geworden? Bei ihrem Lebenswandel? Ein Kind passt zu der doch wie die Faust auf’s Auge. Die Blonde muss somit ihre stadtbekannte Freundin sein, ohne die sie keinen Schritt tut. Vor mir steht das berüchtigte geile A-Duo!‹
Die zügellosen Gerüchte, die über die Frauen umliefen, waren bis in sein Dorf gedrungen. Man munkelte, es seien Lesben. Mehrmals im Jahr sollten sie mit der Familienjacht der Papalukas auf große Fahrt gehen. In den angesagten Häfen von Skiathos, Mykonos, Santorin, Piräus, Kos und Rhodos sollten sie Jagd auf gutaussehende Sexpartner machen. In der Regenbogenpresse las man von ausufernden Partys in Diskotheken, von Einladungen auf Jachten berühmter Hollywoodgrößen, von Flirts mit Millionären und Sängern. Man hörte von Reisen in die reichen Golfstaaten, ins südliche Afrika, Neuseeland und Australien.
Dass Athina ihre schlechte Laune an dem Dorftrottel ausließ, war verständlich. Sie hatte seit einiger Zeit das unbestimmte Gefühl, dass ihr Einfluss auf die reiche Freundin ihr allmählich entglitt. Zum einen machte Atridi sich in der Rechtsanwaltskanzlei immer unentbehrlicher, zum anderen war Lena, die einjährige Tochter ihres abgöttisch geliebten Bruder Filippos, ins Spiel gekommen.
Seit der Geburt des Balges hatte das Baby Atridi voll in Beschlag genommen. Die Kreuzfahrten mit der Nemesis waren spärlicher geworden, die langgeplante Tour nach Nepal war auf die lange Bank geschoben worden. Das wurmte Athina mächtig, das Aufspüren von Sternenstaubträgern glich immer mehr der Suche einer Nadel in einem Heuhaufen. Weitläufige Hoffnung hatte sie darauf gesetzt, im Himalaya auf Träger unberührter magischer Energie zu stoßen. Ihr Vorrat ging allmählich zu Neige, Atridis Körper schien immun gegenüber ihrer Unterwerfungsmagie zu werden, immer höhere Dosen an Sternenstaub mussten investiert werden.
Und das war nicht ihr einziger Kummer gewesen! »Schau, meine Nichte! Ist sie nicht niedlich?«, hatte Atridi an dem Morgen geflötet, als sie ihr Lena erstmals präsentierte.
Pflichtschuldig hatte Athina das Kind angelächelt. Nur mit Mühe hatte sie einen Aufschrei unterdrücken können. Genau über der rechten Augenbraue des Babys war ein fünfzackiger Stern aufgeblitzt, leuchtender noch als der von Biglia, wenn er mit Sternenstaub proppenvoll aufgeladen war! ›Mein Gott, das Kind trägt fantastisch viel unberührten Sternenstaub in sich‹, wurde ihr schlagartig bewusst. Nicht auszudenken, wenn das älter gewordene Balg ihren Stern sah und es brühwarm ihrer Tante erzählte! Das würde Getuschel geben, Mutmaßungen und Verdächtigungen würden in die Welt gestreut, ihr sorgfältig gehütetes Geheimnis könnte in Gefahr geraten, entdeckt zu werden. Ihre Freundin war nicht auf den Kopf gefallen, sie konnte eins und eins zusammenzählen.
»Ich kenne dich doch«, hörte sie Atridi zu dem Tölpel sagen. »Du bist Vasilios, der Schulfreund meines Bruders.« Sie gab dem verlegen wirkenden Burschen die Hand und zog ihn zum Kinderwagen hin. »Das ist Lena, seine Tochter, mein Patenkind.«
In Gegenwart dieser verrufenen Frauen war Vasilios nicht wohl in seiner Haut. »Schamlose Weiber sind das«, hatte seine Mutter gezetert und dreimal ausgespuckt. »Nichtswürdige Huren! Dabei war Atridi in seinerzeit Jahren ein nettes Mädchen. Ich denke, die blonde Hexe hat sie verführt.« Gerne wäre er mit einem kurzen Nicken davongeeilt, doch unterwürfig näherte er sich dem Kinderwagen und warf einen Blick hinein.
»Ein zauberhaftes Kind, oder?«, fragte Atridi so voller Stolz, als sei sie die Mutter. »Neun Monate alt.« Ein Redeschwall brach aus ihr heraus: »Stell dir vor, mein Bruder wird in Deutschland ein Geschäft übernehmen und seine Frau Ava will einen Catering-Service aufgeziehen. Hast du Ava schon kennengelernt? Sie ist aus den USA, eine Halbindianerin, Navajo, apartes Wesen. Besuch die beiden noch in dieser Woche! Zur Zeit sind sie in Horefto. In meinem Ferienhaus.« Sie unterbrach ihr Wortgewitter und blickte in sein verlegenes Gesicht. »Ich dachte, du würdest studieren? Was treibst du hier? Semesterferien?«
Vasilios dröhnte der Kopf, er hatte nur die Hälfte mitbekommen. »Genau, Frau Papaluka«, sagte er peinlich berührt. Er warf der blonden Athina einen verstohlenen Blick zu und musste trotz aller Warnungen seiner Mutter an einen Engel denken. »Ich habe mit dem Medizinstudium erst begonnen. Morgen fange ich mit meinem Praktikum an. In der Anassa General Clinic in Volos.« Es war ihm sichtlich unangenehm von persönlichen Dingen zu sprechen, er fühlte den abschätzigen Blick der Engelsgleichen auf sich ruhen.
Athina war zu einem abschließenden Urteil gekommen: Weichliche Gesichtszüge, kann einem nicht in die Augen sehen, geduckte Körperhaltung, Outfit eines Hinterwäldlers, Habenichts. Sie schied ihn aus der Menge der für sie achtenswerten Menschen aus. Die war ohnehin nicht umfangreich.
Atridi war verschnupft. »Frau Papaluka? Was soll das? Früher hast du mich geduzt. Belass es bitte dabei.«
›Wie bitte? Ich soll sie duzen? Ja, als Kind hab ich das gemacht. Doch jetzt? Die ist doch mindestens fünfzehn Jahre älter als ich. Schön, wenn sie darauf besteht.‹
Sie setzte ihre Wortkaskade fort: »Schade, dass du ein Mann bist! Wir suchen ein medizinisch ausgebildetes Crew-Mitglied für die Nemesis. Du weißt, der Familienjacht der Papalukas. Doch leider, männliche Wesen dulden wir auf dem Schiff nicht! Nächste Woche brechen wir unseren jährlichen Insel-Törn durch die Ägäis auf. Frag am besten eine deiner Studienkolleginnen! Unter Umständen hat eine Lust mitzukommen?«
›Um Himmelswillen, ich soll einer Kommilitonin empfehlen, ihren Fuß auf dieses Lotterschiff zu setzen?‹ Er legte eine Hand an die noch immer leicht pochende Stirn und streichelte mit der anderen Lena über die Backen. Das Baby verzog das Gesichtchen zu einem Lächeln.
»OK, Atridi, ich werde mich umhören.« Die ungewohnte Anrede Atridi kam ihm zögerlich über die Lippen. »Entschuldigt, ich habe es eilig.« Unhöflich machte er kehrt und eilte davon.
»Besuch meinen Bruder! Nicht vergessen!«, rief Atridi ihm hinterher.
Die Begegnung mit den beiden attraktiven Mittdreißigerinnen beschäftigte Vasilios noch eine Weile. Im Grunde war ihm diese Atridi Papaluka als sympathische Persönlichkeit erschienen, die umlaufenden Gerüchte über ihre sexuellen Ausschweifungen hielt er jetzt für übertrieben. Auch das andere Gerede konnte er nicht glauben. Nie im Leben war dieser blonde Engel eine Hexe! Na ja, sympathisch war sie ihm nicht vorgekommen, eher eingebildet. Abgesehen davon, als Mann der Wissenschaft glaubte er nicht an Übersinnliches. »Blöder Dorftratsch«, murmelte er. Trotz alledem spukte er aus Vorsicht dreimal aus, um den Bösen Blick, der ihn unter Umständen doch getroffen haben mochte, zu bannen. Man konnte nie wissen.
Vasilios begann den Fußweg zum Bergdorf Zagora hochzusteigen, bei jedem Schritt bergauf wurden die Stiche hinter der Stirn erträglicher. Jetzt sah er die Schönheit der Natur, sah die Ziströschen, die Mauerblümchen, das Immergrün blühen. Er sah an den Berghängen die vereinzelten roten Tupfen der verblühenden Judasbäume und dazwischen Flecken vom lichterfüllten Gelb des Ginsters. Er roch den betörenden Duft der blühenden Robinien, hörte die Vögel, das einsetzende Konzert der Zikaden. Vorsichtiger setzte er seine Schritte, um die Eidechsen nicht bei ihrem Sonnenbad zu stören.
Man vernahm die Glöckchen einer sich nähernden Ziegenherde. »Grüß dich, Vasilios!«, rief eine Stimme von oben zu ihm hinunter. »Ich dachte mir schon, dass es dich heute in die Berge zieht. Der erste Meltemi im Jahr!«
Akylas, der Hirte, war ein Mann von knapp sechzig Jahren. Hochgewachsen und schlank stand er auf seinem Krummstab gestützt da, an der Seite die beiden Hunde Iason und Amira. Er hatte ergrautes Haar, das unter seinem breitkrempigen Hut frech hervorlugte. Ziegen erschienen und rupften Blätter von den Sträuchern.
»Ich habe mir vorgenommen, den Gipfel des Pouri zu erklettern. Dort oben werden die Kopfschmerzen erträglicher sein«, gab Vasilios Auskunft. Er warf dem Hirten einen prüfenden Blick zu. »Hast du was? Du siehst besorgt aus.«
»In der Nacht hatte ich unterhalb des Pouri mein Lager aufgeschlagen. In der Ferne hörte ich Wölfe heulen, gegen Morgen waren die Hunde unruhig. Beim Aufbruch habe ich zwei Tiere vermisst. Schau dich um. Nicht ausgeschlossen, dass die Wölfe sie gerissen haben! Ich kann hier nicht weg, zwei Ziegen werden heute noch werfen.«