die männliche Zeugungskraft.
Athina zerstieß alles sorgfältig in einem Mörser, kochte das Pulver in einem schweren Rotwein auf und filtrierte den Sud in einem Baumwolltuch ab. Sie füllte die tiefrote Flüssigkeit in ein Glasfläschchen und gab, bevor sie es verschloss, drei Tropfen aus einem mit Gold verzierten Kristallflakon hinzu, den sie wie einen Schatz hütete. Das war drittwichtigste Gabe, die ihr Biglia hinterlassen hatte.
Kalliopi hatte dem Treiben der Frau interessiert zugesehen. Genau so hatte sie sich das Mischen eines Zaubertrankes vorgestellt. Unerwartet überfiel sie eine schreckliche Kälte, ihr wurde schwarz vor Augen, schützend schlug sie die Arme um ihre Brust. Im Unterbewusstsein hörte sie die Hexe murmeln:
Die Dunkelwelt umhüllt dich,
Dein Körper ist nackt.
Noch zeigt er nicht die Spur des Lebens,
Das deinen Bauch verlassen wird.
Bald wird dich weiten
Das gezeugte Leben.
Sanft wirst du wiegen,
Das behütete Kind!
So mir nichts, dir nichts wie die Kälte sie angefallen hatte, war sie auch wieder verflogen. Kalliopi öffnete die Augen. Erschrocken fuhr sie zurück. Vor ihr auf dem Tisch lag ein schwarzer verhärteter Klumpen von zusammengebackenen Organen und Krallen. Wo kam der mit einem Mal her?
Augenblicklich warf Athina ein Tuch über den Träger der magischen Energie und schob Kalliopi den Flakon zu. »Bevor ihr im Bett zur Sache kommt, geht ihr Essen. Dabei mischst du den Inhalt in seinen Wein. Alexis wird nichts merken, der Trank ist farb- und geschmacklos.« Sie stand auf. »So, das war es.«
Kalliopi nestelte aus ihrer Handtasche eine Geldbörse hervor und entnahm eine 50 Euro Banknote. »Ist das ausreichend?« Sie blickte Athina an und erwartete ein von Dank erfülltes Lächeln ob ihrer Großzügigkeit.
»Meine Kleine«, sagte die Hexe und tätschelte Kalliopi die Hand. »Steck dein Geld weg.« Ihre Gesichtszüge wurden hart. »An jenem Tag, an dem dir dein Arzt deine Schwangerschaft bestätigt, kommst du mit 5 000 Euro zu mir.«
Entgeistert starrte Kalliopi sie an. »5 000 Euro für eine halbe Stunde Arbeit? Ich glaube nicht, dass ...«
Athina fiel ihr ins Wort. »Du glaubst, das sei zuviel? Du bekommst deinen Mann zurück, ich lasse dich mit einer Tochter schwanger werden, obwohl du nicht fruchtbarer bist als die Wüste Sahara. Geh jetzt! Spätestens in einem Monat sehen wir uns.«
Als Kalliopi auf der Straße stand war sie noch immer geschockt. »Die sieht von mir keinen Cent«, murmelte sie im Weggehen. Doch dann erinnerte sie sich an diese furchtbare Kälte, die sie angeweht hatte und an den ekligen Klumpen, der urplötzlich auf dem Tisch gelegen hatte. Sie wusste, sie würde zahlen.
Die Magierin war in Fahrt gekommen. »Ich muss Damis anrufen. Für die Nennung des Aufbewahrungsortes der Schlüssel ist eine Gegenleistung fällig.« Sie griff zum Telefon und wählte seine Nummer. Ihrem Neffen war es in der Tat gelungen, den Schlüssel zur Nemesis aus Atridis Wohnung zu entwenden und mithilfe der Taucherausrüstung die Drogen aus dem versenkten Schiff zu bergen. Er hatte sie nach Deutschland schmuggeln können, um sie dort zu verkaufen.
»Geh ran, Damis«, flehte sie. »Mach schon.«
»Was ist, Tante?«, hörte sie ihn schnaufen. »Ich entlade zurzeit den LKW.«
»Wo bist du? Heidelberg oder Mannheim?«
»Im Geschäft von Filippos, in Heidelberg.«
»Das trifft sich bestens. Was für Drogen hast du aus dem Meer gefischt?«
»Crystal Meth und Cannabis«, flüsterte Damis. »Das verkauft sich prima.«
»Wie ist das Zeug verpackt?«
»Wieso interessiert dich das? Willst du das Zeug auch nehmen?« Damis begann sich zu wundern. »In Packs, das sind so Papierbriefchen.«
»Nicht für mich«, wehrte sie ab. »Hör zu, ich weiß, wie wir die Papalukas in die Pfanne hauen können. Und sag es besser gleich, wenn du dich nicht traust.«
»Leg schon los.«
»Auf einige der Drogenbeutel schreibst du in winziger Schrift die Adresse von Filippos’ Geschäft. Sieh zu, dass du die Beutel an Schüler verkaufen kannst! Bekommst du das hin?«
»Kein Problem.«
»Verstecke anschließend eine Drogenkiste mit ein paar zerrissenen Drogenbeutel im Lager von Filippos’ Laden. Das ist dein Part, um den Rest kümmere ich mich.«
Nachdenklich kratzte sich Damis den Kopf. Würde der Verdacht des Drogenhandels ausschließlich auf Filippos Papaluka fallen? Was, wenn die Polizei auch ihn ins Visier nehmen würde? Zweifel blieben, doch die Aussicht, den Papalukas einen Denkzettel zu verpassen, war zu verlockend.
Der Regen hatte aufgehört. Athina trat an das Fenster, öffnete es und lehnte ihre Stirn an das rostige Gitter. Der Wind verjagte die letzten Wolkenfetzen vom Himmel, der Frühling meldete sich zurück. Angeekelt von dem Geruch der nassen Müllberge auf der Straße warf sie das Fenster zu.
Für eine lange Zeit würde Filippos Papaluka im Gefängnis verschwinden. Ein kolossaler Schicksalsschlag für ihre ehemalige Freundin. Ihr geliebter Bruder, ein gewöhnlicher Zuchthäusler! ›Doch reicht mir das schon? Was - außer banaler Rache und schaler Genugtuung - habe ich davon, wenn Atridi sich um Filippos sorgt? Wenn ihr Liebhaber sie verlässt? Als Trostpflaster hat sie ja noch ihre geliebte Nichte! Der Balg wird ihr Trost in der Einsamkeit sein.‹
»Nicht übel, dass du jetzt Lena ins Spiel bringst«, lobte sie sich. »Sie könnte sich zu einem Problem auswachsen.« Atridis Nichte war Trägerin des gewaltigsten Vorrates an unberührter magischer Energie, der Athina bisher untergekommen war. Eine dreißigjährige Erfahrung hatte sie gelehrt, dass es viel wahrscheinlicher war, einen Sechser im Lotto zu bekommen, als auf einen solchen Menschen zu stoßen.
»Wenn Lena auf einen Hexer trifft, kann er ihre magische Energie erwecken und sie damit zu einer übergroßen Magierin machen«, stöhnte sie. »Auf der anderen Seite könnte der Hexer dem Mädchen auch seinen Sternenstaub komplett entreißen und ihn für sich vereinnahmen!« In beiden Fällen würde ihr eine Konkurrenz von beachtlichem Ausmaß erwachsen.
Ihr Blick fiel auf den Träger ihrer Schwarzen Künste. Verlockend und sich anbietend lag er vor ihr auf dem Tisch. Wie unter Zwang umschlossen ihre Hände den verhärteten Klumpen von Organen und Krallen. Sie packte derart kräftig zu, dass sie aufschrie. Die nach außen weisenden Klauen bohrten sich in ihre Handflächen. Warmes Blut versickerte in dem Träger.
Der Schmerz gebar die Lösung: ›Ich lasse Atridis geordnete Welt auf der ganzen Linie aus den Fugen geraten. Ich trenne sie nicht nur von Liebhaber und Bruder, nein, ich bringe nicht zuletzt ihre Nichte um! Verlassen, einsam und am Boden zerstört wird sie mir keinen Widerstand entgegensetzen können. Erneut werde ich sie umgarnen, wie in jenen Tagen, als ich ihre Eltern um die Ecke bringen ließ. Ihren angeschlagenden Geist werde ich mir endgültig unterwerfen.‹
Im ersten Moment war Athina erschrocken über diese barbarischen Eingebungen. Sie wollte schon aufstehen und den Träger der Schwarzen Magie in den Schrein zurückstellen. Doch es war zu spät. Wie ein heimtückisches Krebsgeschwür hatten die Gedanken Besitz von ihr ergriffen, schon arbeitete ihr Gehirn an der Realisierung.
Wie sollte sie das Mädchen aus dem Weg räumen? Ein Unfall? Nein, die Zeitlinien von Lena und den am Unfall beteiligten Menschen müssten verändert werden, eventuell noch die der behandelnden Ärzte, wenn sie nicht sofort hin war. Darin steckten zu viele Unwägbarkeiten.
»Sie soll sterben, stückchenweise, von allen verlassen«,