D. Bess Unger

Der Engel mit den blutigen Händen


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      Nackt kuschelten sie nach ihrem Liebesakt in gelben Kerzenlicht unter warmen Fellen. Eine Frage quälte Athina schon lange: Wenn Biglia unverbrauchte magische Energie brauchte, würde er sich – ohne auf ihre Gefühle Rücksicht zu nehmen – nach einer jugendlichen Sternenstaubträgerin umtun, um mit ihr zu schlafen. Was würde sie im gleichen Falle machen?

      »Wenn mein Sternenstaub verbraucht ist, woher beschaffe ich mir Ersatz? Und wie?«

      Der Hexer blickte sie an. »Langfristig darfst du nicht hier in Volos Wurzeln schlagen! Ziehe, so wie ich, kontaktfreudig durch die Welt. Wenn es dir an Geld fehlt, suche die Freundschaft der Reichen. Erweitere deine Suche bis in fernliegende Länder. Lege dir auf deinen Reisen eine Liste der jugendlichen Männer an, die Träger unberührten Sternenstaubs sind. Wenn du in eine Notlage kommst, ziehe die Liste zurate und wähle einen passenden Jüngling aus. Du vereinigst dich körperlich mit ihm, entreißt ihm seinen Sternenstaub und aktivierst ihn in dir. Hierfür muss in ihr zumindest noch ein minimaler Vorrat an Sternenstaub vorhanden sein. Warte deshalb damit nicht zu lange.«

      »Ich soll mit anderen Männern Liebe machen?« Athina war fassungslos. »Das macht dir nichts aus?«

      »Nein. Warum auch? Es geht dabei ja nicht um Liebe, es geht um einen rein technischen Akt, der dir helfen soll, deine magischen Fähigkeiten zu erhalten.«

      Im Geheimen beglückwünschte sie sich, die Nähe zur reichen Atridi mit dem Tod ihrer Eltern perfekt vorbereitet zu haben.

      Einen Schwachpunkt in Biglias Vorschlag fand sie sofort: »Wenn ich keinen geeigneten Spender finde, wenn mir nur Frauen und Kinder als Sternenstaubträger über den Weg laufen? Wie gehe ich dann vor?«

      Biglia zögerte mit einer Antwort, als Weißmagier hatte er seit geraumer Zeit erkannt, dass seine Geliebte trotz ihrer engelhaften Erscheinung die Anlagen zu einer Schwarzmagierin in sich trug.

      Athina sah ihn liebevoll an, ihre Hand wanderte über seine Brust, seinen Bauch entlang hinunter zu seinem Glied. Mit kräftiger Hand begann sie es zu massieren.

      Berauscht vor Wonne stöhnte er auf und stellte alle Bedenken zurück. »Es gibt noch einen anderen Weg, an unberührten Sternenstaub heranzukommen«, flüsterte er und seine Stimme erstarb.

      Athina verstärkte ihr Bemühungen.

      »Ich bin diesen schweren Weg noch nie gegangen, hoffentlich wirst auch du ihn nie beschreiten müssen«, sagte er endlich. »Du kannst einen sternenstaubträger – Mann, Frau oder Kind – auch mit einer Beschwörung exekutieren, um ihm seine innewohnende Energie zu entreißen. Der Fluch ist verdammt schwierig auszuführen, auch nicht risikofrei für den Magier persönlich! Er gelingt nur, wenn man noch einen umfangreicheren Vorrat an Sternenstaub besitzt.« Jetzt, wo er mit der Sprache herausgerückt war, bedauerte er seine Worte.

      Athina gab sich den Anschein, schockiert zu sein. »Du meinst ... Das ist nicht dein Ernst! Ich müsste ein Kind oder eine Frau umbringen?«, stammelte sie.

      »So ist es. Dir bleibt keine andere Wahl. Du musst einen Mord begehen!«

      ›Ich will mein Leben als Magierin enden, nicht als gewöhnlicher Mensch‹, nahm Athina sich vor. ›Jemanden den Tod zu bringen, was ist schon dabei? Ich habe es längst getan und kann es wiederholen.‹ Sie versuchte, ihrer Stimme einen gleichgültigen Ton zu geben. »Gehört der Fluch zu meiner Ausbildung?«

      »Ein Magier muss alle Flüche kennen, auch solche, die er nie anwenden wird.«

      Athina war mit der Antwort zufrieden. Sie blickte zu Kali hin. »Und Tiere? Wie ist es mit deiner Wölfin? Woher bekommt sie jungfräulichen Sternenstaub her? Von Menschen oder Tieren?«

      Biglias Augen verdunkelten sich. Er legte seine Hand auf den Kopf der Wölfin, die neben ihm ruhte und ihn mit unergründlichen gelben Augen liebevoll ansah. »Meine treue Begleiterin, woher bekommst du ihn? Ich weiß es nicht. Und ehrlich gesagt, ich bin froh darum!«

      »Tragen alle menschlichen und tierischen Sternenstaubträger den gleichen Sternenstaub in sich?«

      »In den Legenden der Roma wird erzählt, es gäbe Sternenstaub von auserlesener Reinheit, der schon vor der Geburt des Lichtes existiert haben soll. Seine Träger sollen keinen weißen, sondern einen schwarzen Stern tragen. Der Schwarze Sternenstaub soll es seinem Träger ermöglichen, den Tod zu besiegen, gleichgültig, in was für einer Gestalt er kommt. Im Rahmen der Heilung muss ein Teil dieser speziellen magischen Energie auf den Todgeweihten übertragen werden. Der Fluch der guten Tat ist freilich, dass sich der Hexer damit einen potenziellen Konkurrenten erschafft.«

      Athina war elektrisiert. »Heiliger Strohsack, mit dieser Fähigkeit könnte man sich ja über alle Menschen erheben«, sagte sie träumerisch.

      »Vorsicht, bleibe immer auf dem Teppich«, ermahnte Biglia. »Ich hörte von den Alten, dass vor über zweihundert Jahren eine Schwarze Sternenstaubträgerin als Hexe bei einer unserer Sippen gelebt habt. Ihr Leben ist in einer Tragödie geendet.«

      »Wieso das? Mit ihrer gottähnlichen Macht?«

      »Man brachte unseren Schmied zu ihr, ein Bär hatte ihn übel zugerichtet, keinen Pfifferling gab man für sein Leben. Seine Fähigkeiten waren wertvoll für unseren Stamm, mit Schwarzen Sternenstaub konnte die Hexe ihn heilen. Am nächsten Tag war er verschwunden. Monate später kehrte er wieder, seine magische Energie war initiiert, er war zu einem kolossalen Hexer geworden. Die Arbeit als Schmied passte ihm nicht mehr, er beanspruchte die Führung der Sippe. In einem Kampf auf Leben und Tod verloren beide Träger des Schwarzen Sternenstaubs ihr Leben. So viel zu der gottähnlichen Macht.«

      14. Juli, Mittwoch - elf Jahre später

      Gelangweilt blätterte Athina die Tageszeitung Agelioforos von hinten nach vorne durch. Ihre Freundin Atridi war für einige Tage in ihr Sommerhaus ans Meer gezogen und Athina hatte abgelehnt mitzukommen, denn diese Bleibe war für ihren Geschmack nicht glamourös genug. Ihr Blick blieb an einer Nachricht hängen: Skelett in Höhle gefunden. Darunter war ein Ring abgebildet. Ihr Herz blieb fast stehen, das war der Ring, den sie Biglia vor fünf Jahren geschenkt hatte! ’Wer kann Angaben zu dem Besitzer des Rings machen? Bitte bei der Polizei melden!’

      Vor drei Jahren hatte sie ihren geliebten Hexer zuletzt gesehen, daraufhin war er wie vom Erdboden verschluckt. Athina hatte sich auf die Suche nach ihm gemacht, umherziehende Roma befragt, war bis nach Rumänien gezogen. Bei ihren Fahrten über das ägäische Meer hatte sie auf den zahlreichen griechischen Inseln nach ihm geforscht. Umsonst, es war, als hätte es ihn nie gegeben.

      Sie eilte zur Garage hinunter, mit Bedauern musste sie feststellen, dass Athina den roten Austin-Healey Sprite mitgenommen hatte, ihr blieb nur der silberfarbene Audi.

      Während der Fahrt zur Polizei gingen ihr die letzten gemeinsame Jahre mit Biglia durch den Kopf: Immer wenn er für einige Tage aufgetaucht war, hatte sie sich bei Atridi abgemeldet und Krankenpflege bei ihrer Mutter vorgetäuscht. »Ich muss bei der Jungfrau Maria Punkte sammeln«, hatte sie gescherzt. »Hoffentlich hilft mir das, wenn ich dereinst vor dem Himmelstor stehe.« Zwölf Jahre lang war das so gegangen. Tagsüber hatte Biglia sie in der Magie unterwiesen, des Nachts hatten sie Sex gehabt. Dank des Sternenstaubes waren die Liebesakte von einer Intensität, von der nichtmagische Wesen nur träumen konnten.

      Beflissen erhob sich der diensthabende Polizist, als Athina das Zimmer betrat. Mit einer solchen Schönheit hatte er nicht oft zu tun.

      »Mein Name ist Athina Drosos. Ich komme wegen des Zeitungsartikels«, lächelte sie ihn an und schob ihm den ausgeschnittenen Artikel zu. »Ich habe den Ring erkannt. Er muss meinem Onkel Sotiris Vissi gehört haben. Er ist ein Familienerbstück. Schauen Sie nach, im Innern müssen sich die Initialen A. D. befinden.«

      Der Polizist öffnete eine Schublade, entnahm ihr einen Umschlag und ließ den Inhalt auf die Schreibtischfläche gleiten. Biglias Ring. Er ging zum Fenster, drehte ihn zwischen den Fingern und studierte die Innenseite.

      »Stimmt«, sagte er.