Leonie Reuter

Mit Sudoku und Beratung an die Börse


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Raum zurück. Versonnen malte er auf einem Blatt Papier eine Skizze mit einem kleinen Ablaufplan für die nächsten großen Schritte. Er betrachtete das Blatt, strich, kritzelte neu, strich einige Passagen, um letztlich zufrieden auf ein vollständig beschriebenes DinA4 Blatt zu blicken. „Nun kann es losgehen“, sagte er zu sich selbst und strich sich zufrieden die Haare zurück.

      Dann rief er seine Vorzimmerdame Frau Büchner in so einem lauten Ton zu sich, dass diese ihn durch die verschlossene Tür hörte. Vor Schreck vergoss Frau Büchner ihren Mittagskaffee auf einer Akte, wischte schnell noch ein wenig von der großen Pfütze weg und eilte dann hastig in das Zimmer ihres Chefs. Sie erhielt den Auftrag einen Stab von Mitarbeitern, die der Staatssekretär ihr namentlich aufzählte, noch für diesen Nachmittag in das große Besprechungszimmer im zweiten Stockwerk ein zu berufen.

      Um 16.00 Uhr waren dann auch fast alle auf der Liste des Staats-sekretärs stehenden Personen dort versammelt und blickten erwartungsvoll auf die große Tür, durch die gleich der Staatssekretär kommen sollte. Punkt 16.15 Uhr wurde diese aufgerissen und der Staatssekretär schritt in eiligen Schritten, gefolgt von seinem persönlichen Referenten Herrn Maier auf die Kopfseite des Tisches zu. Mit einem Schwung ließ er sich nieder und bedeutete seinem Referenten, dass dieser ihm zunächst einen Kaffee eingießen möge. Dann erhob er die Augen und blickte prüfend in die Runde, um zu kontrollieren, ob auch alle seine Schäfchen seinem Aufruf gefolgt waren.

      „Wo ist Müller?“, rief er in die Runde noch bevor er die Anwesenden begrüßt hatte. Sein persönlicher Referent flüsterte ihm zu: “Erkrankt. Und Harder ist auf Dienstreise“. „So, so“, murmelte der Staatssekretär und es war ihm anzusehen, dass er es vollkommen unverständlich fand, dass es hier im Ministerium tatsächlich Personen gab, die nicht zu dieser wichtigen Sitzung erschienen und einfach auf Dienstreise gingen oder krank waren.

      „Liebe Kollegen“, hob er an und „liebe Kollegin“, fuhr er mit Blick auf Regierungsdirektorin Frau Dr. Schleicher-Hartmann fort. Wir sind heute hier versammelt, um den Auftakt zu einem einmaligen Projekt zu begehen. Wir werden mit diesem Projekt zeigen, was in diesem Staat und in uns steckt. Langsame Verwaltung war gestern. Heute heißt es für uns: Moderner Staat – moderne Verwaltung. Da wir hier im Hause in den letzten Jahren mehr als effizient geworden sind, werden wir nun anfangen, die Außenverwaltung zu reformieren. Wir werden sie nicht nur sanieren, sondern wirtschaftlich machen.

      Jawohl – wirt-schaft-lich“, endete er gedehnt und schaute auffordernd in die Runde. Ein allgemeines Gemurmel erhob sich unter den Anwesenden. Und der Staatssekretär redete weiter und weiter. Seine Begeisterung stieg sichtlich von Satz zu Satz und er redete sich regelrecht in Rage. Nur einmal unterbrach er kurz, als Frau Regierungsdirektorin Dr. Schleicher-Hartman etwas zögernd die Hand für eine Frage hob.

      Diese räusperte sich als der Staatssekretär ihr wohlwollend zunickte und ihr damit Rederecht einräumte, und sagte: “Herr Staatssekretär, ich gratuliere zu Ihrer überaus glücklichen Idee und werde Ihnen selbstverständlich mit meiner Abteilung tatkräftig bei der Umsetzung zur Seite stehen“. Dann machte sie eine kleine Pause, um all ihren Mut zusammen zu nehmen und stieß dann mit kurzatmiger Stimme hervor: „Sicher haben Sie auch bereits festgelegt, aus welchen Mitteln dieses Großprojekt finanziert werden soll?“. „Liebe Frau Dr. äh…“

      „Schleicher“, flüsterte Herr Maier. „Ja natürlich, Schleicher, selbstverständlich ist die Kostenfrage geklärt. Das ist vollkommen einfach“. Der Staatssekretär blickte triumphierend in die Rund, um dann langsam und bestimmt zu sagen: „Es gibt keine Kosten“. Er machte eine Pause und blickte sichtlich mit sich selbst zufrieden im Kreis herum, um die Wirkung seiner Worte zu überprüfen. „Ja, meine Herren und meine Dame. Sie haben richtig gehört. Dieses Großprojekt wird sich selber tragen, da wir Geld in ungeahnten Größen einsparen werden.“

      Dann machte der Staatssekretär eine kurze Pause und sah dabei die fragend aus ihren blauen Augen auf ihn schauende Frau Dr. Schleicher-Hartmann fast mitleidig an. „Ich verstehe, dass Ihnen so ein innovatives Projekt noch nicht untergekommen ist und Sie ein wenig Zeit zum Verstehen brauchen“, fuhr er fast väterlich nachsichtig fort. Frau Dr. Schleicher-Hartmann errötete und vergrub ihr Gesicht schnell und hektisch wieder in den vor ihr liegenden Papieren.

      An diesem Tag wurde es 20.00 Uhr als der Staatssekretär das Gebäude in der Wilhelmstraße verließ. Seine Mitarbeiter hatten bis 19.30 Uhr seinen Worten zu dem neuen Großprojekt gelauscht und nur Herr Dr. Brinkmann war dabei einmal kurz eingenickt. Als „Fast Pensionär“, der seine Tage heimlich am Maßband, das er jeden Morgen abschnitt, zählte, wurde ihm jedoch großzügig durch den Staatssekretär verziehen.

      In der Zeit, in der die Mitarbeiter nun noch ihr durch die außerplanmäßige Sitzung versäumtes Tagesgeschäft nachholen durften, eilte der Staatssekretär zu seinem Dienstwagen und ließ sich zu einem Empfang der Handelskammer bringen, auf dem er auf leckere Häppchen hoffen durfte. Er sackte zufrieden auf den Rücksitz der Limousine und teilte dem Fahrer seufzend mit: „So, nun haben wir uns ein paar gute Häppchen und ein gutes Tröpfchen verdient. Das war ja wieder ein äußerst anstrengender Tag. Ja, ja – alles im Dienste des Staates“, fügte er noch hinzu.

      Während der Fahrer durch den abendlichen Verkehr von Berlin Mitte steuerte und darüber nachdachte, was für Häppchen ihn wohl heute, nachdem er den Staatssekretär zu Hause abgeliefert haben würde, in seinem Heim um Mitternacht erwarten würden. Dabei kam er innerlich seufzend zu dem Schluss, dass sein Kühlschrank, wie immer seit dem Tag, an dem seine Frau ihn verlassen hatte, leer sein würde. Während er noch überlegte, wo die nächste Tankstelle in der Nähe der Handelskammer sein könnte, um sich dort eine kleine Mahlzeit einzukaufen, nickte der völlig erschöpfte Staatssekretär auf dem Rücksitz ein.

      In den nächsten Tagen und Wochen liefen die Vorbereitungen für das Großprojekt Liegenschaftsverwaltung auf Hochtouren. In der ersten Phase war nur der vom Staatssekretär persönlich beauftragte Mitarbeiterstab mit dem Projekt beschäftigt. Da jedoch hunderte von Detailfragen zu klären waren, mussten nach und nach auch andere Abteilungen eingebunden werden. Das neue Großprojekt des Staatssekretärs sprach sich schnell im Ministerium herum. Jede höher gestellte Führungskraft im Ministerium, die meinte etwas zu sagen zu haben, meldete sich nach und nach bei dem Staatssekretär mit klugen Hinweisen oder weisen Ratschlägen zu Wort.

      Es fanden außerordentliche Gesprächsrunden in den größten Sitzungssälen des Ministeriums, selbstverständlich mit ausführlichen Vor- und Nachgesprächen, statt. Daneben fanden große Partei übergreifende Sitzungen außerhalb des Ministeriums zu dem Thema „Modernisierung der Liegenschaftsverwaltung“ statt. Schnell hatte der Personalrat einen Tipp bekommen und erstellte ein ausführliches Konzept, in dem er seine Meinung zu dem Thema kundtat.

      Es gab Tage im Ministerium, da hätte man meinen können, dass das gesamte politische Interesse ausschließlich einer kleinen Liegenschaftsverwaltung galt und die hohen Damen und Herren sich immer mehr auf Themen mit liegenschaftlichen Inhalten fokussierten. Möglicherweise lag es daran, dass viele Damen und Herren im Ministerium selber Immobilieneigentümer waren und hier endlich ein Gebiet gefunden hatten, auf dem sie sich endlich einmal gründlich auskannten. Denn wer bezahlte schließlich zu Hause den Gärtner oder saß auf öden Eigentümerversammlungen seine spärlich bemessene freie Zeit am Samstagmorgen ab?

      Selbst Frau Büchner, die Vorzimmerdame des Staatssekretärs, wusste was eine Betriebskostenabrechnung ist und konnte sich daher am neuen Projekt des Staatssekretärs aktiv beteiligen. Leider nahm ihr Chef ihre fachfraulichen Äußerungen zu wirtschaftlichen und unwirtschaftlichen Gebäudekosten zu ihrem großen Ärger nicht wirklich ernst. So versuchte Frau Büchner ihre Gedanken bei Frau Regierungsdirektorin Dr. Schleicher-Hartmann anzubringen, während diese leicht zitternd auf einem Stuhl im Vorzimmer des Staatssekretärs saß und auf einen persönlichen Termin bei diesem wartete.

      „Wissen Sie Frau Doktor“, hob sie an und sah etwas mitleidig auf die an ihren Fingernägeln nervös spielende Frau Dr. Schleicher-Hartmann. „Es ist doch ganz einfach. Sie müssen sich nur zu Hause bei meinen Eltern auf dem Bauernhof die Kühe ansehen. Dort behält man die Kühe, die Milch bringen. Die sind nämlich wirtschaftlich. Und von den anderen trennt man sich. Die sind unwirtschaftlich. Und genauso