Leonie Reuter

Mit Sudoku und Beratung an die Börse


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in einem leicht genervten Unterton. Dabei warf sie einen ängstlichen Blick auf die Tür, durch die sie gleich in das Zimmer des Staatssekretärs gerufen werden würde. „Das weiß ich auch Frau Doktor und dennoch soll er doch mit den Kasernen wirtschaftlich umgehen. So wie mit den Käschkaus.“

      „Den was?“, fragte Frau Dr. Schleicher-Hartmann mit nun richtig genervten Unterton. „Na, den wirtschaftlichen Kühen eben“, kam die Antwort, die Frau Dr. Hartmann-Schleicher jedoch nicht mehr wahrnahm, da die Tür vor ihr aufgegangen war und die große Erscheinung des Staatssekretärs im Türrahmen stand und sie mit einer jovialen Handbewegung zum Eintreten aufforderte.

      Als sich die Tür hinter Frau Dr. Schleicher-Hartmann geschlossen hatte und der Staatssekretär sie auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch platziert hatte, ließ er sich hinter seinem Schreibtisch nieder und fing gleich an zu reden. „Es geht um unser Großprojekt Nummer 1. Mittlerweile begeistern sich selbst die Parteigänger und Lobbyisten jeglicher Ausrichtung an meinem innovativen Projekt. Alle sind auf einmal mit ausladenden Reden und vor allen Dingen, mit Besserwisserei dabei. Jeder hat eigene Vorschläge und alles wird täglich neu beraten und fast noch schneller verworfen.

      So geht es nicht weiter. Wir – und damit meine ich Ihre Abteilung muss diesem Projekt endlich eine Struktur geben. Ich meine eine richtige Struktur, die hält und auch vor dem Minister besteht. Wie Sie das machen ist mir gleich. Heute ist Montag. Spätestens am Mittwochnachmittag Punkt 15.00 Uhr will ich ihren Entwurf sehen.“

      „Aber“, hob Frau Dr. Schleicher-Hartmann an. Der Staatssekretär sprang auf und schrie: „Nichts aber, aber.“ Er sprang um den Schreibtisch herum, schob Frau Dr. Schleicher-Hartmann sanft zur Tür hinaus und rief noch, bevor er mit einem Knall die Tür schloss: „Ich erwarte Sie Mittwoch um 15.00 Uhr“.

      Völlig durcheinander erreichte Frau Dr. Schleicher-Hartmann ihr Arbeitszimmer. Sie ließ sich vor dem Computer auf ihrem Schreibtisch nieder und war ratlos. „Außer einigen Worthülsen ist doch die letzten Wochen noch nichts Konkretes zu dem Projekt auf das Papier gebracht worden“, dachte sie entsetzt. „Was soll ich jetzt bloß machen? Woher soll ich eine Struktur nehmen?“ Sie schaute auf ihre Mails, aber ihre Gedanken waren bei den Liegenschaften, den Wohnungen, den Kühen. „Halt“, dachte sie, „wieso Kühe? Ach ja, die Büchner mit ihren Käschkaus. Was sind eigentlich Käschkaus?“

      Sie startete eine Suche im Internet nach „Käschkaus“. Das Wort gab es gar nicht. „Meinten Sie „cash cows“ fragte die freundliche Technik zurück. „Mhm vielleicht“, überlegte sie und schaute sich das Ergebnis an:“ Als Cashcow, Goldesel oder Melkkuh bezeichnet man allgemein ein Produkt, mit welchem hohe Gewinne erwirtschaftet werden“, stand auf ihrem Bildschirm zu lesen. Frau Dr. Schleicher-Hartmann staunte nicht schlecht, dachte einen Moment nach und rief dann freudig aus: „Mein Gott, das ist es. Käschkaus.“

      Mit Beraterverstand zur Deutschen Anstalt

      Punkt 15.00 Uhr trat Frau Dr. Schleicher-Hartmann am nächsten Mittwoch mit hoch erhobenem Haupt in das Arbeitszimmer des Staatssekretärs und schmiss ihm geradezu ihren Entwurf auf den Schreibtisch. „Jetzt kann es losgehen“, schmetterte sie optimistisch. Der Staatssekretär zog die Augenbrauen hoch. Solch einen Ton war er gar nicht von seiner Untergebenen gewöhnt. „Sie haben ja gute Laune“, brummelte er, bedeutete mit einer Handbewegung, dass Frau Doktor nun vor seinem Schreibtisch Platz nehmen sollte, zog den Entwurf, der sich in einem grauen Aktendeckel befand, quer über den Schreibtisch zu sich her und fing an zu lesen.

      Er las und las, brummelte dabei etwas Unverständliches vor sich hin und umso mehr Zeit verging, desto tiefer rutschte Frau Dr. Schleicher-Hartmann auf ihrem Stuhl in sich zusammen. Endlich und wie es ihr erschien, nach einer unendlich langen Zeit, hatte der Staatssekretär aufgehört zu lesen. Er starrte anscheinend durch Frau Dr. Schleicher-Hartmann hindurch und schien in seinen Gedanken weit weg zu sein. Er erhob sich, ging einige Schritte im Zimmer auf und ab und dann sagte er mit fast feierlicher Stimme: „Genial“. Mehr sagte er nicht. Mit einer Handbewegung Richtung Tür entließ er Frau Dr. Schleicher-Hartmann aus seinem Zimmer. Diese huschte mit vor Freude erröteten Wangen eilig aus dem Raum.

      Im Kopf des Staatssekretärs rumorte es. „Cashcows, cashcows, cash, Geld, viel Geld“. Selbstverständlich würde er dieses unzulängliche Konzept noch ein wenig umschreiben müssen, aber die Grundidee war brauchbar. Er persönlich würde ein Staatsunternehmen gründen, das mit den wirtschaftlichen Liegenschaften viel Geld verdienen würde. Die anderen Liegenschaften würden verkauft werden und damit dem Staat weiteres Geld einbringen. Dadurch würden auch keine weiteren Nebenkosten für die unwirtschaftlichen Liegenschaften anfallen. „Genial, diese Sache mit den Cashcows“, murmelte er vor sich hin. „So etwas Geniales kann doch nur aus meinem Hause kommen.“

      Es waren nur wenige Wochen vergangen, die der Staatssekretär und seinen engsten Mitarbeiter benötigt hatten, um ein Grobkonzept zu entwerfen, das sie dem Minister vorstellen wollten. Es sollte so etwas wie ein Unternehmen entstehen, das aus einer Veräußerungssparte bestand und einer weiteren Sparte, die sich um die wirtschaftlichen Liegenschaften, die nun allseits so genannten Käschkaus kümmern sollte.

      Daneben brauchte man noch Dienstleistungssparten für Organisation, Personal und Technik. Auch die Finanzen müssten in einer gesonderten Sparte geregelt werden. „ Na ja, und um die restlichen kleinen Notwendigkeiten, sollen sich nun auch einmal Andere kümmern“, ließ der Staatssekretär verlauten, nachdem er dem Minister seinen ersten Grobentwurf vorgestellt hatte. Dieser schien noch nicht so ganz überzeugt von dem sogenannten „Cashcow Unternehmen“, wie er es bezeichnete, ließ jedoch den Staatssekretär gewähren. „Vorerst“, wie er streng für das Protokoll mitteilte.

      Um dem Projekt nun aus der Grobstruktur in eine Feinstruktur zu verhelfen, wurden Arbeitskreise und Implementierungsgruppen in das Leben gerufen. Über all diesen Gruppen wurde – wie es sich gehörte – ein gut besetzter Lenkungskreis eingesetzt. Man tagte im Ministerium, in der Außenverwaltung und an sehr vielen weiteren schönen Orten. Bei diesem großen außergewöhnlichen Geburtsvorgang eines Immobilienunternehmens stand als Geburtshelfer anstelle von Hebammen eine Heerschar von Beratern zur Verfügung.

      Diese hatten wie die Haifische über kaum nachvollziehbare Kanäle viel Geld gerochen. Da so ein Projekt erst- und einmalig war, war es selbstverständlich, dass gerade in der Vorphase ausreichend fremder Sachverstand eingekauft werden musste. Die für das Großprojekt gewonnenen Berater führten in der Vorstufe zunächst viele Befragungen durch, mit denen sie wieder andere Beratungsfirmen beauftragten.

      Es gab Studien und Folgestudien, Untersuchungen und Gutachten. Daraus resultierten viele nützliche Erkenntnisse, die in mehr oder auch manchmal weniger professionelle Präsentationen verpackt wurden. Das gesamte Geschehen wurde von den äußerst engagierten Beratern gelenkt, die sich sehr bemühten, auch ihre Geschäftskontakte von diesem großen Vorhaben profitieren zu lassen. Alles geschah selbstverständlich, um die gesamte Verwaltung entsprechend zu erneuern und umzustrukturieren oder wie es im Beraterdenglisch hieß, „zu changen“.

      Die meisten Bediensteten der Außenverwaltung, die durch die Befragungen der Beraterfirmen zumeist erstmalig in Kontakt mit Beratern kamen, hatten zunächst Berührungsängste und taten sich teilweise ein wenig schwer im Umgang mit den weltmännischen Geschäftsleuten.

      Im weltoffenen Ministerium sah man die Angelegenheit hingegen vollkommen anders und versuchte sich innerhalb von drei Jahren völlig flexibel dem neuen Vokabular anzupassen. Schnell gab es keine Beratungen mehr, sondern nur noch meetings. Wenn dieses meeting das erste seiner Art war, sprach man von kick off meeting, bei dem kein hand out fehlen durfte, damit der workload stimmte.

      Die Referatsleiter im Ministerium übertrafen sich gegenseitig beim Praktizieren des neuen Wortschatzes und stellten damit wieder einmal mehr unter Beweis, dass doch tatsächlich im Ministerium die tüchtigen und lernfähigen Beamten eingesetzt waren, die sich erheblich von der Außenverwaltung abhoben. „Aber auch denen da draußen werden wir noch beibringen, was ein hand out ist“, erklärte der Staatssekretär persönlich in einer lockeren Mittagstischrunde in der ministeriellen Kantine. Stolz erwähnte