D. Bess Unger

Der Engel mit den blutigen Händen


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wandte er sich der attraktiven Blondine zu, sah ihr direkt in die Augen. Unbewusst umpackte seine Hand den Stiel der Blumen, die mit dem tiefschwarzen Band zusammengebunden waren.

      Unter seinem forschenden Blick entglitt Athina die engelhafte Anmut ihrer Gesichtszüge. Die Hexe in ihr erkannte, dass der vermeintliche Dorftrottel sich anschickte, die mühsam errichtete Maske ihrer Unschuld zu durchdringen. Verstört fixierte sie ein Muttermal über seiner linken Augenbraue. Hatte dort nicht die Ahnung eines fünfzackigen Sternes mit tiefschwarzen Rändern aufgeleuchtet? War der bei ihrer gestrigen Begegnung schon vorhanden gewesen? Hatte sie ihn übersehen? Mühsam versuchte Athina eine magische Einwirkung auf seine Schmerzempfindlichkeit, doch im Gegensatz zu gestern blieb ihre Bemühung ohne jede Wirkung. ›Verdammt, warum klappte das nicht?‹ Ihr Blick glitt an Vasilios herab, hin zu der Hand mit den belanglosen rosa Blüten. Sie musste ihre Augen abwenden, als sich das Schwarz des Bandes in ihre Augen brannte.

      »Hi, Vasilios! Hast du einen Unfall gehabt?« Atridis Stimme klang nach echter Besorgnis. »Deine Hose ist blutverschmiert!«

      Vasilios sah an sich herab. Stimmt, da waren Blutspuren. Hatte der Hirtenhund aus diesem Grund interessiert an ihm geschnüffelt? »Nein, nein, das stammt nicht von einem Unfall«, erklärte er gedankenverloren. »Das ist das Blut einer Ziege. Die hatte eine verhängnisvolle Begegnung mit einem Wolf.« Er sah auf, ein Blick ausgefüllt mit Verachtung und vermischt mit einer Spur von Mitleid traf Atridi.

      Atridis Augen verengten sich vor Zorn. ›Ist dem eine Laus über die Leber gelaufen? Was erlaubt sich der Schnösel? Ich frage ihn höflich, als Dank wirft er mir diesen abfälligen Blick zu! Womit habe ich das verdient?‹

      »Atridi, wir müssen los, unsere Verabredung!«

      »Stimmt, wir sind spät dran!«

      Grußlos fuhren die Beiden davon.

      Der Fluch der Schwarzmagierin - Gegenwart

      28. Februar - Volos

      Rechtzeitig zum Wochenende war die Sonne hervorgekommen und hatte die vielen Regenwolken vom Himmel verdrängt. Eine Rasselbande spielte Fußball auf der Straße. Geschickt wurden die Mülltonnen umspielt, die als Gegner zweckentfremdet wurden.

      »Achtung, der Trick von Ronaldo«, rief ein Junge. Er senkte den Blick, führte den Ball im Dribbling mit der Innenseite des ballführenden Fußes hinter dem Standbein und sprang dabei leicht ab. Als er den Ball mit dem anderen Fuß seitlich wegführen wollte, prallte er mit einem Mann zusammen. Der stand ratsuchend im Weg und starrte auf einen Zettel in der Hand.

      »Kannst du nicht aufpassen!«, schrie der empört auf, bückte sich und wischte über einen kaum sichtbaren Fleck, den der Ball auf der Hose hinterlassen hatte.

      »Tut mir leid«, murmelte der Junge und starrte den Fremden an. ›Wo kommt der denn her?‹, fragte er sich. ›Hat er sich verlaufen?‹

      Der Mann wirkte in seinen Edel-Jeans und mit der goldenen Armbanduhr in diesem heruntergekommenen Stadtteil von Volos fehl am Platz.

      »Ist das hier die Kiriazis?«, fragte er leidlich besänftigt, als er sich überzeugt hatte, dass die Hose wieder tipptopp war.

      Der Junge nickte.

      »Wo ist die Nummer 21?«

      Wortlos deutete der Junge auf ein einstöckiges beiges Haus, dessen Front mit unzähligen Graffitis beschmiert war und rannte zu seinen Kameraden zurück.

      Der Mann warf achtlos den Zettel auf den Boden, fuhr mit den Fingern einer Hand durch die perfekt geschnittenen Haare, gab sich einen Ruck und machte widerwillig einige Schritte auf das Haus zu.

      »Das darf nicht wahr sein!«, stöhnte er. »In der Bruchbude haust jetzt meine Tante? Der war doch nie etwas fein genug. Hoffentlich hat sie sich nicht mit ihrer Freundin verkracht.« Ihm wurde schlecht bei dieser Vorstellung.

      Der Glanz der milden Frühlingssonne vermochte nicht den miesen Eindruck, den das Haus auf ihn machte, zu mildern. Es wirkte von seinen Besitzern seit geraumer Zeit aufgegeben. Der Putz war fleckig und schadhaft, die Fenster vergittert, das Holz der Rahmen rissig, die ehemals blaue Ölfarbe in Placken abgesprungen, der Fensterkitt teilweise herausgefallen, die Scheiben staubig.

      Er drückte auf den Klingelknopf und wartete unschlüssig, denn ein Klingelgeräusch war nicht zu hören gewesen. »Hätte mich auch gewundert, wenn das funktioniert hätte«, murmelte er, drückte auf die Türklinke und trat ein. »Tante Athina, bist du zuhause?«, rief er ins dunkle Haus hinein.

      »Damis?«, antwortete eine erstaunt klingende Stimme. Eine Tür öffnete sich und Athina Drosos trat auf den Flur. »Was machst du hier in Volos?«, fragte sie verdutzt und besorgt zugleich. »Arbeitest du nicht mehr bei den Papalukas in Deutschland?«

      Verblüfft und erleichtert registrierte ihr Neffe, dass seine Tante ihr Aussehen nicht an das heruntergekommene Zuhause angepasst hatte. ›Meine Fresse‹, dachte Damis, ›für eine siebenundvierzigjährige Frau sieht sie verdammt scharf aus!‹ Noch immer glich Athina auf verblüffender Weise den Rauschgoldengeln, die sein Mannheimer Chef Christos containerweise aus China für die Weihnachtsmärkte in Deutschland bezog. Schlank war ihre Gestalt, ihr Gesicht faltenlos mit unschuldig blickenden Augen, die tomatenroten Lippen zeigten sorgfältig gezogene Konturen, die Haare waren blond gelockt wie eh. Sie trug ein rotes Seidenkleid mit Flowerprint, Clogs aus hellgrauem Leder mit mehrfarbigen Blumen, nur ihre komischen Kurzfingerhandschuhe verstörten ihn.

      Damis ließ ihre scheue Umarmung zu. Als sie ihn an sich drückte, pikste ihr Talisman ihm in die Brust. Hastig trat er einen Schritt zurück. Seit Kindertagen hatte er sich vor diesem Ding um Athinas Hals gefürchtet. Der Talisman war von erschreckender Widerwärtigkeit: Hergestellt aus schwarzem Horn mit seltsamen Einlagen aus Gold, erinnerte es an ein Messer, mit dem man in vergangenen Zeiten einem finsteren Gott Menschenopfer dargebracht hatte.

      Athina lächelte. Sie mochte ihren gutaussehenden Neffen, trotz seiner Schwäche für ein Haarwasser, das ihre Nase beleidigte. Zwar war er der Sohn ihres labilen Bruders, aber Tante und Neffe hatten schon frühzeitig erkannt, dass sie beide die gleiche wütende Gier nach Geld und Macht verspürten. Früh schon waren sie sich unausgesprochen einig geworden, sich bei ihren dunklen Geschäften gegenseitig zu unterstützen.

      Sie bat ihn ins Wohnzimmer. Er sah sich flüchtig um und erkannte die Einrichtung sofort. Da standen die schwarzen Möbel der Großeltern, die ihm schon immer ein Gefühl von Beklommenheit vermittelt hatten. »Ist das die Einrichtung von Oma?«, fragte er überflüssigerweise und blickte Athina verwundert an. Noch wagte er nicht, die entscheidende Frage zu stellen, zuvor galt es, die Situation und ihre Stimmung durch ein wenig Smalltalk zu erkunden.

      »Setz dich, Damis.«

      Suchend schaute er sich um. Athina wies in die Ecke des Zimmers. Um Himmels willen, da stand der weinrote Sessel der Großmutter, in dem sie vor acht Wochen gestorben war. ›Athina erwartet doch wohl nicht, dass ich mich jetzt da hineinsetze‹, fürchtete er und sah zu ihr hin. Beruhigend nickte sie ihm zu. Er dachte an die Ereignisse des gestrigen Tages, gehorsam ließ er sich in das Möbel fallen. Die Polster waren durchgesessen und rochen muffig, tief sank er hinein. Schweigen trat ein, er hatte jegliche Lust zu belanglosem Gerede verloren.

      »Tja«, begann Athina, »das ist seit Kurzem mein Zuhause.« Sie machte mit ihrem Arm eine ausholende Bewegung. »Mit Sicherheit nicht die Ausstattung, die mir gefällt.«

      Eine Pause trat ein und Damis ahnte, von aufziehender Panik ergriffen, was jetzt kommen würde. ›Bitte, bitte, nur das nicht‹, flehte er innerlich.

      Umsonst, seine Tante sprach den furchtbaren Satz gelassen aus. »Tja, meine beste Freundin Atridi Papaluka hat mich eiskalt abserviert, entsorgt wie Müll! Was sagst du dazu?« Mit unergründlichen Augen fixierte sie ihn und wunderte sich, warum er bei ihren Worten so blass geworden war. ›Nanu‹, dachte sie, ›macht sich mein Neffe etwa Sorgen um mich?‹

      »Wieso das denn?«, stammelte er, »ihr ward doch schon seit ewigen Zeiten dick befreundet. Wie kann das mir nichts dir nichts aus sein? Das A-Duo nannte man