frischen Liebe im Weg. Des Weiteren taucht dauernd ihre Nichte Lena aus Deutschland auf. Ein verwöhntes Balg, du kennst sie. An der hat Atridi einen Narren gefressen. Meine Bedürfnisse waren ihr schon seit Jahren gleichgültig.« Mit einer theatralischen Geste wischte sie sich über die Augen. »Dabei bräuchte ich jetzt jemanden, der sich um mich kümmert! Seit meine Mutter nicht mehr bei uns ist ...« Sie stützte ihr Gesicht in die Hände und spielte die Trauernde. Das gesamte Ausmaß der Katastrophe eröffnete sie nicht, alle Details brauchte ihr Neffe nicht zu wissen.
Damis wurde es unbehaglich zumute. In einem derartigen Zustand hatte er die Tante noch nie gesehen. ›Verdammt, und das heute, wo ich sie dringend brauche‹, fluchte er insgeheim. »Sei nicht so pessimistisch«, versuchte er zu trösten. »Das mit der Papaluka wird sich schon einrenken«.
Athina wischte sich über die Augen. »Nein,« sagte sie, »vorbei ist vorbei! Da müsste schon Dramatisches passieren, wenn sich dieser Bruch wieder kitten sollte.« Sie betrachtete Damis, der wie ein Häufchen Elend vor ihr im Sessel kauerte. »Was ist denn eigentlich mit dir los? Warum bist du nicht in Deutschland? Haben dich die Papaluka-Brüder etwa rausgeschmissen?«
»Nein, das ist es nicht«, sagte er lahm und verstummte.
»Was dann? Behandeln sie dich schlecht?«, drängte Athina. »Ich hatte Atridi mit Nachdruck gebeten, dass ihre Brüder meinem Neffen eine ordentliche Arbeit verschaffen. Haben die Beiden das nicht getan?«
»Von wegen ordentlicher Arbeit!«, brauste Damis au. »Für Filippos muss ich um vier Uhr in der Früh auf den Frankfurter Großmarkt, um anschließend in dem blöden Heidelberger Obstladen Kisten zu stapeln. Für Christos bin ich im Mannheimer Geschäft nur Hilfsarbeiter. Ich darf die Drecksarbeit erledigen, die fetten Deals mit den Arabern wickelt er ohne mich ab. Und erst die Frau von Filippos! Eine zickige, eingebildete Amerikanerin, die mich wie Abschaum behandelt. Dabei ist sie eine miese Halbindianerin. Nein, unter einem guten Job verstehe ich etwas anderes. Zumindest lassen sie mir genug Zeit für ein paar Nebenjobs.« Er dachte an die letzten Tage und ihm wurde noch flauer im Magen. »Doch die laufen auch nicht immer bestens.«
»Den Papalukas müsste jemand einen Denkzettel verpassen, um sie von ihrem hohen Ross herunterzuholen.« Athina verfiel in grüblerisches Schweigen. Sie dachte an den Autounfall, den sie vor dreißig Jahren arrangiert hatte und der die drei Papaluka-Kinder zu Waisen gemacht hatte.
Damis schöpfte bei diesen Worten ein wenig Hoffnung. »Okay, da hast du recht«, stimmte er halbherzig zu. »Doch das ist es nicht, was mich herführt.«
Athina blickte ihn scharf an. »Hast du was ausgefressen? Musst du dich verstecken? Bei mir etwa?«
»Nein, nein«, warf er ein. »Noch kann ich mich aus der Sache herauswinden. Aber ich brauche Hilfe.« Er schaute sie flehend an. »Von dir.«
»Wenn du auf Geld hoffst, muss ich dich leider enttäuschen«, fuhr sie ihn ungehalten an. »Du siehst ja, wie und wo ich hause.«
»Geld brauche ich nicht«, beruhigte er sie. »Ich hatte mir von den Papalukas eine Woche Urlaub geben lassen, um hier ein Geschäft abzuwickeln. Hätte mir eine schöne Stange Geld eingebracht. Leider ist die Sache total aus dem Ruder gelaufen.« Konnte, durfte er seiner Tante erzählen, was gestern passiert war? ›Ja‹, entschied er, ›sie muss wissen, in was für ein Schlamassel ich stecke, sonst hilft sie mir nicht.‹
»Ich sollte per Schiff eine Gruppe von Leuten von der Türkei nach Griechenland schleusen. Na ja, Asylanten aus dem Irak. Jede Menge Koks aus Afghanistan hatten wir auch an Bord. Im Verlauf der gesamten Überfahrt war das Wetter furchtbar schlecht, unsere Nerven lagen blank. Gestern ankerten wir in einer Bucht, um die Leute und das Rauschgift an eine andere Crew zu übergeben. Deren Schiff kam und kam nicht, war wohl zu stürmisch. Das ewige Warten ging meinem Kumpel Meletis furchtbar auf die Nerven. Er schnappt sich eine Pistole, öffnet die Ladeluke zum Frachtraum, wo die Iraker eingesperrt waren, zerrt ein Mädchen heraus und verschwindet mit ihr in einem Loch. Als er wieder herauskommt, sagt er, etwas sei schiefgegangen, das Mädchen sei abgekratzt. Das Schwein kann sich mit seinen perversen Sexpraktiken nicht beherrschen. Immer das Gleiche mit ihm.«
Entgeistert starrte Athina ihn an. »Das könnt ihr unmöglich verheimlichen, die Asylanten werden das der Polizei melden«, sagte sie. »Du verschwindest besser sofort aus Griechenland.« Sie erhob sich, aufgeregt lief sie im Zimmer herum.
»Werden sie nicht«, erwiderte Damis. »Setz dich und hör zu, was anschließend passiert ist. Meletis verschwindet und kommt nach einigen Minuten zurück. ’Schnell in das Schlauchboot!’, schreit er. ’Gleich fliegt das Schiff in die Luft!’ ’Bist du übergeschnappt?’, brülle ich zurück. ’Du kannst doch die Menschen da unten nicht ersaufen lassen!’ ’Wir haben keine andere Wahl! Das Mädchen ist hin, die verpfeifen uns! Ratzfatz zum Boot!’ Er rennt los, ich ihm nach. Wir lassen das Boot ins Wasser hinunter und springen hinterher. Im Fallen fällt mir das Rauschgift ein. ›Das Koks! Wir müssen das Koks holen!‹ Zu spät, eine gewaltige Explosion reißt den Bug auf, gurgelnd säuft das Schiff ab!«
»Und was jetzt?«, fragte Athina fassungslos. »Was willst du von mir?«
»Ich muss zum Schiff zurück! Hinuntertauchen und das Zeug bergen. Wenn ich das nicht tue, bringt mich mein Auftraggeber um. Der ist bekannt für seine Brutalität. Die Ertrunkenen sind ihm egal, die mussten schon in der Türkei für ihre Überfahrt bezahlen. Aber das Rauschgift, das geht auf meine Kappe!« Angstvoll waren seine Augen geweitet. »Ich brauche ein Schiff mit Tauchausrüstung. Dabei kannst du mir helfen.«
»Hab ich denn ein Schiff?«, blaffte sie ihn an. »Was redest du da für einen Unsinn!«
»Du nicht, die Papalukas! Ich brauche die Nemesis, ihre Jacht! Mit der kenne ich mich aus, Christos hat mich im letzten Jahr zur Insel Thassos mitgenommen.« Endlich wagte er, die entscheidende Frage zu stellen. »Weißt du, wo deine Freundin die Schlüssel aufbewahrt?«
Lauernd sah Athina ihn an. Für Notfälle wie diesen hatte sie sich einen Zugang zu Atridis Wohnung in der Nea Ionia, Symi 4 offengehalten. Sie wusste, dass die Zweitschlüssel zu Auto und Jacht in der mittleren linken Schublade ihres unverschlossenen Sekretärs lagen. Zurzeit war Atridi in Athen, die Luft also rein! Ohne Gegenleistung würde sie Damis das freilich nicht preisgeben.
6. März, Freitag, Volos
Sechs Tage waren seit dem Besuch ihres Neffen vergangen. Seitdem hatte Athina keinen Fuß vor die Tür gesetzt. Verbittert saß sie in der miesen, ungeheizten Wohnung und starrte aus dem vergitterten Fenster. Nach dem kurzen Gastspiel des Frühlings vom letzten Wochenende war es kalt geworden, es regnete Bindfäden. Dabei hätten an einem pastellzarten Himmel federartige Cirruswolken ziehen und von den Bergen her Frühlingsdüfte heranziehen müssen. Man hätte den Salzduft der schaumbekränzten Ägäis riechen müssen, nicht die Geruchsschwaden des stinkenden Mülls, den die Müllabfuhr seit Wochen vergessen hatte abzuholen.
»Um diese Zeit sind wir immer mit dem Auto zum Shoppen nach Athen gefahren», seufzte sie wehmütig. »Ach, die Dido Boutique in der Apollonos! Atridi und ich haben uns dort mit den neuesten Kreationen eingedeckt.« Ein verträumtes Lächeln umspielte ihren Mund, als sie an die ausufernden Nächte dachte, die den kostspieligen Einkäufen gefolgt waren.
Ihre bisherige Lebensplanung war zusammengebrochen. Siebenundvierzig Jahre war sie alt, hatte nie einen Beruf erlernt, ihre Mutter war vor acht Wochen gestorben, das Elternhaus hatte der Schulden wegen verkauft werden müssen. Mit der Freundschaft zu ihrer wohlhabenden Freundin Atridi, die sie seit Jahren großzügig an ihrem glamourösen Lebensstil hatte teilnehmen lassen, war es endgültig aus. Abgeschnitten war sie von den weltweit gefundenen Spendern von Sternenstaub, jetzt saß sie in diesem Loch hier, das sich Wohnung nannte. Ein grandioser Abstieg!
Und warum das alles? Atridis Geist war im Laufe der dreißig Jahre immun gegenüber ihrer magischen Unterwerfungsmagie geworden. Als ihr die Kontrolle über Atridi entglitt, hatte die augenblicklich nach einem Mann Ausschau gehalten und ihn in dem stadtbekannten Rechtsverdreher Alexis auch ruckzuck gefunden. Dabei war dieser Affe zehn Jahre jünger als Atridi! Doch