D. Bess Unger

Der Engel mit den blutigen Händen


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Mensch und Dämon arrangieren.«

      Um einen Dämon herbeizurufen, musste einer der ungeheueren Flüche eingesetzt werden. Drohend standen ihr die Konsequenzen vor Augen, nahezu ihren kompletten Sternenstaub würde sie verbrennen müssen! Und woher neuen nehmen?

      Fluch? Fluch! Der Atem stockte ihr. Was hatte Biglia vor dreißig Jahren ihr zugeflüstert? ’Du kannst einen Sternenstaubträger mit einem Fluch töten und ihm damit seinen Sternenstaub entreißen.

      Warum hatte sie daran nicht gleich gedacht? Der Sternenstaub des Mädchens würde auf sie übergehen, wenn sie es tötete! In Zukunft musste sie keine Konkurrenz von fremden Magiern mehr fürchten. Glücksgefühle begannen jede Zelle ihres Körpers zu durchströmen, ihr war zumute, als schwebe sie über den Wolken.

      Wie die Verwünschung gestalten, damit der Sternenstaub in sie einfließen würde? Stunde um Stunde saß Athina da. Die Hände hatten den Hexenträger umpackt, tiefer und tiefer bohrten die Krallen sich in die Haut, ihr Blut floss und floss, versickerte hinein in die ausgetrockneten Herzen der Hähne. Den Schmerz nahm sie nicht wahr. Die Erinnerung an ein Gespräch mit ihrem Geliebten stieg in ihr auf. ’Wenn du jemandem mit Gewalt seinen Sternenstaub entreißen willst, musst du ihm einen grausamen Tod bereiten. Unterstütze den passenden Fluch, indem du eine weiße und eine schwarze Taube opferst.

      ›Ich muss Zosimas sofort eine Nachricht schicken. Auf der Stelle soll er die Vögel besorgen und eine Axt mitbringen. Noch in dieser Nacht gehe ich zum Kreis der Verfluchung. Ich werde aus der Dunkelwelt einen Dämon herbeirufen. Unmerklich wird er sich an das Mädchen anklammern, wird seinen Todessirup in sie einträufeln. Im Sommer, wenn Lena nach Griechenland kommt, ist sie reif für den Tod.‹

      Mitleid mit ihrer verflossenen und zukünftigen Freundin hegte sie nicht. War sie nicht die personifizierte Ursache ihres Unglücks?

      Es war schon dämmrig, als Athina in Horefto eintraf. Aus Westen blies ein kalter, scharfer Wind, trotz des warmen Mantels fröstelte sie. Die Magierin blickte zum Himmel empor, mit Befriedigung sah sie, dass im Süden das Sternbild der Taube durch die milchigen Wolkenfetzen blitzte, die von dem zunehmenden Mond durchstrahlt wurden. Über dem Sternbild der Taube leuchteten die Planeten Saturn und Jupiter. Die Sterne standen für ihr Vorhaben günstig: Der Einfluss des Jupiters sorgte dafür, dass ihr Vorhaben Schritt für Schritt auf sein schreckliches, maßloses Ende hinauslief; der Saturn wachte darüber, dass keine unvorhersehbaren Ereignisse Lenas Schicksal verhindern konnten.

      Der Fischer Zosimas wartete schon an der verabredeten Stelle. Er war für Athinas finstere Machenschaften der ideale Gehilfe. Ohne Fragen zu stellen oder viel Geld zu verlangen, tat er für sie die seltsamsten Dinge. Athina wusste um das Verbrechen, das auf Zosimas lastete, und er ahnte, dass sie sein Geheimnis kannte. So bildeten sie eine unheilvolle Schicksalsgemeinschaft.

      Sein von grauen Strähnen durchzogenes Haar war nach hinten zu einem Knoten zusammengebunden. Wer von seinen unter buschigen Augenbrauen hervorblickenden grauen Augen fixiert wurde, dem lief ein kalter Schauer über den Rücken. Er war mager, etwa vierzig Jahre, seine verlebten Gesichtszüge ließen ihn viel älter erscheinen. Er wusste, dass Athina Schreckliches vorhatte, es war ihm egal. Alles war ihm egal und das schon seit Jahr und Tag. Er erlaubte sich ein höhnisches Grinsen, als Athina auf ihn zutrat.

      »Hast du die Tauben und die Axt, Zosimas?«, herrschte sie ihn an.

      Er warf die Zigarette weg, trat mit dem Stiefel die Glut aus und deutete wortlos auf die Kiste und seinen Gürtel, an dem eine Handaxt hing.

      »Komm, lass uns zu dem Waldplatz gehen«, forderte sie ihn auf.

      Zosimas nickte, nahm den Kasten unter den Arm und ging voran zu dem magischen Platz oben im Wald, an dem Athina ihre dunklen Beschwörungen zelebrierte. Die Magierin hielt einige Meter Abstand, der Fisch- und Schweißgeruch, der seinen Kleidern anhaftete, war ihr zuwider.

      Ihre Augen hatten sich bald an die Dunkelheit gewöhnt, das Mondlicht gab ausreichend Helligkeit. Sie folgten einem Bergpfad, bogen in den Wald ab und erreichten eine Lichtung, die dicht mit Gras bewachsen war. In der Mitte stand ein Wildapfelbaum. Am Rand der Lichtung hatte Athina vor Jahren schon begonnen, Hexenkräuter wie Stechapfel, Bilsenkraut, Tollkirsche, Wolfsmilch, Johanniskraut und Baldrian anzupflanzen.

      Die Magierin befahl Zosimas, den beiden Tauben eine Schlinge um den Hals zu legen, sie auf zwei gegenüberliegenden Ästen des Apfelbaums festzubinden und die Axt in den Stamm des Baumes zu schlagen. Die Tauben blieben dabei gelassen, kein Laut war zu hören. Da die scharfe Klinge der Axt in die Rinde einschlug, gab es einen Ton, als würde der Baum wehklagen.

      Zosimas ging zum Rand der Lichtung, setzte sich gleichmütig mit dem Rücken zu Athina auf seine Kiste und blickte über das dunkle Land.

      Athina entnahm ihrer Tasche sieben angespitzte Pflöcke von einer Korkeiche. Sie drückte jeden im Abstand von einem Schritt vom Baumstamm so in den Boden, dass sie die Ecken eines regelmäßigen Siebenecks mit dem Wildapfel-Baum im Zentrum bildeten. Die Pflöcke verband sie mit einem in Hühnerblut getränkten Wollfaden. Mit einem Rechen richtete sie die Grashalme innerhalb des magischen Siebenecks in Richtung des Mondes aus. Sodann legte sie nach einem befremdlichen Muster quadratische, rechteckige, dreieckige und kreisförmige Metallplättchen in den Farben blau und rot auf die Erde.

      Je eine Kerze stellte sie in die sieben Ecken und zündete sie an. Athina hatte sie aus Honigwachs, Wiedehopfblut und pulverisiertem Tausendgüldenkraut hergestellt. Damit sollte das magische Siebeneck von Geistern abgeschirmt werden, die ihren Fluch stören könnten.

      Athina trat in den Kreis der Verfluchung. Das durch die dahinziehenden Wolken fallende Licht des Mondes und die flackernden Flammen der Kerzen ließen ihre Gestalt bedrohlich erscheinen. Ihr Körper senkte sich nach vorn und sie fixierte mit den Augen die bunten Metallplättchen, die mit genau festgelegten magischen Kräften aufgeladen waren. Die roten und blauen Farben der Metallstücke verschmolzen vor ihren Augen, der Boden des Kreises der Verfluchung erstrahlte in Violett. Athina blickte auf und beobachtete die Tauben. Diejenige, die zuletzt wegfliegen würde, rief den Todesboten von Lena herbei.

      In der Ferne war ein seltsamer Laut zu hören, wie erstauntes Rufen.

      Die weiße Taube gab einen Schrei von sich und versuchte wegzufliegen. Athina packte den Vogel und erhängte ihn augenblicklich in der Schlinge. Mit der linken Hand riss sie die Axt aus dem Stamm, packte mit ihrer rechten die schwarze Taube, drückte sie gegen eine Astgabel und köpfte sie. Sie riss den rechten Flügel der weißen Taube und den linken Flügel der schwarzen Taube ab und legte sie auf ein Bett von trockenen Kräutern, das sie vorbereitet hatte. Sie zündete die Kräuter mit einer Kerze an, sie fingen sofort Feuer. Aus den verbrennenden Federn schossen Funken in den Himmel. Athina ließ das Blut der schwarzen Taube in die Flamme tropfen. Es verdampfte zischend.

      Die Magierin führte die Geste der Öffnung aus: Beide Hände führte sie in Höhe ihres Bauches, die Handgelenke abgebogen, die Hände derart ausgestreckt, dass die Finger zueinander deuteten. Die zusammengelegten Hände zogen einen Kreis, zuerst nach oben und vorne, dann nach unten und die Bewegung endete über ihrem Bauch. Die Hände trennten sich bis auf Körperbreite und schoben sich unendlich sachte, als würden sie zwei schwere Türflügel auseinander schieben wollen, nach außen. Jählings wurden die drückende Arme mit der Gewalt von zupackenden Händen auseinandergerissen, Düsternis und eine schreckliche Kälte brach über die Welt herein. Sternenstaub verbrannte, der Tod einer Schülerin aus Heidelberg und der Tod von Atridis Nichte hier im Piliongebirge war beschlossen.

      Ein Windstoß fuhr über die Lichtung, die sieben Kerzen und das Feuer erloschen. Hinter den Wolken verborgen war die Mondsichel vor den Saturn gezogen, doch für die beiden Opfer zu spät, er konnte seinen Einfluss auf die künftigen Ereignisse nicht mehr mindern.

      Athina trat aus dem Ring. Den verbrannten Sternenstaub ließ sie als weißglühender Umriss ihres doppelten Selbst zurück. Geisterhaft und dämonisch stand die Kontur da, verblasste und war verschwunden. Athinas fühlte sich um Jahre gealtert.

      Noch