Vor lauter entsetztem Umschauen zu mir, bemerkt der Arzt in seiner Panik nicht, dass sich soeben die Eingangstüre zur Praxis öffnet und ein 2-Meter großer Mann, mit einem Hund eintreten will. Der Arzt rennt mit dem Kopf an die geöffnete, stabile Eingangstüre und landet, das Gleichgewicht verlierend, auf dem Boden. Ich denke der Bursche wird bestimmt zweimal aufschlagen: Das erste Mal jetzt auf dem Boden und dann zum zweiten Mal im Krankenhaus, wenn er die Augen, nach seiner Ohnmacht wieder aufschlägt.
Ich bin vollends mit meinem Werk zufrieden und lasse von dem Ohnmächtigen ab, denn mit einem Gegner kann ich kämpfen, aber was ist schon an einem am Boden liegenden Zweibeiner dran, der total weggetreten herumliegt? Meine Mitbewohner sind immer noch nicht aus der Praxis gekommen, während sich jetzt die Sprechstundenhilfe an der Annahme um ihren Chef kümmert. Warum sie dabei grinst und auch die MTA die mittlerweile dabeisteht auch nicht unglücklich aussieht, ist mir nicht bekannt, aber wenn dieser Stinkstiefelarzt sich gegenüber seinen Mitarbeitern genauso verhält wie gegenüber seinen Tier-Patienten, kann ich mich über ihre mangelnde Betroffenheit nicht wundern. Die Sprechstundenhilfe höre ich sogar noch leise sagen: „Sieben, acht, neun, … aus. K.o. in der ersten Runde“! Mit etwas stolz geschwellter Brust bin ich dann fast schon majestätisch aus der Praxis geschritten und langsam, auf Umwegen nach Hause gegangen. Ich hoffe doch dass ich bei diesem Tierarzt nicht mehr auf der Matte stehen muss. Zudem wurden von mir die Sterilisationsoperationen meiner Katzendamen gerächt und bestimmt noch weitere Verbrechen an der Würde von Katzen und anderen Tierarten. Um es mit La Rochefoucauld in den „Unterdrückten Maximen“ zu sagen: „Um immer gut sein zu können, ist es erforderlich, die anderen davon zu überzeugen, dass sie uns gegenüber niemals ungestraft böse sein dürfen“.
In meinem Domizil angekommen, habe ich mich zwischen Rückseite der Couch und Wand gelegt, denn ich will doch meinen beiden Mitbewohnern nicht zu früh verraten, dass ich schon vor ihnen angekommen bin. Kurz nach mir sind die beiden eingetreten: „Martina, hast Du das gesehen, wie das Vieh verrückt gespielt hat und plötzlich wach geworden ist?“
„Manfred, vielleicht sind das Nebenwirkungen der Tabletten und des flüssigen Mittels das wir Coon verabreicht haben. Bei dem Tierarzt brauchen wir uns mit Sicherheit nicht mehr sehen zu lassen. Nach den Vorkommnissen im letzten Jahr hat er uns nur sehr widerwillig einen Termin gegeben. Das können wir uns in Zukunft ganz abschminken. Alle Anwesenden wurden mit ihren Tieren, von den Sprechstundenhilfen heimgeschickt und die haben, für dringende Fälle, gleich noch die Anschrift für einen anderen Tierarzt, in der Nachbarstadt gegeben. Aber wie die Leute auch nach dem ersten Schock gelacht haben und selbst die Mannschaft des Arztes hat vor Lachen Tränen in den Augen gehabt. Besonders beliebt scheint der Arzt wirklich nicht zu sein. Selbst die herbeigerufenen Sanitäter haben sich Zeit gelassen und sich fast kaputtgelacht, als wir und die MTA den Vorfall beschrieben haben.“ Martina, überlege doch mal, wenn uns jetzt der Arzt verklagt, was machen wir dann?“ Dann ist Schweigen im Raum.
Einige Zeit später bin ich einfach durch das Haus gelaufen, als wäre überhaupt nichts vorgefallen. Nur bei der Aufnahme von Essen und Wasser habe ich ab jetzt immer sehr, sehr vorsichtig nachgesehen, damit mir keiner meiner beiden Giftmischer etwas unterschieben kann.
Am letzten Tag des Monats bin ich dann zu Mathias und Ingrid gegangen. Aus einem angelehnten Küchenfenster dringt Kochdunst, der auf eine vorzügliche Nahrungszubereitung schließen lässt. Ich melde mich mit einem lauten Miauen an, die blonde Ingrid öffnet lachend die Türe und ruft ins Haus: „Mathias, Bärchen, sieh mal mein schwarzer Prinz ist da und scheint etwas Hunger mitgebracht zu haben. Wie mittlerweile in der ganzen Stadt bekannt ist, muss er ja bei seinen beiden Mitbewohnern immer aufpassen, dass sie ihn nicht zu betäuben versuchen, um eine Kastration durchführen zu lassen. Haben wir noch etwas für einen hungrigen, notleidenden Kater übrig“? Die dröhnende Antwort kommt rasch: „Natürlich mein Zuckerschneckchen. Für Deinen Helden habe ich immer etwas da. Das ist mir schon alleine das Gelächter im ganzen Ort wert, weil der Kater den Tierarzt gründlich vermöbelt hat. Es ist so schade dass ich nicht live dabei war. Das hätte ich so gerne live miterlebt“! Nachdem ich mich in der Küche hingesetzt habe, informiert mich Mathias über das Essen: „Blondchen und ich essen gekochten Wildreis sowie eine Gemüsekombination aus Paprikastreifen, angerösteter Sesamsaat mit gebratenen Ingwerwurzelwürfelchen, blauen Zwiebeln und einer kleinen Chilischote. Dazu gibt es Fisch aus Norwegen. Endlich ist der Skrei wieder da. Im Winter kommt der Kabeljau aus der eisigen, sturmgepeitschten Barentssee, zum Laichen in die wärmeren Gewässer um die Lofoten, einem Gebiet im nördlichen Einflussbereich von Norwegen. Das ist eine Strecke von über 800 km, die der Kabeljau auf seiner weiten Reise zurücklegen muss. Nur in den Wintermonaten von Januar bis April wird er deshalb von der norwegischen Flotte gefangen. Das Fleisch ist geschmackvoll und weiß, vor allem aber besonders fest, weil der Fisch weite Strecken im Meer zurücklegt. Jeder Fang wird genau registriert und hat exakt vorgeschriebene Qualitätsstandards. Es wurde ein Qualitätssiegel kreiert um sicherzustellen dass sowohl die Kühlkette, als auch der Umgang mit dieser tollen Ware optimal umgesetzt wird. Nur Fische im makellosen Zustand bekommen das Qualitätssiegel und nur an speziell lizenzierte Händler geht die Ware. Neben dem tollen Fischfleisch werden auch der Rogen und die Leber von den Kunden sehr stark nachgefragt. Wegen all diesen Gründen gilt der Skrei als edelster Kabeljau auf der Welt“.
Beim Essen darf ich als Kenner feststellen, dass Mathias nicht zu viel versprochen hat, die mit Salbeibutter angebratenen Kabeljaustücke munden mir hervorragend und auch die zurückhaltende Würzung bei meinem Essensanteil kann ich an dieser Stelle nur lobend erwähnen und gestehe, dass mir bereits vor dem Essen das Wasser im Munde zusammengelaufen ist. Als ich dann auch noch das erste Stückchen Fisch zu mir genommen habe, gibt es für meine Begeisterung kein Halten mehr und ich habe vor Aufregung mit dem Schwanz freudige Klopfbewegungen auf den Boden gemacht. Bei Euch Menschen würde das fast einem Begeisterungssturm entsprechen. Doppelt schön wird so eine Köstlichkeit, wenn man nicht befürchten muss artfremde Chemikalien, aus unkalkulierbaren Beweggründen, untergeschoben zu bekommen.
Nach dem Essen wird der Tisch gemeinsam abgeräumt, das heißt Mathias reinigt grob Töpfe, Schüsseln, Teller und Pfannen. Ingrid beseitigt Reste der Mahlzeit in die dafür vorgesehenen Behältnisse für den Abfall und räumt dann die Spülmaschine ein. Ich laufe langsam herum und kontrolliere ob nicht etwas auf den Tischen vergessen wurde, oder ob vielleicht etwas auf den Boden heruntergefallen ist, was noch aufgekehrt werden muss, bevor jemand darauf entweder ausrutscht, oder den Unrat unbeabsichtigt im ganzen Haus verteilt. So hat ein jeder seine verantwortungsvolle Arbeit zu verrichten. Ingrid füllt Pulver und Flüssigkeiten in die Spülmaschine ein und Mathias führt eine Geschirr-Platzierungs-Endkontrolle durch, damit das Maschinenvolumen auch optimal genutzt wird. Ingrid stemmt schließlich resolut ihre Arme in die Seiten und ruft, scheinbar kampfeslustig: „Noch einer aus der Männergilde der sich am Geschirrreinigen beteiligen will und seinen ungefragten Kommentar zum Besten geben möchte“? Ich schaue ganz unschuldig zur Decke hoch und überlege ob die wieder gestrichen werden muss, während Mathias seine Holde packt, hochhebt und ihr einen Atem raubenden Kuss gibt. Dann grinst er schief und ruft zu mir: „Nun Coon, wie findest Du meine kleine Kampfmaus“? Ich sitze und hebe nun meinen rechten Arm, bis meine Pfote an meinem linken Oberarm ankommt, dann senke ich ergeben mein Köpfchen, eine Szenerie wie ich sie in Mantel- und Degenfilmen schon oft gesehen habe. Schallend höre ich zwei Erwachsene loslachen, bis ihnen dicke Tränen über die Wangen kullern.
Als Ingrid wieder zu Atem gekommen ist, wendet sie sich an mich: „Lieber Coon, Deine Heldentat beim Tierarzt hat sich bereits im ganzen Ort herumgesprochen und natürlich ist es immer noch Stadtgespräch. Einige Stammtischbrüder haben sich in geselliger Runde gefragt, ob sie dich nicht vermarkten könnten und Besuchergruppen hierher führen sollen. Ich habe mich mit Mathias abgesprochen und war deshalb gestern noch bei Manfred und Martina. Den beiden haben wir angeboten Dich ihnen abzukaufen. Den Preis sollen die beiden festlegen. Unsere Bedingung war: Du darfst nicht kastriert werden. Durch heutige Informationen auf den Sozialseiten unseres Städtchens habe ich erfahren, dass wir nicht die einzigen sind die Dich sofort von Martina und Manfred loskaufen würden. Horst hat in der Vergangenheit bereits sein Interesse bekundet und auch die alte Lehrerin Gisela ist dazu bereit. Selbst vom Seniorenprojekt in der 1.Querstraße sind einige Interessenten sofort bereit Dich zu nehmen, wenn Du willst“.
Ich