D. Bess Unger

Der Engel mit den blutigen Händen


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vor Schmerz zusammen. Entgegen seinem Ratschlag öffnete sie die Augen und schrie vor Entsetzen auf.

      Sie lag im Freien auf einem kalten Felsboden. Im Zenit eines sternenlosen, dunkelgrauen Himmels standen zwei Monde. Biglias Körper hatte einen Wolfskopf, mit gelben Augen starrte er auf sie herab. Schützend versuchte sie ihre Hände zwischen sich und das Wolfsgesicht zu bringen. Die Haut ihrer Hände war schwarz.

      Als die Finger ihre Nase berührten, erfühlte sie eine langgezogene Schnauze, Fell bedeckte das Gesicht, ihrer Kehle entwich das heißere Keuchen eines gejagten Fuchses. Verzweifelt schloss sie die Augen vor dem Grauen, fühlte unverhofft erneut die vertraute Wärme des Wohnwagens. Voller Dankbarkeit schwebte sie hinein in einen körperlosen Zustand unbegrenzter Entspannung. Tränen der Erleichterung flossen über ihre Wangen. Sie sank in einen traumlosen Schlaf.

      Unbewusst suchte Athina am Morgen den Fixierungspunkt über Biglias linken Augenlid. Erwartungsgemäß sah sie den fünfzackigen Stern aufblitzen, blau leuchtend und so kräftig leuchtend, dass sie die Augen zukneifen musste. »Was ist mit deinem Stern? Warum ist er jetzt blau?«

      »Blau leuchten sie nur zwischen uns Magiern, mein Engel«, erklärte er. Sternenprinzessin nannte er sie nie mehr, dabei hatte sie dieses Kosewort so geliebt.

       18. August, Sonntag, Volos

      Zu guter Letzt war der unvermeidliche Tag gekommen, Biglia musste mit der Sippe weiterziehen. Trauer befiel Athina, wenn sie an die kommenden Nächte dachte, die sie im Bett ohne ihn zubringen musste. Verzweiflung vor den vielen Tagen, die sinnentleert, weil ohne magische Unterweisungen, verstreichen würden. Nicht zuletzt begannen sie Zukunftsängste zu quälen. Als ihr Vater noch gelebt hatte, war sie an ein sorgenfreies Leben gewöhnt. Das war vorbei, jetzt musste sie sich höchstpersönlich um so belanglose Dinge wie Geld für das Überleben kümmern. ›Wäre ich nur an Atridis Stelle!‹, war ihr täglicher Gedanke, ›Ich könnte mein Leben ausschließlich der Magie widmen, wäre frei von allen finanziellen Sorgen.‹

      Die Ängste wurden zur fixen Idee. ›Was, wenn es mir gelänge, diese Streberin an mich zu binden? Als Busenfreundin?‹ Zwar bestand ihre gegenseitige Nichtachtung seit Schulzeiten. Nicht ohne Grund, sie hatte der angeberischen Person eins auswischen wollen und ihren Bruder angestiftet, die vierzehnjährige Atridi in ein Gebüsch zu zerren, um sie zu begrapschen. Dass eine Lehrerin dazugekommen war und ihr schwächlicher Bruder nach einer Ohrfeige sie verpetzt hatte, mein Gott, darüber war doch längst Gras gewachsen!

      Wie vorgehen? »Mit meinen magischen Künsten ist es noch nicht viel Staat zu machen«, stöhnte sie. »Ich muss an die frische Luft, um meinen Kopf freizumachen.«

      Gegen die Abendkühle, die vom Piliongebirge heranzog, warf Athina eine Jacke über die Schulter und ging hinunter zum Hafen. Sie warf einen kurzen Blick zurück. Wie erwartet erhaschte sie ihren Verfolger, der sich hastig in einen Hauseingang drückte. Er stellte ihr schon seit Jahren nach, ein Stalker war er nicht, eher ein schüchterner Verehrer. »Mein Gott, Marios! Wann kapierst du endlich, dass ich in einer anderen Liga spiele«, zischte sie. »Wie kann ein Autoklempner, der mit ölverschmierten Händen herumläuft, die Hoffnung hegen, dass ich mich für ihn interessiere?«

      Klempner in der Mercedes-Werkstatt von Volos? Blitzartig hatte sie eine Idee: Atridis Eltern besaßen ein Auto dieser Marke. Fuhren sie nicht jede Woche über das Piliongebirge, um einer Tante ihren Nachkömmling zu präsentieren? Das war doch eine gefährliche Strecke! Was, wenn die Drei dort einen tödlichen Autounfall erlitten? Langfristig wäre die reiche Erbin in Trauer versunken, zugänglich für den Annäherungsversuch einer mitfühlenden Freundin. Natürlich mit etwas Magie untermauert!

      Bei der Abreise hatte Biglia bei ihr einen Zaubertrank vergessen, der Trank der Hörigkeit, der für Tage den freien Willen in Knechtschaft zwang.

      Sie wandte sich ihrem stillschweigenden Verehrer zu. Gellend pfiff sie durch die Finger. Die Domina gebend befahl sie »Herkommen!« Zögernd verließ der Junge die Deckung, mit gesenktem Blick schlich er herbei.

      Mit unterdrückter Verachtung zwang Athina sich zu einem Lächeln. «Dein Benehmen ist unmännlich«, kanzelte sie ihn ab, wechselte sodann in eine schmeichlerische Tonlage. »Wenn du Etwas von mir willst, sag es frei heraus! Vor mir brauchst du keine Angst zu haben.«

      »Darf ich dich zum Eis einladen?«, kam es zaghaft aus ihm heraus. »Bei Jam

      »Dem vornehmen Café in der Argonauton unten am Hafen?« Da Marios nickte, fasste sie ihn, der sein Glück nicht fassen konnte, an der Hand und zog ihn die Kartali hinunter und bog in die Argonauton ein.

      Die prächtige Uferstraße war gesäumt von den beigefarbenen Sonnenschirmen der zahlreichen Restaurants und Cafés. Zwischen den Schirmen standen Palmen, die mehrstöckigen Gebäude schirmten die Flaniermeile der Touristen vor dem Lärm der quirligen Stadt ab.

      Jetzt am Sonntagmorgen war im Jam noch nicht viel los. Athina steuerte auf eine mit gelben Stoffkissen belegte Zweierbank zu. »Bitte setz dich mir gegenüber«, bat sie Marios, der neben ihr Platz nehmen wollte. »Da können wir uns besser ansehen.« Sie ließ ihren Blick zur Reede hingleiten, die von den Jachten der Reichen gesäumt war. ›Eine von denen gehört Atridis Eltern‹, dachte sie. ›Mit der werde ich bald die Ägäis unsicher machen.‹

      »Was für ein Eis möchtest du?«, fragte Marios. Erschrocken schielte er auf die Preise in der Karte.

      Athina stand auf. »Wähl du aus, ich muss mal für kleine Mädchen«, sagte sie. Im Weggehen rief sie ihm »Und bestelle zwei Aperol, die gehen auf meine Rechnung!« zu. In der Toilette streifte sie ihren Slip ab und steckte ihn in die Handtasche.

      Zufrieden löffelte Mario sein Eis. Er staunte noch immer über die Vorsehung, die ihn mit dem unfassbaren Glück überrascht hatte, im Beisein des schönsten Mädchens von Volos hier an der Hafenpromenade zu sitzen. ›Würde Athina sich jetzt vorbeugen‹, überlegte er, ›könnte ich ihr heimlich in den Ausschnitt schauen.‹ Er seufzte. ›Doch das wäre zuviel des Glücks.‹

      Athina gewährte im nicht den Blick auf ihren Brustansatz. Im Gegenteil, sie lehnte sie sich im Sessel zurück und Marios Hoffnung war dahin. Doch Ungeheuerliches geschah: Die Schöne hob ein Bein und stellte den Fuß auf die Sitzfläche. Ihr ohnehin zu kurzer Rock rutschte nach oben und entblößte eine Scham, die bis auf einen Streifen gekräuselten Blondhaars rasiert war. Als sie das andere Bein leicht zur Seite kippte, öffneten sich feuchtrosa glänzende Schamlippen. Seelenruhig, ihrer Blöße dem Anschein nach nicht bewusst, schlürfte sie ihren Aperol.

      Mit offenstehendem Mund starrte Marios auf die Verheißung grenzenloser Glückseligkeit. Einen derartig erregenden Anblick hatte ihm bisher keines seiner zahlreichen Pornohefte geboten. In Gedanken sank er auf die Knie, sein Mund strebte hin zu dem Nektarbrunnen, seine Zunge wollte teilen, eindringen und schmecken. Er schreckte auf, keuchend presste er die Hand auf sein Geschlecht. »Oh«, stöhnte er, »Ich muss zur Toilette, dringend.«

      Gleichgültig erhob sich Athina, strich ihren Rock glatt. Zehn Tropfen vom Trank der Hörigkeit ließ sie in Marios’ Aperol fallen.

      Verlegen kam er zurück, er schien erleichtert, dass Athina sich unbefangen gab und keine peinlichen Bemerkungen machte.

      »Trinken wir auf unsere Freundschaft«, lächelte Athina, hob ihr Glas und prostete ihm zu. »Ex.« Für Minuten saßen sie schweigend nebeneinander. Athina schob Marios einen Zettel zu. »Lies das!«

      »Vasilis Papaluka, Nea Ionia, Symi 4«, murmelte Marios. »Ich kenne den Mann, er ist bei uns Kunde. Was ist mit ihm?«

      »Mit ihm ist nichts, jedoch mit seinem Auto.«

      Verständnislos starrte Marios sie an.

      Athina war sich sicher, dass der magische Trank seine Wirkung entfaltet hatte. »Ich befehle dir, Vasilis Papaluka anzurufen. Du sagst, wegen einer Rückrufaktion müsse die Bremsanlage seines Wagens kontrolliert werden. Du holst den Wagen persönlich ab und manipulierst die Bremsen derart, dass sie bei einer Talfahrt versagen. Wie wirst du das anstellen?«