Der Mutter meinen besonderen Dank für den Kuchen. Die andern Hemden soll sie noch zurückbehalten. Ich kann jetzt noch nichts bestimmtes schreiben, ich muß erst eine Zeit lang zusehen, um zu sehen, wie hoch sich mein Verdienst beläuft.
d.O.
Umschlagseite
Herrn
Verwaltungsamtssekretair Hensoldt (Post-Stempel): CASSEL 27 5 1842
Wohlgeboren
in Sonneberg b. Coburg
Bild 20: F.W.I Breithaupt : Kreisteilmaschine von 1818
Bild 21: Moritz Hensoldts 4. Brief vom 23.05. 1842, erste und Umschlagseite
Anmerkungen
Den vierten Brief an den Vater hat Moritz Hensoldt genau eine Woche nach seinem letzten geschrieben. Jetzt ist er in „Caßel“, seinem Ziel, angelangt und hat bereits seine Arbeit bei Breithaupt aufgenommen.
Verfasst hat Moritz Hensoldt sein Schreiben an den Vater an einem Montagabend den 23. Mai 1842, nach Beendigung seiner Arbeit. Nach Heimgang und Abendessen wird er gegen 20 Uhr frühestens seinen Brief nach Sonneberg angefangen haben, und da er sparsam war, wurde in Zeiten des Kerzenlichtes mit dem Briefeschreiben aufgehört, wenn es draußen zu dunkeln begann.
Einzig die Quartiersuche-und findung war nicht von Sonneberg aus geplant, wir bemerken noch heute deutlich den Unmut über den Mietpreis „für ein dürftig meublirtes Stübchen“. Hensoldt und auch uns heute erscheint ein Betrag von 52 ½ Gulden jährlich[59],der einem Monatsbetrag von 145,75 € entspricht, reichlich hoch, vor allem, wenn dieser Preis noch garniert wird mit der Zumutung, wir lesen in Briefen vom 11. September 1842 und 20. März 1843 darüber, während der Kasseler Messen in einem ungemütlichen Dachkämmerchen hausen zu müssen, weil die Wirtsleute in dieser Zeit sein Zimmer an Messegäste vermieten.
Es wird nirgendwo erwähnt, aber es ist offensichtlich, Sohn und Vater haben die Wahl der Arbeitsstätte nicht dem Zufall überlassen, wie dies ja eigentlich Brauch war bei der Mehrzahl der fahrenden Gesellen. Diese Werkstätte ist vielmehr sorgfältig ausgesucht worden[60]. Moritz Hensoldt Mann hat sich beworben und eine schriftliche Zusage war ihm Voraussetzung seiner gezielten Wanderschaft.
Der um diese Zeit noch handwerkliche Betrieb F.W. Breithaupt & Sohn bestand bereits seit 80 Jahren. Gegründet von Johann Christian Breithaupt im Jahre 1762, der als Hofmechanicus des Landgrafen von Hessen-Kassel feinmechanische und optische Instrumente von hoher Präzision herstellte[61], wurde die Werkstatt um die Zeit, in der Hensoldt hier eintrat, von Friedrich Wilhelm(I) Breithaupt (1780-1855) geführt.
Der Schreiber sagt uns bereits in diesem Brief sehr genau, was bei Breithaupt angefertigt wird: überwiegend Vermessungsinstrumente für geodätische Zwecke, nämlich für die Landesvermessung, aber auch für den Bergbau der vorindustriellen Zeit
Um Theodolithen hoher Genauigkeit herstellen zu können, entwickelte Friedrich Wilhelm I Breithaupt mehrere neue Kreisteilmaschinen. Es ist seine zweite, die 80 cm im Durchmesser misst, die Jahreszahl 1818 trägt und heute noch zu sehen ist, die die Faszination und Bewunderung unseres Mechanikus erregt und von der er dem Vater erzählt. Sie wurde mit Hilfe von Fadenmikroskopen eingestellt, mehrfach verbessert und bis 1902 für an die 12 000 Kreisteilungen benutzt[62].W. Heger hält den Umstand, dass die Konstruktion dieser Maschine von fahrenden Gesellen eingesehen werden konnte, für außerordentlich liberal, denn jeder von ihnen konnte sein Wissen darüber weitertragen[63].
„Sie ist [...].dabei so leicht zu theilen, daß man auf die Theilung gar nicht zu sehen braucht.“
Rolf Riekher nimmt zum Thema Kreisteilmaschine an späterer Stelle umfangreich Stellung[64], wie man mechanisch teilt, beschreibt er ebenfalls[65].
„Doch ist sie auch mit der Schraube ohne Ende.“
Was es mit dieser Schraube auf sich hat, die heute Schnecke heißt, wird im Kommentar zu Moritz Hensoldts 13. Brief näher erläutert, einschließlich der ausführlichen Stellungnahmen von Rienitz und Riekher[66]. Wie man sich die Schraube vorzustellen hat, verdeutlicht die Abbildung 22.
In der Werkstatt arbeiten, der neue „Gehülfe“ verbessert am Ende seines Briefes seine „Werkstatt-Statistik”, zur Zeit seines Eintritts im Mai 1842, neben dem Prinzipal
Bild 22: „Schraube ohne Ende“
vier Gehilfen, ein Schreinergeselle und sechs Lehrlinge, Breithaupt hat also elf Angestellte.
„Ich will nun sehen, was er mir für den Stangenzirkel [67] giebt, wenn er fertig ist“. Wie man sich ein Dienstverhältnis zu jener Zeit vorstellen muss, kann man hier nachlesen. Hensoldts Patron vergibt neben der Stundenarbeit Stückarbeit, was bedeutet, die Gehilfen erhalten den Auftrag, einen Stangenzirkel, eine Boussole mit Aufsatz, wie hier beschrieben, oder ein anderes Messinstrument herzustellen und werden für diese Arbeit gesondert bezahlt - WENN der Meister damit zufrieden ist[68]. Ist das nicht der Fall, zieht sich die Arbeit in die Länge, auf Kosten des Gehilfen. Der leistet neben diesen zusätzlichen Aufträgen, mit deren Hilfe er über den Wochenarbeitslohn hinauskommen kann, Wochenarbeit, kleinere Arbeiten, wie sie in der Werkstatt anfallen. Dafür hat Moritz Hensoldt später einen Wochenlohn von 3 Talern erhalten[69]. Über Wochenarbeitsaufträge berichtet der junge Gehülfe in vielen seiner Briefe[70].
Arbeits- oder Angestelltenverträge waren unbekannt, das Arbeitsverhältnis konnte jederzeit einseitig aufgekündigt werden, sowohl vom Arbeitgeber wie vom Arbeitnehmer, und dies mit sofortiger Wirkung. Hensoldt berichtet über einen solchen Fall in seinem achten Brief[71]. Hier lernen wir auch die "Wochenarbeitszeit" eines Handwerkers damaliger Zeiten kennen: täglich, einschließlich Samstag von 5 Uhr morgens bis 7 Uhr am Abend. Selbst, wenn man davon eine Mittagspause und sonstige Pausen von einer Stunde abzieht, bleibt das ein Arbeitspensum von täglich 13, wöchentlich 78 Stunden.
Es sind sicher diese persönlichen Erfahrungen, die in die Arbeitsordnung eingeflossen sind, die von den Optischen Werkstätten M. Hensoldt am 01.August 1897, also 55 Jahre später, „im Einverständniß mit den erwachsenen Arbeitern der Anstalt“ erstellt worden sind[72].
Um diese Zeit ist Hensoldt seit 45 Jahren selbst Arbeitgeber gewesen. Allerdings hatte sich in der Zwischenzeit vieles geändert: es gab eine Art Arbeitsvertrag, in Form nämlich dieser Arbeitsordnung, die Arbeitszeiten dauerten im Sommer von 7 Uhr bis 18.15 Uhr (01.03. bis 15.11.), im Winter von 8 Uhr bis 19 Uhr, die Arbeitspausen insgesamt 1 1/2 Stunden pro Tag. Neben einem Wochenlohn gab es „Accordarbeit“, auf die Vorschüsse gewährt werden. Es gab eine gegenseitige Kündigungsfrist von 14 Tagen und eine Krankenunterstützungskasse.
Wie wenig zu Zeiten der Wanderschaft Hensoldts die Existenz des Arbeitnehmers während einer Erkrankung gesichert war, davon wird unser Mechanikus bereits im nächsten Brief berichten.
Dennoch scheint das Arbeitsklima ein gutes gewesen zu sein: die Lehrlinge, die Hensoldt zunächst für „Gehülfen“ hielt, seien „lauter fidele Knochen“, die den ganzen Tag Narrenspossen machen. Allerdings haben sie nach des neuen Gehülfen Geschmack zuviel (Narren-)Freiheit.
Recht eingehend beschreibt der junge Mann den hübschen Aufsatz, “..der auf eine Boussole geschraubt wird“, den er im Auftrag seines Prinzipals anfertigen soll. In der Festschrift Breithaupt & Sohn[73] ist die Zeichnung eines repetierenden Theodolithen mit Bussolen-Nivellier-und Meßtischapparat abgebildet, ein Instrument, das dem hier angefertigten Stück, wie Riekher schreibt[74], wohl nahekommt. Jedoch habe Hensoldts Arbeit sich nicht auf das ganze Instrument sondern nur auf dessen oberen Teil erstreckt. Da ein großer Bedarf herrschte, wurden Boussolen und Kippregeln von allen Herstellern in vielfacher Form und Variation angeboten[75].
„Der Vertikalkreis (hier Höhenbogen) muss nicht