Francisco J. Jacob

TOD IN DEN KLIPPEN


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Sie saß aufrecht auf ihren Bürostuhl, zog die Tastatur des PCs an sich und schrieb exzellent mit zehn Fingern. Auf einem halbhohen Ordnerschrank stand das eingerahmte Foto, auf dem sie in einem knappen schwarzen Einteiler posierte, eine Schärpe trug und eine Trophäe in der Hand hielt. Es zeugte von einer gewonnenen Miss-Wahl vor nicht alzulanger Zeit. Gleich daneben lagen einige VOGUE Magazine ordentlich aufeinandergestapelt.

      Sie nahm meine Aussage auf und druckte sie sogleich aus. Dann stand sie auf und straffte mit den Händen ihr eng anliegendes Kleid von der Taille abwärts, wobei sie sich zu mir beugte und mir einen Einblick in ihr Dekolleté bot. Sie tat es aber mit der mir bekannten glaubwürdigen Natürlichkeit, so dass ich keine hintergründigen Absichten vermutete. Sie lächelte, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Dann stand sie vor mir, holte Luft und gab mir das Dokument, welches ich zu unterschreiben hatte. Ich hatte vor, sie zu fragen, was es mit der Miss-Wahl auf dem Foto auf sich hatte, als der Comisario durch die Verbindungstür ins Zimmer hereinplatzte.

      »Lola, du musst sofort im Computer nachgucken, was das Scheißtattoo bedeutet!«, wies er sie angesäuert an.

      Dann erst bemerkte er meine Anwesenheit.

      »¡Cojones! Du bist ja schon hier.«

      »Du wolltest doch, dass ich die Aussage ...«

      »Jaja, ist schon gut«, unterbrach er mich.

      »Konntest du von der Schneiderin etwas erfahren?«

      »Fehlanzeige! Mateos Tochter war in der Früh bei ihr und ihr habt die Leiche aber später gefunden. Das heißt, die könnte es sein. Punkt!«

      »Die Warscheinlichkeit wird dadurch nicht höher, dass sie es ist«, bemerkte ich.

      »Komm mir jetzt nicht wieder mit deinem wissenschaftlichen Denken«, kritisierte er.

      Er wusste um meine methodischen Ansätze, mit denen ich ihm vor einem Jahr bei der Lösung des Kriminalfalls geholfen hatte.

      »Ich frage mich noch immer, warum sich bei diesem stürmischen Wetter eine schwangere Frau auf den Weg zur Ermita macht«, sagte ich nachdenklich.

      »¡Joder! Das hätte ich auch gern gewusst.«

      »Ob Ana-María besonders gläubig war?«, fragte Lola. »Das könnte das Tattoo am Finger erklären.«

      »Das könnten uns sicher ihre Eltern sagen«, ergänzte ich. »Aber die können wir nicht fragen, ohne einen Verdacht zu erregen.«

      »¡La hostia!«, fluchte der Comisario. »Wir drehen uns im Kreis!«

      »Obwohl Ángel der festen Meinung ist, dass sie kein Tattoo ...«

      »Ach was«, unterbrach er mich, »der kann ja auch mal was übersehen und daneben liegen.«

      Wir kamen nicht weiter. Wir hatten eine Leiche gefunden und konnten sie nicht identifizieren. Lola hatte zwar etwas über das Tattoo im Internet recherchiert, das auf eine Spiegelung des Charakters hindeutete, was sich jedoch als wenig hilfreich erwies. Wir konnten nichts weiter tun, als auf den Bericht der Gerichtsmedizinerin zu warten. Da klingelte das Telefon.

      »Comisaría de Ribadés, hier spricht Lola ...«

      Die Stimme am anderen Ende ließ sie nicht ausreden. Ich hätte zu gern Lolas Nachnamen erfahren.

      »Einen Moment. Können Sie das bitte wiederholen«, sagte sie. »Der Comisario steht neben mir.«

      Lola drückte die Lautsprechertaste, und wir hörten Ángels aufgeregte Stimme.

      »Fernando, ich habe gerade eben Ana-María Rey getroffen! Sie ist nicht tot! ¡Bendito sea Dios!« (Der Herr sei gesegnet!).

      5

      

      Die französische Touristin

      Voller Erstaunen starrten wir auf das Telefon. Doch jeder reagierte verschieden.

      »¡Joder!«, wetterte der Comisario. »Warum taucht die denn plötzlich bei dir auf?«

      »Ich bitte dich, nicht zu fluchen. Also, ich habe sie zufällig in der Buchhandlung getroffen. Stell dir vor, wie glücklich ich war, nach eurer Hiobsbotschaft, sie gesund und munter zu sehen«, sagte er erleichtert.

      »Was für eine erfreuliche Nachricht«, bemerkte ich, während der Comisario die Hand am Kinn hielt und sichtbar grübelte. Ich hörte förmlich, wie sich die Zahnräder in seinem Hirn immer schneller drehten.

      »Schön. Wenn‘s die Tochter von Mateo nicht ist, wer dann?«, fragte er angespannt.

      »Aber Fernando! Wie kannst du nur so kaltherzig sein?«, warf ihm Ángel vor. »Wir sollten überglücklich darüber sein, dass es nicht Ana-María ist.«

      »Jaja. Ist ja schon gut. Trotzdem hab ich ‘ne Leiche und weiß nicht wer die ist.«

      »Das wirst du schon herausbekommen«, sagte er. »Bedeutend ist, dass Ana-María lebt und der Hochzeit nichts mehr im Wege steht. Übrigens, mit dem Tattoo hatte ich auch Recht, Ana-María hat keins. Ich konnte mich dessen vergewissern.«

      »Danke für die Aufklärung«, sagte der Comisario kurz und knapp.

      »Gern geschehen. Wir sehen uns dann vollzählig am Samstag bei der Trauung.«

      Nach dieser Frohen Botschaft stellte ich fest, wie sehr wir uns von unseren Gefühlen hatten treiben lassen, und nicht intensiver nach der wahren Identität des Opfers gesucht hatten. Es wäre ein großer Fehler gewesen, Ana und Mateo eine Hiobsbotschaft zu übermitteln, die sich später als unwahr herausgestellt hätte.

      »Lola, ruf Cata an, ob die schon was hat«, sagte der Comisario spontan. »Und Diego, wir sind erstmal fertig.«

      Er sah mich auffordernd an und kramte beschäftigt in seinen Unterlagen.

      »Viel Erfolg«, erwiderte ich etwas enttäuscht. »Wir sehen uns dann spätestens am Samstag.«

      »Ja, genau.«

      Während meines nachdenklichen Spaziergangs hatten sich die Wolken erneut für Regen entschieden. Beginnend mit einem gewöhnlichen Nieselregen, um nachfolgend in ein Gewitter überzugehen. Der Blitz erhellte das basaltgraue Wolkenmeer über dem Atlantik und als der Donner grollte, ließ der die Stadt beben. Dicke Tropfen trommelten anschließend auf der Hutkrempe. Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, bei Manolo einzukehren. Das rustikale Restaurant bot hervorragende regionale Speisen an. Beim Hineingehen hörte ich die angenehmen Klänge einer spanischen Gitarre, was zu einer heimischen Atmosphäre gehört. Der Wirt kam mir sogleich entgegen und begrüßte mich freundlich. Nach ein paar netten Worten bot er mir einen Tisch am Fenster an, überreichte mir die Speisekarte und gab dazu noch einige Empfehlungen. Die Karte führte Tapas, Fabada asturiana, bunte Salate, sowie Fisch- und Fleischgerichte auf. Auch verschiedene Käsespezialitäten aus der Region, die in ganz Spanien bekannt sind, fand ich darin. Zum Dessert wurden Sahnetorten, Flan, ein besonders cremiger Pudding mit Karamellsoße und mein Favorit, Arroz con leche, angepriesen. Ich bestellte einen kleinen Fischteller mit geschmorten Kartoffeln, Salat und etwas Käse sowie einen Viertelliter Rotwein. Nach Ángels froher Botschaft war mein Appetit wiedergekommen. Trotzdem grübelte ich.

      Während des köstlichen Essens fiel mir ein, dass ich am Morgen Fotos geschossen hatte. Sofort legte ich das Besteck zur Seite und rief sie in meinem iPhone auf. Die Aufnahmen, die ich vom Weg hinunter auf die Klippen genommen hatte, gaben, trotz des Teleobjektivs, nicht viel her. Details waren auf dem Display des Smartphones, selbst nach Vergrößerung, nicht deutlich genug zu erkennen. Lediglich ein hellgrauer Fleck war im Hintergrund zu entdecken. So beschloss ich, sie mir später im Hotelzimmer auf dem großen Display meines MacBook anzusehen. Auf einem der Fotos, nah bei der Leiche, konnte ich das Stück graue Plastikfolie sehen, welches von der Spurensicherung gefunden worden war. Es gab somit keine Überraschungen, wie ich zunächst feststellte.

      Ich nahm das Besteck wieder auf und genoss mein Essen. Nachdem ich schließlich einen