Francisco J. Jacob

TOD IN DEN KLIPPEN


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      »Ich weiß!«, antwortete ich laut zurück und stieg weiter den Felsen hinauf.

      »Seien Sie bloß vorsichtig! Geben Sie Acht, dass Sie nicht abrutschen!«

      »Lola, ich verstehe Ihre Führsorge, aber hier habe ich meine Kindheit verbracht, das war unser Spielplatz!«, verriet ich ihr, während ich weiterkletterte.

      »Ist er tot?«, fragte ich sie, als ich etwas außer Atem oben angekommen war.

      »Ja, aber er ist eine sie!«

      Die Leiche im gelben Regenmantel lag auf dem Bauch. All ihre Gliedmaßen sahen vom Sturz gebrochen aus. Neben dem blutverschmierten Kopf hatte sich auf dem Gestein eine Blutlache gebildet. Ihr Gesicht war gänzlich zerschmettert.

      »Sie hat sehr viele Knochenfrakturen!«, stellte Lola fest. »Beide Beine und Arme sind gebrochen!«

      Es bot sich ein derart grauenvoller Anblick, dass ich wegsehen musste. Sie betrachtete die Tote etwas genauer, dann kniete sie sich neben ihr und hob mit einem Stöckchen den Regenmantel seitwärts etwas hoch.

      »¡Dios mío!«, sagte sie erschüttert, und lies den Mantel langsam wieder herunter.

      »Was ist?«, fragte ich besorgt.

      Sie sah mich ergriffen an.

      »Diese Frau war schwanger!«

      »Sind Sie sicher?«

      Sie nickte zweimal.

      »Sehen Sie, Señor Lesemann!«, sagte sie betrübt, während sie einen durchsichtigen Plastikbeutel aus ihrer Tasche zog. »Das lag unten an der Klippe!«

      Im Beutel befand sich ein Firmenausweis. Ich konnte nicht glauben, auf wen der Ausweis ausgestellt war. Der Name lautete Ana-María Rey, die Tochter meines Freundes Mateo.

      4

      

      Ein tragischer Unfall

      

      Welch ein schrecklicher Fund.

      »Aber, das kann doch nicht die Tochter von Mateo sein!«, sagte ich fassungslos. »Sie wollte übermorgen heiraten!«

      Lola sah mich traurig an und fasste mir auf die Schulter.

      »Wegen ihrer Hochzeit bin ich nach Ribadés gekommen!«

      »Ja, ich weiß!«

      Sie streichelte mir über die Schulter, um mich zu beruhigen.

      »Es muss ein ganz schlimmer Unfall gewesen sein! Kommen Sie!«, sagte sie schließlich. »Hier können wir nichts mehr tun! Lassen Sie uns wieder runterklettern!«

      Lola stieg zuerst hinunter. Mir fiel allerdings ein Stück graue Kunststofffolie auf, die sich in einem Felsspalt eingeklemmt hatte. Ich nutzte die Gelegenheit und schoß einige Fotos.

      Die stürmische Brandung am Kiesstrand war ohrenbetäubend und der Wind wehte die Gischt gegen die Klippen. Mit etwas Glück fand ich meinen Hut wieder, den ich sogleich aufsetzte. Der graue Himmel zog sich zu und brachte feinen Nieselregen, der vom Wind verweht wurde. An einer windgeschützten Stelle saßen wir auf einem trockenen Felsen. Lola rief den Comisario an und berichtete ihm. Dort warteten wir auf die Polizei. Ich konnte es noch immer nicht fassen.

      Mit dröhnenden Schritten kam Comisario de Vega herbeigeeilt. Bei jedem Schritt schien er den Kies unter seinen Stiefeln zu zermalmen. Als er näher kam, hob er verständnislos die Arme und schüttelte dabei den Kopf. Lola stand auf.

      »¿Qué cojones paso? (Was zum Teufel ist passiert?), rief er uns laut entgegen.

      »Comisario«, fing Lola an, »wie ich Ihnen am Telefon gesagt habe, haben wir die Leiche auf der Klippe gefunden«, und zeigte nach oben.

      »Diego, du schon wieder?«, fragte er mich vorwurfsvoll.

      »Es war reiner Zufall, dass ich ...«

      »Natürlich!«, fiel er mir ins Wort. »Genau wie letztes Jahr in der Cueva. Du hast wirklich Talent.«

      Ich war erneut in eine unangenehme Lage geraten. Eine Situation, in der ich derartige Funde gemacht hatte und daraufhin in die Fälle verwickelt worden war. Das war mir schon während einiger der gemeinsamen Reisen mit Hellen und in meinem früheren Berufsleben passiert.

      Der Comisario wandte sich Lola zu.

      »Bist du sicher, dass das Mateos Tochter ist?«

      »Der Ausweis lag hier«, sagte sie. »Unterhalb der Klippe.«

      »Hast du sie wiedergekannt? Du kennst sie doch.«

      »Nein, ihr Gesicht ist komplett entstellt.«

      »¡Joder!«, wetterte der Comisario und setzte sich neben mir auf den Felsen. »Das ist eine Riesenscheiße!«

      »Ja, schrecklich«, pflichtete ich ihm bei. »Warum ausgerechnet Mateos Tochter?«

      »¡La hostia! Hätte es nicht jemand anderes sein können? ... Wie soll ich das Mateo beibringen?!«

      Erneut ertönten dröhnende Schritte auf dem Kies. Es waren mehre Polizeibeamte und Leute in weißen Overalls, die sich uns näherten. Iker Bosco von der Spurensicherung aus Gijón kannte ich. Er war schlank, mittelgroß, trug stets karierten Tweed und eine Fliege. Seine scharfe Beobachtungsgabe zeichnete ihn aus.

      »Kenne ich Sie nicht?«, fragte er mich nachdenklich. »Natürlich, Sie haben letztes Jahr die Leichen in der Höhle gefunden.«

      »Ja, ich bin Diego Lesemann« sagte ich und nickte.

      Dann sah er mich erneut an.

      »Sagen Sie nicht, dass Sie heute wieder eine gefunden haben.«

      »Jetzt ist aber gut«, unterbrach der Comisario. »Da oben ist die Leiche. Aber bei dem Wetter werden Sie garantiert nichts finden.«

      »Wenn Sie schon oben waren, sicher nicht«, gab Bosco zurück.

      »Keine Sorge, ich hab Ihnen den Vortritt gelassen.«

      Er sah nach oben, wo der Arm der Leiche immer noch über den Rand hing.

      »Kommen Sie Comisario, es ist ganz leicht da hochzuklettern. Selbst Sie dürften das mit etwas Elan schaffen.«

      Der Comisario winkte ab.

      »Das hat Lola hier unten gefunden«, bemerkte er kurz und gab ihm den Beutel mit dem Ausweis. Dann wendete er sich zu uns.

      »Lola, du hast gesagt, dass das Gesicht zerschmettert ist?«

      »Ja. Señor Lesemann hat es auch gesehen.«

      »Dann ist die auf dem Weg zur Ermita oben abgerutscht und runtergeflogen«, kombinierte er. »Und beim Sturz mit dem Gesicht auf die Klippe gekracht.«

      »Das klingt logisch, Comisario«, sagte sie. »Was aber macht eine schwangere Frau bei diesem Wetter in dieser Gegend?«

      »Das frage ich mich auch«, kommentierte ich.

      »Diego!«, fuhr sogleich der Comisario dazwischen. »Glaub ja nicht, dass du wieder Privatdetektiv spielen kannst. Du machst deine Zeugenaussage in der Comisaría und das war‘s für dich.«

      »Ich werde meine Reise ohnehin abbrechen, da ich wegen der Hochzeit hergekommen bin.«

      »Comisario«, rief Lola vorsichtig dazwischen, »Cata ist da.«

      Cata Meral, eine kleine, mollige und etwas vorlaute Frau um die vierzig war die Gerichtsmedizinerin. Auch sie kam aus Gijón und kannte mich von den Vorkommnissen im letzten Jahr.

      »Da bist du ja«, begrüßte er sie ungeduldig.

      »¡Buenos días!«, entgegnete sie und sah mich an.

      Der Comisario bemerkte ihren Blick.

      »Ja,