Peter Kunkel

Muzungu Facetten zentralafrikanischer Jahre


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Man konnte sich freilich fragen, ob die Autonomie hätte soweit getrieben werden müssen, daß das Institut oben am Waldrand, gleich neben unserem Haus, eine ferme mit über hundert Stück Vieh besaß, darunter vierzig Kühen. Aber es ist natürlich angenehm, immer frische Milch und Butter, gelegentlich auch einmal Fleisch zu haben, und auf Umwegen, nämlich über die Versorgung der unterernährten Kinder in der kleinen Klinik, kam die Produktion der ferme ja auch der eigentlichen Arbeit des Instituts zugute.

      Es war gewiß ein kostbares, wenn auch erschreckend kostspieliges Erbe, das dem jungen Staat mit der Unabhängigkeit in die Hand gefallen war. Kostspielig nicht zuletzt durch die weitläufige Behaglichkeit und geselligen Einrichtungen, die der Gründungs-direktor offenbar als unumgängliche Voraussetzungen für wissen-schaftliche Tätigkeit angesehen hatte: ein Gästehaus mit vielen über einen hübschen Park am Hang verstreuten Pavillons, fünfunddreißig Villen mit großen Gärten für die Europäer und für die Afrikaner wenigstens ein Angestelltendorf mit zahlreichen Häuschen, zwei Schulen, eine Krankstation, Klubhaus und zwei Kirchen – das alles will unterhalten sein. Es hat aber auch von jeher den nachkolonialen Machthabern imponiert, von denen sich nur wenige ein Bild der eigentlichen Aufgabe des Instituts machen konnten. Wer an den übertriebenen Luxus Hand anlegen wollte, stieß bei ihnen auf wenig Gegenliebe. Es war besser, nicht zu berechnen, wieviel Arbeiter und Angestellte am Institut auf einen Wissenschaft-ler kamen. Man hätte nur graue Haare davon bekommen, und än-dern konnte man es doch nicht.

      Vor der Unabhängigkeit entfaltete das Institut eine rege wissen-schaftliche Tätigkeit. Freilich verführten die Möglichkeiten, sich innerhalb seiner Grenzen behaglich auszuleben, viele der europä-ischen Insassen und ihre Familien dazu, von der Umgebung kaum Notiz zu nehmen. Sie verließen das Institut sozusagen nur im Wagen, und lediglich, um sich auf eine andere Insel der europäischen Zivilisation zu begeben, in die Stadt oder zu Freunden auf eine Plantage.

      Den Vogel schoß ein Flame ab, der bereits acht Jahre am Institut gearbeitet hatte, als wir ankamen. Er war noch nie auf einem ‚Eingeborenen‘markt gewesen. Er hatte noch nie den Fuß ins Stam-mesland gesetzt, das das Institut von allen Seiten umschloß. Er hatte abenteuerliche Vorstellungen über das, was hinter seinem Garten-zaun lag. Er war aufrichtig um unser Leben besorgt, als wir dort zwischen Bohnen und Bienenkorbhütten einen kleinen Spaziergang machten. Er hat auch in den nächsten zehn Jahren nicht gewußt, wie ein Sorghofeld aussieht, geschweige denn ein einheimisches Gehöft. Er ist in der ganzen Zeit, die wir am Institut verbracht haben, nie einen Schritt über seinen Gartenzaun hinausgegangen.

      Die Anreise oder wie man es nicht machen soll

      Der Neuling hat es nicht leicht, besonders wenn er sich auf dem Weg zum Kongo bereits siebzig Kilometer vor Nairobi mit seinem Kombi (für solche, die den Wagen unter dieser Bezeichnung nicht mehr kennen: ein Minibus von VW) überschlägt und unterhalb der Straße in weichem Schlamm wieder auf die Räder zu stehen kommt.

      Zum Glück war ich allein. Meine Frau und mein Söhnchen sollten in einigen Monaten mit dem Flugzeug nachkommen, was sie ohne weitere Vorkommnisse auch taten. Ich war mit dem Schiff von Triest nach Mombasa vorausgefahren. Man hat Zeit, sich an die immer dunkler werdende Menschheit zu gewöhnen. Natürlich hat man schon vorher Schwarze gesehen, aber in Mengen waren sie schon beeindruckend, besonders wenn man auf dem Weg in ein Land war, das sich wegen seiner katastrophalen Zustände einer traurigen Berühmtheit erfreute.

      Die Straße von Mombasa ins Hochland hinauf wurde gerade asphaltiert. Mehr als dreihundert Kilometer waren noch Erdstraße und nicht allzu breit. Sie lief eher wie ein Fußpfad durch die herrliche wilde Vegetation des Tsavoparks, der damals noch voll großer Baobabbäume war, die inzwischen einer Elefantenüberpopulation zum Opfer gefallen sind. Immer wieder standen Schilder am Weg, die vor überquerenden Elefanten warnten, aber es kam nie einer. Die Fahrbahn war voller Löcher und führte, wie die Erdstraßen im früheren britischen Ostafrika oft, ohne Rücksicht auf das Gelände schnurgerade durch das Land. Immer wieder ging es schwindel-erregend hinunter, und unten im Tal hatte man das Gefühl, gegen eine Wand zu fahren, so steil führte die Straße wieder nach oben. Nach kurzer Visite eines winzigen Stücks Tsavopark, wo mir die Fülle der Antilopen, Vögel, Elefanten und gigantischen Mistkäfer den Atem verschlagen hatte, war ich erst mittags von Voi aufgebrochen. Ich war müde und abgehetzt, als ich siebzig Kilometer vor Nairobi auf den Asphalt kam – wenige Augenblicke später war ich wieder hellwach und mein Wagen nach allen Himmelsrichtungen verbeult und ge-faltet.

      Ich darf mich nicht beklagen. Ich war unverletzt. Mein Umzugsgepäck war zwar durcheinandergewirbelt, aber offensichtlich unbeschädigt. Selbst die Kameraausrüstung, die auf dem Sitz neben mir ausge-breitet gewesen war, war zwar überall hingeflogen, aber noch intakt. Und der Motor sprang an, als ich den Zündschlüssel drehte.

      Trotzdem ist es kein gutes Gefühl, in einem neuen Kontinent gleich am ersten Tag neben seinem zerbeulten Auto im Schlamm zu stehen und nicht zu wissen, ob es noch weiterführe, wenn man es nur erst wieder oben auf der Straße hätte. Inzwischen war es stockfinstere Nacht, so schwarz, wie es sie in unserem lichterreichen Europa über-haupt nicht mehr gibt. Nur eine einsame Birne leuchtete irgendwo weit weg, über einer Stalltür vielleicht, denn im Licht meiner Schein-werfer sah ich, daß ich an einem Stacheldrahtzaun stand, und im Dunkel konnte ich die Umrisse einiger Kühe wahrnehmen.

      Erleichtert sah ich nach einiger Zeit die Lichter eines anderen Fahrzeugs aufleuchten. Es hielt auf mein Winken auch wirklich an. Der arabische Chauffeur verstand zum Glück Englisch und besah sich meinen Kombi. Dann drehte er sich um und fragte in aggressivem Ton:

      „Liebst du Nasser?“

      Es wäre unhöflich und unter den gegebenen Umständen auch unklug gewesen, Nasser nicht zu lieben.

      „Da hast du Glück. Wenn du Nasser nicht geliebt hättest, hätte ich dir jetzt nicht geholfen.“

      Er ließ von seiner Ladefläche eine erstaunliche Menge fröhlicher Schwarzer herunterspringen, die erregt in Kiswaheli auf mich einre-deten. Ich antwortete ihnen auf Italienisch, weil das von den mir geläufigen Sprachen klanglich noch am ähnlichsten war, eine ebenso sinnlose wie unwillkürliche Reaktion. Aber sie waren damit zufrieden. Mit Hilfe eines Seils und viel Gelärme stand mein Wagen bald wieder auf der Straße.

      Der Araber hätte gern mehr für mich getan und drängte mich, doch mit nach Nairobi zu kommen. Am nächsten Morgen könne ich Wagen und Gepäck holen. Da aber alle Türen des Kombis verbogen und nicht mehr verschließbar waren, wollte ich lieber selbst mit meinem Auto nach Nairobi zu hoppeln versuchen. Verstimmt fuhr der freundliche Mann davon.

      Mit dem Ersatzkeilriemen band ich die widerspenstige Tür neben dem Führersitz fest und fuhr los. Die rechte Hinterachse war verbo-gen. Das Auto hoppelte in der Tat, und der Reifen rieb sich an der Karosserie. Nach fünf Kilometern war er so heiß, daß er mit lautem Knall seinen Geist aufgab. Unter der Lampe über dem Führersitz – der einzigen, die von der Innenbeleuchtung noch funktionierte - las ich die Gebrauchsanweisung für den Radwechsel, den ersten meines Lebens, und brachte tatsächlich im Finstern rein taktil das Ersatzrad dorthin, wo es hinmußte. Mit ihm fuhr ich vorsichtiger. Ich ließ es alle Viertelstunde abkühlen, was es mit leisem, manchmal mehrstim-migen Singen tat.

      Kalt, eiskalt ist das Hochland von Kenya, besonders um Mitternacht und wenn der Fahrwind zu verbogenen Türen und zerbrochenen Fenstern hereinzieht. Durchgefroren kam ich schließlich um drei Uhr morgens in Nairobi an. Es war wie ausgestorben. Ich fuhr mit meinem bemerkenswerten Wagen kreuz und quer durch die Stadt. Kein Hotel mehr offen, nirgends jemand, der sich über meinen Kombi hätte wundern und mir hätte Auskunft geben können.

      Ich geriet wieder aus dem Stadtkern heraus in eine Villengegend, mit Universität und Museum, als ich endlich ein kleines Hotel fand, in dem der Portier noch wach war und Zeitung las. Die zerfetzten und unwahrscheinlich in die Länge gezogenen Ohrläppchen, Erinnerung an längst abgelegten schweren Stammesschmuck, wiesen ihn als Kikuyu aus und bildeten einen seltsamen Kontrast zu seinem würdevollen schwarzen Anzug. Er brach beim Anblick meines Wagens in laute Lobpreisungen Gottes aus, der mich so wohl bewahrt habe – wohl wahr. Meine eigene Dankbarkeit war allerdings im Strudel der Ereignisse etwas auf der Strecke geblieben.

      Es war keins der großen Hotels,