Leonie Reuter

Mit Sudoku und Beratung an die Börse


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ihr Dienstzimmer. Jetzt konnte ihr kein Internetsuchdienst mehr helfen, sie musste selber kreativ tätig werden.

      Laut diesem Erlass, der allen Niederlassungen der Anstalt nach drei Monaten zuging, musste der Name der Anstalt immer und von jedem Angestellten ohne Ausnahme vollständig ausgeschrieben werden. War dies jedoch in einem Papier erst einmal geschehen, durfte nachdem der wohlklingende prägnante Name einmal in seiner ganzen Schönheit ausgeschrieben worden war, im Weiteren einfach von Der Deutschen Anstalt oder schlicht und einfach Anstalt gesprochen werden.

      „Dieser Erlass dokumentiert wieder einmal mehr unsere neue wirtschaftliche Denkrichtung“, sagte der junge Staatssekretär von Gutental zum Minister, den er in der Kantine des Finanzministeriums am Salatbuffet traf. „Anstalt, einfach nur Anstalt“, flötete er vor sich hin als er einige Mozzarella Stückchen flächendeckend auf seinem Salat verteilte.

      Tatsächlich war nach fünf langen Jahren eine Anstalt entstanden und alle Beschäftigten durften sich fortan rühmen, nun einer modernen Dienstleistungsanstalt, die auch nichts mehr mit einer alten angestaubten Verwaltung zu tun hatte, anzugehören.

      Drei Herren für den Vorstand

      In der Anstalt war nicht nur alles besser und höherwertiger als in der alten Verwaltung, sondern hinzu kam auch sehr viel Neues und Modernes, was man früher so in den verstaubten Büros, wie der junge Staatssekretär von Gutental sich gerne ausdrückte, gar nicht gekannt hatte. So mussten nun zum Beispiel auch neue Strukturen und Hierarchien eingeführt werden. Gab es früher Präsidenten, konnte sich nun das moderne Dienstleistungsunternehmen mit einem Vorstand schmücken. Ein Vorstand für das staatliche Unternehmen bestand selbstverständlich wie in jedem Unternehmen aus einem Sprecher des Vorstandes und weiteren Vorstandsmitgliedern.

      Freudig registrierten die Ministerialbeamten, dass auf diese Art endlich einmal für den Staatsdienst recht ungewöhnliche Positionen vergeben wurden. Mancher Ministerialbeamte träumte nun nachts heimlich von den vermeintlich begehrenswerten Vorstandsposten. Sprecher des Vorstandes oder gar Finanzvorstand hörte sich in vielen Ohren sehr verlockend an. Insgeheim wurden hinter vorgehaltenen Händen Themen diskutiert, die insbesondere die Fragen, ob ein Vorstand wohl viel arbeiten müsse oder ob er eventuell häufig auf Empfänge bei den großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen eingeladen werden würde, betrafen.

      Das Zweite klang in ministeriellen Ohren recht verlockend. Dennoch war man sich in der Mittagsrunde in der Kantine des Ministeriums einig, dass man sich bei so einer Neugründung nie ganz sicher sein konnte, da sich das gesamte Unternehmen doch erst einmal würde einlaufen müssen.

      Einige von den Herren und Damen dachten bei sich, dass sie vielleicht doch lieber den Kollegen aus dem Nachbarreferat für die nächsten Jahre den Vortritt lassen sollten. „In das gemachte Vorstandszimmer kann man ja auch noch in drei Jahren einziehen“, sagte der Referent des alten Staatssekretärs Herr Maier, der mittlerweile zum Unterabteilungsleiter aufgestiegen war, lachend zu seinem Kollegen dem Abteilungsleiter der Steuerabteilung als sie sich auf dem Neujahrsempfang des Ministers mit einem Gläschen Sekt zuprosteten.

      Auch die Damen und Herren in der Personalabteilung des Ministeriums machten sich als Eigentümer eines Unternehmens so ihre Überlegungen über die Personalien. Für die Größe der Anstalt, die nahezu einem Dax Unternehmen entsprach, würde kein Manager gefunden werden, der mit staatlichen Bezügen bezahlt werden könnte. Auch wenn das Ministerium bereit war, in diesem außergewöhnlichen Fall weit höher als im normalen Beamtenbesoldungsgefüge zu bezahlen, würde das Budget nicht für einen Manager auch nur der dritten Reihe reichen. Dennoch mussten Köpfe mit Namen her.

      Die wichtigste Stelle, nämlich die des Sprechers des Vorstandes, war am ehesten vergeben, da man sich innerhalb des Ministeriums sehr schnell einig war, dass trotz den Anforderungen, die ein großes Unternehmen an einen Vorstandssprecher stellen sollte und aller Wirtschaftlichkeit, der wichtigste Mann aus der Verwaltung und dem Ministerium selber kommen musste. So bot es sich an, einen hohen Ministerialbeamten, der bereits seit vielen Jahren die Aufsicht über die alte Verwaltung innegehabt hatte, zu ernennen.

      Dieser kannte praktischerweise auch bereits die meisten Liegenschaften der Verwaltung durch eigene Anschauung. In einer Vielzahl von Dienst- und Privatreisen, die ihn insbesondere auf seine Lieblingsliegenschaften, die zufällig auf der schönen Insel Sylt lagen, führten, hatte er sein Interesse an der Materie offensichtlich und nachweislich dokumentiert.

      Dass die Person Herr Dr. Kleist eine äußerst glückliche Wahl war, zeigte auch sein ungebrochener Arbeitseifer, der ihn selbst als Ministerialbeamter in höchster Position nicht davon abhielt, eigenständig Sachbearbeitung durchzuführen, wenn er dies für notwendig erachtete. So hatte er sich zum Leidwesen der Personalabteilung häufig persönlich um das Schicksal von Mitarbeitern gekümmert, die ihm ihr Leid bei einer Liegenschaftsbesichtigung in Oberammergau oder in Gelsenkirchen geklagt hatten.

      Er setzte sich unbeirrt durch irgendwelche Sachzwänge für die Menschen ein. So kam es häufig nach Liegenschaftsbesichtigungen von Herrn Dr. Kleist vor, dass Mitarbeiter entsprechend ihrer Wünsche – was natürlich wegen deren ignoranten Vorgesetzten längst überfällig war - befördert wurden oder auch nur an ihren Wunschstandort versetzt wurden. Zum Glück kannte sich Herr Dr. Kleist im Personalgeschäft aus. Und zum Glück für die Personalabteilung hielten sich seine Reisen wegen der Liebe zu der Sachbearbeitung der Akten im Ministerium an seinem Schreibtisch doch einigermaßen in Grenzen.

      Aber nicht nur Personalangelegenheiten nahm er höchst persönlich in die eigene Hand, sondern Herr Dr. Kleist kümmerte sich bei Bedarf auch um wichtige Liegenschaftsangelegenheiten, wie zum Beispiel die Beseitigung von Taubendreck auf den Dächern von Wohnliegenschaften oder auch bevorzugt gerne um einzelne Mieterbeschwerden. Sein Motto war: „Wenn Du nicht weißt, was Du ansonsten machen sollst, lege selber Hand an.“ So verfuhr er täglich ungeachtet der Tatsache, dass es viele Liegenschaftssachbearbeiter gab, die für dafür bezahlt wurden, solche Beschwerdeschreiben von Mietern zu beantworten.

      Herr Dr. Kleist war der Ansicht, dass letztlich nur einer jegliche Arten von Schreiben gut beantworten konnte. Und das war nach seiner Meinung der, der am höchsten über allen angesiedelt ist, denn der saß seiner Meinung nach dort, weil es ihm wegen seiner guten Grammatik und Kenntnis der deutschen Sprache zustand. Zwar fehlte es einem hohen Ministerialbeamten zugegebenermaßen auch aus der Sicht von Herrn Dr. Kleist ein wenig an der Ortsnähe. „Aber was ist schon das Kriterium Ortsnähe, wenn man doch aus der Höhe den besten Überblick hat“, pflegte Herr Dr. Kleist immer zu sagen.

      Hinzu kam, dass es keinen Bearbeiter im großen Ministerium gab, der so exzellent die Rechtschreibregeln beherrschte und so brillant formulieren konnte, wie er selber. Zumindest war er selber der Ansicht und dokumentierte dies stündlich, indem er gewissenhaft und sehr genau selbst die kleinsten Notizen der ihm untergebenen Referatsleiter korrigierte. Der Minister musste seiner Auffassung nach dankbar sein, dass er so eine vorbildliche Arbeitskraft in seiner Nähe hatte.

      Bereits in den 80ger Jahre hatte ein Mieter der schönen Schwabinger Wohnliegenschaft am Englischen Garten in München, dem damaligen Finanzminister Waigel sein Leid in einem Brief geklagt: „Lieber Herr Finanzminister Waigel“, schrieb Herr Xavier Schönhuber, „nun wohne ich bereits drei Monate in dieser Wohnung und mein Wasserhahn im Badezimmer tropft immer noch. Bitte kümmern Sie sich endlich um diese dringliche Angelegenheit. Mit freundlichen Grüßen Xavier Schönhuber.“

      Da der Finanzminister gerade durch ein europäisches Gipfeltreffen mit seinen Kollegen an der Beantwortung des Briefes gehindert war, übernahm Herr Dr. Kleist persönlich diese Angelegenheit und scheute sich auch nicht, alle drei Wochen bei der Ortsverwaltung München nachzufragen, ob denn nun der Wasserhahn endlich repariert sei. Da er einmal so gut im flow war (auch ein Wort, das er von einem Berater aufgeschnappt hatte), beantwortete er noch gleich ein weiteres Beschwerdeschreiben der Familie Hölzel, die sich über das sonntägliche Schnitzel klopfen auf dem Küchentisch ihrer Überbewohner beschwerte.

      Nachdem sich seine Adresse im Ministerium bei den Mietern herum gesprochen hatte, erhielt Herr Dr. Kleist täglich einen ganzen Sack voller Beschwerden