bei diesem Abschnitt Kasseler Stadt- und Landesgeschichte:
Friedrich II., ältester Sohn des Landgrafen Wilhelms VIII., regierte zwischen 1760 und 1785. Durch sein großes Interesse an Kunst und Wissenschaft und seine glänzende Hofhaltung spricht man heute von seiner Regierungszeit als der goldenen Zeit[86]. 1777 gründete er die Akademie der bildenden Künste, ferner entstanden zwischen 1769 und 1779 das Museum Fridericianum und 1783 der Friedrichsplatz.
Begeht man die Museumsstraße in südöstlicher Richtung und biegt dann in die Bellevue-Straße (nach rechts) ein, passiert man, wie Moritz Hensoldt seinerzeit, das Palais des Prinzen Friedrich, des Kurprinzen, gegenwärtig, also im Jahre 1842, der Sohn Kurfürst Wilhelms II (Regierungszeit 1813-1866) , außerdem neben der Maler- und Bildhauer- Akademie, der Akademie der bildenden Künste, das namengebende Palais Bellevue.
Schloß Wilhelmshöhe, das Moritz „von Weitem sah und das sich herrlich ausnimmt“, verdankt seine Erbauung dem Sohn des Landgrafen Friedrichs II, Wilhelm IX (1743-1821).
Wilhelm IX. galt als der reichste Fürst seiner Zeit, dessen Bankgeschäfte von Amschel Meyer Rothschild geführt wurden. 1786-1803 ließ Wilhelm das Schloss Wilhelmshöhe erbauen, 1793-1802 entstanden die Löwenburg und die Wasserfälle im Bergpark[87].
„Der Kurfürst treibt sich schon seit 1830, wo der Aufruhr war in fremden Ländern herum, und kommt nicht hierher, es regiert jetzt der Kurprinz, diesen sah ich am Sonntag.“
Wilhelm I verstarb 1821. Sein einziger Sohn Wilhelm II. gelangte 44jährig zur Regierung, eine Regierung, „die so schlecht war, wie sie in einem kleinen Lande ohne Stände sein konnte“[88]. .Die Finanzwirtschaft muss besonders schlecht gewesen sein — das Land wurde mit einer Landes-Schuldensteuer und anderen Steuern fast erdrückt, auch andere,„durch Misswirtschaft und private Verstrickungen verursachte Verfolgungen seiner Landeskinder“ trugen schließlich zum Volksaufstand vom 6. September 1830 bei, in dessen Folge sich der Kurfürst genötigt sah, die Landes-Schuldensteuer persönlich zu übernehmen und sich mit seiner Geliebten am 23. März 1831 nach Schloß Philippsruhe bei Hanau zurückzuziehen. Von hier aus ernannte er seinen Sohn Friedrich im September 1831 zum Mitregenten mit der Ermächtigung, allein und ausschließlich die Regierungsgeschäfte zu führen. Er selbst lebte seitdem abwechselnd in den Schlössern Philippsruhe bzw. Wilhelmsbad bei Frankfurt, „oder in einer angenehmen Villa bei Frankfurt“ [89]. Dort verstarb er im Jahre 1847.
„Daß Bernhard geschrieben hat freut mich; ich war wegen dem Eisenbahnunglück auch besorgt um ihn. Bitte, wenn Du ihm schreibst, ihn von mir zu grüßen“.
Es erscheint nicht sonderlich schwer, so der Unfall in Deutschland und während oder infolge einer Bahnfahrt stattgefunden hat, die im Jahre 1842 in Frage kommenden Eisenbahnstrecken zu finden. Es gab damals nämlich nur ganze zwei: seit dem 7. Dezember 1835 die Ludwigsbahn auf der 6,1 km langen Strecke zwischen Nürnberg und Fürth, seit 1839 eine 115 km lange Strecke zwischen Leipzig und Dresden[90]. Jedoch haben sich keine Hinweise gefunden, die auf ein Zugunglück in Deutschland schließen ließen.
Sehr wohl hatte sich jedoch am 08. Mai 1842, was ja auch recht genau in die Zeit dieses Briefes passt, ein Eisenbahnunglück in Frankreich, nämlich auf der Strecke Paris - Versailles, zugetragen. Hierbei gab es, ein voll besetzter Personenzug war entgleist, 50 Todesopfer[91]. In einem späteren Brief [92] ist von des Bruders „Malheur“ die Rede, von dem er den Eltern nach seinem Frankreichaufenthalt erzählt, der allerdings nichts mit der Eisenbahn zu tun hat.
Bild 30: Fritz Hummel, Parade auf dem Friedrichsplatz
Einem späteren Brief Carl Kellners an den Freund entnehmen wir,[93],dass Bernhard Hensoldt in Paris Kontakt hatte mit den Glashütten von Denis Potonie und von Choisy le Roi. Der ältere Bruder hat sich also um diese Zeit in Paris aufgehalten. Sein Brief nun hat Eltern und Bruder beruhigt.
„Nächsten Sonntag soll hier große Parade seyn“
Auch diesmal fällt auf, wie genau der Sohn alles Militärische dem Vater beschreibt. Natürlich weiß Moritz Hensoldt, wie sehr es den Vater interessieren wird, wenn er diesem von der „herrliche Trompeten- und Paukenmusik“ schreibt - schließlich war Heinrich Christoph Hensoldt, wie er an Goethe schreibt, Regimentstrompeter gewesen[94].
„Die Musik hat lauter Eisenschimmel, und die 2 Schwadron Garde du Corps lauter Braune“.
Bild 31: Trompeter vom hessischen Garde-Chevaux-Legers-Regiment
Für uns heute kaum vorstellbar, welch ein Aufwand in diesen Zeiten hinsichtlich der Uniformen und Pferde betrieben worden ist. Wie prächtig sich ein Regiments-Trompeter dieser Zeit ausnahm, mag Bild 31 veranschaulichen.
Grüßen läßt Moritz Nachbarn bzw. Freunde der Eltern, Ernst ist auf seiner Wanderschaft sein Begleiter längs des Thüringer Waldes bis Walldorf gewesen[95]. Herr Klug „das wäre etwas für den Klug“ — nämlich Kassels schöne Gebäude und Plätze — konnte in des Vaters Buch über Sonneberg in Form eines Zeichners Kluge aufgefunden werden, der die Vorlage für den Stahlstich der Sonneberger Stadtpfarrkirche geschaffen hat. Ob die beiden allerdings identisch sind, ist unbekannt. Herr Menzel war der Oberförster in dem Sonneberg nahen Oberlind, von dem der Vater berichtet[96]. Sein Fernrohr wird den jungen Mann noch reichlich beschäftigen. Jetzt wird es mit der nächsten elterlichen Sendung erwartet.
Bei Caroline handelt es sich vermutlich um die Dienstmagd im elterlichen Haushalt, sie wird in diesem wie in den meisten der folgenden Briefe gegrüßt.
Der Name Lindner ist um diese Zeit in Sonneberg wohlbekannt gewesen: Der „Kaufmann und Handlungshausbesitzer“ Johann Christoph Lindner (*07.11.1796) ist „Eigentümer eines der schönen Lindnerschen Häuser am südwestlichen Ende der hiesigen Stadt nach Neustadt zu“[97], so hat es der Vater berichtet. Lindner ist gleichzeitig Vorsitzender des Sonneberger Gemeinderates[98] und des sich am 06.01.1844 gründenden Augustenvereins, der sich die Bebauung des Sonneberger Schlossberges mit der Stadtpfarrkirche zum Ziel genommen hat[99].
Mde, was sicher Madame heißen soll Höserich wird nur in diesem, in keinem der folgenden Briefe mehr gegrüßt. In des Vaters Buch findet sich unter „Nachrichten anläßlich der Grundsteinlegung zur neuen Kirche“ am 05.06.1843[100] ein Müllermeister Philipp Höserich, geboren daselbst am 8. Februar 1800. Er ist in dieser Zeit, wie Johann Christoph Lindner, Mitglied des Gemeinderats. Madame Höserich ist vielleicht die Ehefrau dieses Müllermeisters.
5. Brief
väterl. Vermerk: Cassel, den 17 Juni 1842
Empf. 20/6 früh
Beantw. ad sofort
Lieber guter Vater!
Länger will ich euch doch nicht auf einen Brief warten lassen; ich hätte wohl schon
lange geschrieben, aber ich bin 14 Tage krank gewesen, und seit gestern vor 8 Tagen gar nicht in die Werkstatt gekommen. Erst heut geht es besser, aber ich bin noch schwach, was Du an meinem schlechten Schreiben sehen kannst.
Heute vor 14 Tagen Abends bekam ich auf einmal Kopfweh, das sich den andern und dritten Tag nicht verlor; endlich kam es auch in den Leib, und machte
mir viele Schmerzen und wurde so schwach, daß ich keine Feile mehr halten
konnte; es wurde jeden Tag schlimmer, und ich hatte entsetzlichen Schwindel;
und gar keinen Stuhlgang aufgetriebenen Leib, konnte nichts essen pp.
Dann blieb ich zu Hause und ging zum Doktor, und weil dieser nicht zu Hause war, so holte ich mir in der Apotheke Laxierpillen, worauf eine ungeheure Menge von nichts als Wasser abging; dieses sah schwärzlich und roch nach Schimmel. Es wurde mir aber nicht besser, und ich ließ den Doktor doch noch holen. Dieser verschrieb mir Pulver, worauf ich noch etwas laxieren mußte, und später ein Glas voll Arznei; und heute sagte er mir, daß ich mir Baldrian Thee in der Apotheke holen lassen und täglich