Auf den Resten einer mittelalterlichen Burg ließ Herzog Erich Freund von Sachsen-Meiningen an dieser Stelle in den Jahren 1836-1840 ein Schloss nach dem Vorbild der englischen Schlösser Hampton Court und Windsor Castle errichten. Die Architekten waren der Meininger Hofbaurat August Wilhelm Doebner und der Nürnberger Architekt Carl Alexander von Heideloff. Nach Plänen des letzteren wurde der große Aussichtsturm nach Nordwesten, ferner der Rittersaal erstellt, dieser soll der bedeutendste neugotische Saal Thüringens sein.[47]
Bild 13: Schloss Landsberg, Lithographie von 1858
Das große Interesse und „die wahre Ehrfurcht vor dem berühmten Heideloff“ verdankt Moritz dem Vater. Als der große Stadtbrand vom 27. August 1840 auch die Sonneberger Stadtpfarrkirche zerstört hatte, von Heinrich Christoph Hensoldt, der offensichtlich Augenzeuge war[48], dramatisch geschildert, wurde nach vielerlei Diskussionen[49] im Winter 1842/43[50] beschlossen, „den großen Meister in der herrlichen altdeutschen Baukunst Professor Karl Heideloff aus Nürnberg“, mit der Bauplanung-und-ausführung zu beauftragen. Als Altdeutsch bezeichnete man damals irrtümlich[51] in Goethes Nachfolge, der sie so recht als deutsche Kunst empfand[52], den gotischen Stil.
Heideloff empfahl sich auch durch den in unglaublich kurzer Zeit „so fürtrefflich als verhältnißmäßig wohlfeil“ ausgeführten Bau der Kirche zu Schönaich im Württembergischen[53]. Es waren die Argumente: schnell, fürtrefflich und wohlfeil, die bei den Sonnebergern verfingen und dazu führten, dass nach einem ersten Besuch Heideloffs am 19.04.1843, die Grundsteinlegung bereits am 5.Juni des gleichen Jahres erfolgen konnte. In der nahezu unglaublichen Zeit von 16 Monaten ist, wie Heinrich Christoph Hensoldt es eingehend beschreibt, der Kirchenbau in Sonneberg so weit fertig gewesen. Die vorveranschlagten Baukosten von 83.023 fl waren gemäß Hensoldts Aufstellung[54] sogar um 676 fl. unterschritten, was bedeutet, dass Heideloff alle Erwartungen der Sonneberger übererfüllt haben muss.
Bild 14: Stadtpfarrkirche zu Sonneberg, Stahlstich von 1845
Als Moritz das Werratal im Mai des Jahres 1842 erstmals bereiste, war es allerdings noch nicht so weit. Vielmehr herrschte in Sonneberg[55] noch eine lebhafte Diskussion darüber, wo die Kirche errichtet werden und wen man mit der Bauplanung beauftragen sollte.
Während der Sohn die Leistungen des Architekten Heideloff bewundert — natürlich, weil der Vater von ihm erzählt hat — muss „Meister John“, so bezeichnet der Vater den Sonneberger Oberpfarrer Johann Simon Koch, den Wunsch geäußert haben, einen namhaften Kirchenbaumeister mit dem Neubau zu beauftragen. Von Heideloff ist da noch keine Rede. Verfolgt man nun im Buch Hensoldts den weiteren Werdegang, schaut dabei auf das Briefdatum des Sohnes, kommt der begründete Verdacht auf, dass Heinrich Christoph Hensoldt von Anfang an alle am Kirchenbau Beteiligten in seinem Sinn beeinflusst hat — er war es, der den Bauplatz auswählte, er war es auch, der den Architekten Heideloff erfolgreich ins Gespräch brachte[56].
Da sie sich in Meiningen, auch wegen des Ausflugs auf den Landsberg, etwas länger aufgehalten hatten, kam unser Wanderer nur noch „sachte“ voran. Mit Blasen an den Füßen lässt es sich nicht gut wandern. Weiter ging es entlang der Werra, nunmehr in nordnordwestlicher Richtung bis Wasungen. Schon in Walldorf, wahrscheinlich nach dem gemeinsamen Besuch des Landsberges, hatte er Abschied von Ernst genommen. Der Schwan in Wasungen, das zweite „Logis“ während dieser Reise, hat das Prädikat gut bekommen.
Ab Wasungen erfahren wir keine Details mehr. Der junge Mann ist alleine und — müde. Nachgemessen an einem neueren Plan, hat Hensoldt an diesem Sonntag zwischen Wasungen und Eisenach 40 km, trotz der Blasen an den Füßen, zurückgelegt, gewiss eine eindrucksvolle Tagesbilanz. Und dann schreibt er noch: „der Müdigkeit halber hätte ich weiter gekönnt“.
Der Werra weiter folgend, verläuft der Weg von Wasungen nördlich nach Breitungen, weiter nach Barchfeld mit dem nahen Salzungen. Nördlich davon war Abschied zu nehmen vom schönen Werratal, der Weg führt nun über Gumpelstadt vorbei an dem nahe gelegenen Schloss und Park Altenstein. Vieles spricht dafür, dass unser Wanderer hier ausgeruht hat: der Altenstein gehörte in späteren Jahren zum Pflichtprogramm aller nach Thüringen reisenden Familienmitglieder — es müssen die Eindrücke aus dieser Zeit gewesen sein, die Moritz Hensoldt seinen Kindern weiter gegeben hat[57].
Bild 15: Breitungen und Werra heute
Bild 16: Schloss und Park Altenstein
Bild 17: Drachenschlucht am Fuße der Wartburg
Weiter führt der Weg nun über Wilhelmsthal entlang der Drachenschlucht, bekrönt von der Wartburg, von der Marienhöhe herunter nach Eisenach, wobei der Sohn dem Vater berichtet: „[...] und sehr romantisch sieht die Wartburg [aus,] wenn man durch die Felsenstraße hereingeht“ ein Weg, der diesen besonders schönen Ausblick auf das Wahrzeichen Eisenachs bietet.
Bild 18: Fr. Preller d.Ä : Ansicht der Wartburg von Südosten
Der Zufall wollte es, dass ich eine Zeichnung fand, auf der die Wartburg nicht nur genau von der Seite her gezeichnet ist, wie sie Moritz Hensoldt gesehen haben muss, sondern die auch noch recht genau zum Zeitpunkt seiner Wanderung entstanden ist. Der von Moritz so bezeichnete Felsenweg heißt Drachenschlucht und ist noch heute eindrucksvoll.
Jetzt erholt sich der junge Mechanikus von seinen „Feiertagsstrapazen“ bei Kalbsbraten und Kartoffelsalat, und auch das - Erfurter - Bier entspricht endlich wieder seinen Vorstellungen.
Zeit genug hat er ja noch, wie er dem Vater mitteilt: von Eisenach bis Kassel sind es etwa 90 km, eine Strecke, die er bequem in drei Tagesetappen zurücklegen könnte, am Ende hat er nur zwei Tage dafür benötigt.
Das Wetter hatte ja bisher auch mitgespielt, es war für die Jahreszeit und Gegend ungewöhnlich warm gewesen, sonst hätte der Schweiß unseren Wanderer nicht so geplagt.
Am Donnerstag, den 19. Mai der kommenden Woche jedenfalls hat Moritz Hensoldt bereits seine Arbeit bei Breithaupt in Kassel aufgenommen, denn unter dem 26. Mai seines folgenden Briefes, den er am 23. Mai beginnen wird, schreibt er: „Heute arbeite ich nun schon 8 Tage“, was bei ihm stets eine Woche bedeutet.
Dem militärisch interessierten Vater berichtet er auch von den Laubfröschen, so nannte man damals ein Weimarisches Infanterie-Regiment ob seiner grünen Uniformen[58], ferner von dem dekorativ aussehenden hessischen Cavalleristen.
Jedenfalls, das lässt der Poststempel erkennen, hat Moritz Hensoldt wie versprochen seinen Brief am folgenden Tag in Eisenach auf die Post gegeben.
Bild 19: Kassel, Schloss Wilhelmshöhe, Aufnahme um 1900
4. Brief
Caßel am 23ten Mai 1842 (väterl.Vermerk): emp.30/5 42.
Lieber Vater!
Heute kurz vor Mittag erhielt ich dein liebes Briefchen vom 20.d. und freute mich recht sehr darüber. Jetzt fange ich doch an einzugewohnen, aber die ersten Tage wollte es mir gar nicht gefallen, und ich verwünschte die großen Städte, und sehnte mich wieder nach Hause.
Auch die sonderbare Beköstigung war mit Schuld, doch schicke ich mich jetzt in sie. An den Kaffee war ich so nicht sehr gewöhnt, und Abends kaufe ich mir eine Art Koburger Laible, und komme recht gut aus.
Nur mein Logis ist mir zu theuer; jährlich 52 ½ fl für ein dürftig möblirtes Stübchen ist mir doch zu