diese ungewissen, ständig verlegten Pfade angewiesen ist. Wie schäbig stehen wir Heutigen da, in den sechziger Jahren von gewissen Institutsnachrichtenblättern ebenfalls als ‚Forscher in Afrika‘ be-zeichnet, die wir vor jedem Schlammloch in der Straße zu schimpfen anfangen und vergrämt das nächste Flugzeug besteigen!

      Die Erben jener ersten, wirklichen Forscher in Afrika haben eben andere Ansprüche in den schwarzen Kontinent gebracht, die sich vor dem einheimischen Hintergrund noch seltsamer ausnehmen, als sie an sich schon sind. Es genügt, das Haus zu betrachten, in dem wir hier oben wohnen. Mit einer Reihe prächtiger Flügeltüren öffnet sich der langgestreckte Bau auf unser Panorama hinaus. Durch eine tritt man in eine über sechs Meter hohe Bibliothek, vollständig mit dunklem, fast schwarzem Holz ausgetäfelt, mit Bücherbrettern bis unter die Decke, eine imposante, aber doch recht finstere Angelegenheit. Andere Flügeltüren führen in einen gewaltigen Saal mit wuchtiger Balkendecke und einem überdimensionalen Kamin. In ein Schloß für Feudalherren in einem versunkenen Europa.

      Noch deutlicher sprachen von solcher Nostalgie Reste der Innen-einrichtung, die wir beim Einzug in dieses Haus vorfanden. Da hing ein großer persischer Kelim an einer Wand. Darunter stand eine geschnitzte Truhe in altflämischem Stil, auf der man das Wappentier des Instituts bewundern konnte, einen Löwen, der seine Pranken auf die geöffneten Seiten eines Buches legt. Auch hing an einer anderen Wand ein Gobelin mit einer hübschen französischen Landschaft, und als Beleuchtung hatten zwei reichgeschnitzte Barocklampen gedient, die ursprünglich wohl zur Kutsche mindestens einer Marquise gehört hatten. Der Gründungsdirektor des Instituts hatte sich dieses Haus gebaut, und es ist eigentlich unnötig zu sagen, daß das ganze Institut den Stempel solcher Sehnsüchte nach ungebrochenem Adelsstolz trug. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, sich den getäfelten Lesesaal der Bibliothek vorzustellen oder das Direktorzimmer mit Intarsien-tisch und antiken Karten von Delos und Santorin an der Wand.

      Afrika? Nichts von Afrika! Sorgfältiger hätte man das Land, in dem man sich angesiedelt hatte, nicht ausschließen können. Nur das Panorama vor dem großen Haus war gewissermaßen angenommen worden. Das war auch nicht schwierig, weil darin eigentlich nichts von den Menschen zum Ausdruck kam, die hier zu Hause waren.

      (Nein, ganz ausgeschlossen war das Land draußen nicht. Aber das entdeckte ich erst neun Jahre später, erst als ich selber das Institut leitete: In einem vorher nie benutzten Saal zog sich ein riesiges Gemälde von der Ankunft der Belgier im Kivu an der ganzen Innenwand entlang. Hoch aufgerichtet standen ein paar Herren mit dem typischen coup-de-bambou-Gesicht, dem Adlerblick des ent-schlossenen Eroberers und Herrnmenschen, in einem Boot, das offensichtlich an einem Ufer des Kivusees anlegte. Empfangen von erbärmlichen, zusammengekrümmten Gestalten, die schon bei dem Auftauchen der Herrschaften von Sklaverei und kriecherischer Unterwerfung gezeichnet zu sein schienen. Ich war so geschockt, daß ich das Bild sofort entfernen wollte – die zairischen Angestellten des Instituts hinderten mich daran: Es gehöre doch zum patrimoine national, zu ihrem nationalen kulturellen Erbe!)

      Es ist selbstverständlich, daß ein Kolonisator seine Kultur mitbringt und dem unterworfenen Land aufzuprägen versucht. Das kann schon deshalb nicht anders sein, weil er seine Tätigkeit in diesem Land moralisch nicht anders rechtfertigen kann, auch vor sich selbst nicht, als damit, daß er ihm die Segnungen eine höheren Zivilisation und Gesittung bringt. Von einem gewöhnlichen Siedler kann man erst recht nicht verlangen, daß er sich dem Einfluß der Unterworfenen gegenüber offen zeigt: Er hat alle Hände voll zu tun, sich eine Existenz in dem neuen Land zu schaffen, und nur selten besitzt er die Beweglichkeit des Geistes, die die Auseinandersetzung mit einer fremden Kultur verlangt, schon gar nicht mit einer so fremden wie der schwarzafrikanischen, die schon deshalb nicht dazu verlockt, weil sie eben materiell nichts oder wenig Blendendes hat.

      Aber unser Institut hatte schon in der Kolonialzeit laut Statuten das Ziel, eine breite Forschung an ‚Mensch und Natur‘ im damaligen Kolonialbesitz Belgiens anzuregen, zu koordinieren und vor allem selbst zu betreiben. Wie kann man da gewissermaßen alle Fenster ins afrikanische Land hinaus staubsicher abdichten und dahinter mit unsicherem Geschmack ein monumentales Denkmal feudalistischer Reminiszenzen an die belgische Heimat errichten? Auch das spät entdeckte Gemälde war ja nur zu deutlich dieses Geistes Kind. Dieses Heimweh nach seigneurialer Pracht dürfte im Heimatland, in der Atmosphäre wachsenden Sozialbewußtseins, schon damals un-zeitgemäß, wenn nicht sogar anrüchig gewesen sein. Hier konnte man sich ihm noch ungehindert hingeben, gerade im Kivuhochland, das eine Hochburg des belgischen Adels geworden war.

      Aber es zeugt doch von beängstigender Enge, daß das neue Land in diese Prachtentfaltung nur in der Darstellung psychisch verkrüppelter ‚Eingeborener‘ einging. Eins der zahlreichen Kunstwerke kongole-sisch-zairischer Völker, die zum Besten gehören, was Schwarzafrika hervorgebracht hat, hätte doch wenigstens mit von der Partie gewesen sein können.

      Wie dem auch sei, mit Forschung hat dieser ganze Aufwand sowieso nichts zu tun. Sie ist glücklicherweise nicht vergessen worden. Hier konnte man wissenschaftlich arbeiten. Es gab geophysikalische, biologische und medizinische Labors, die bis zur Unabhängigkeit reichlich, um nicht zu sagen: verschwenderisch ausgestattet waren. Es gab eine kleine Forschungsklinik für unterernährte Kinder und eine umfangreiche Bibliothek, die, so hieß es, bis 1960 die größte Schwarzafrikas außerhalb der Südafrikanische Union gewesen ist. Sie war zum Mindesten auf den Gebieten auf dem Laufenden, auf denen jemand am Institut gearbeitet hatte. Es gab gut ausgestattete Werk-stätten, Garage, Schreinerei, Klempnerei, Feinmechanik und einiges andere. Sie waren im unabhängigen Kongo-Zaire noch notwendiger, als sie in der Kolonie gewesen waren. Ohne sie hätte man sich noch mehr an den Schwierigkeiten des Landes aufgerieben, als man es ohnehin schon